Sie lassen sich und den anderen noch ein wenig Zeit im Landtag von Schleswig-Holstein. Nicht wie ursprünglich geplant, ein bisschen hoppla hopp, am kommenden Mittwoch, sondern vier Wochen später, in der letzten Sitzungswoche des Jahres, wollen die Abgeordneten des Landesparlaments möglichst einstimmig Geschichte schreiben: Dann soll mit der Verabschiedung des „Gesetzes zur Auflösung des Forstgutsbezirks Sachsenwald“, eines der letzten Relikte des Deutschen Kaiserreichs (1871 bis 1918) beseitigt werden. Und das im Zweifel auch gegen den Willen der verbliebenen Aufmüpfigen im Kreis Herzogtum Lauenburg.
Hier, im Osten von Hamburg, besitzt die Familie des früheren Reichskanzlers Otto von Bismarck seit mehr als 150 Jahren das größte zusammenhängende Waldgebiet des Nordens. Kaiser Wilhelm I. hatte dem „Eisernen Kanzler“ damals sein altes Jagdrevier geschenkt. Ein Dankeschön für dessen Verdienste um die Reichsgründung.
Fast 70 Quadratkilometer Wald – ein Idyll in diesen rot-gold- braun schimmernden Herbsttagen. Einen Teil der mehr als 60 Flurstücke haben Bismarcks Nachkommen mittlerweile verkauft. Aber etwa die Hälfte des Gebiets, so schätzt es der für die angrenzenden Gemeinden zuständige Verwaltungschef des Amtes Hohe Elbgeest, Torge Sommerkorn, gehöre der Familie bis heute.
Deren Forstbetrieb mit dem Geschäftsführer Gregor von Bismarck an der Spitze wäre damit der Hauptbetroffene der Auflösungsentscheidung des Landtags, mag sich aber auf Anfrage nicht äußern zur bevorstehenden Zeitenwende im Sachsenwald. Es ist ja auch ein wenig unangenehm. Zwar würde die vom Land geplante Eingemeindung des Reviers nicht bedeuten, dass die Bismarcks enteignet wären von ihrem Grund und Boden. Aber sie verlören mit dieser Entscheidung doch ein paar Sonderrechte. Vorteile, die die Nachfahren des Reichskanzlers zum Unmut der Landespolitiker auch zu nutzen wussten.
Anders als andere private Grundbesitzer konnten die Eigentümer des gemeindefreien Sachsenwaldes über die Höhe der hier geltenden Gewerbesteuer ebenso selbst bestimmen wie über die Verwendung großer Teile der daraus erwachsenden Einnahmen. In der Folge floss beginnend im Jahr 2017 zunächst die Gewerbesteuer diverser im Sachsenwald ansässiger Betriebe der Familie von Bismarck in die Kasse der Gutsverwaltung. Zudem bot diese auch anderen Firmen eine einsam gelegene Hütte als Pseudo-Betriebsstätte an und machte so aus dem Forst eine Art Steueroase, deren Einnahmen ebenfalls an die Gutsverwaltung flossen. Gleichzeitig blieb der hier geltende Gewerbesteuersatz deutlich günstiger als anderswo im Hamburger Umland.
Ein attraktives Steuersparmodell, das Ende 2024 von der Redaktion der Satiresendung „ZDF Magazin Royale“ öffentlich gemacht wurde und so auch die Landespolitiker aufmerksam werden ließ. Einstimmig forderte das Parlament die Landesregierung auf, „diesen Anachronismus zu beseitigen“, wie es die damalige Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) ausdrückte.
Unabwägbare Kostenrisiken
Ein Jahr später liegt der Entwurf des Auflösungsgesetzes vor. Demnach soll das bisher gemeindefreie Gebiet des Sachsenwaldes auf acht Anliegergemeinden aufgeteilt werden. Der mit Abstand größte Teil soll an die zum Amtsbezirk Hohe Elbgeest gehörende Gemeinde Aumühle fallen.
Der Haken an der Sache: Weder Aumühle noch die anderen Gemeinden noch deren Amtsverwaltungen möchten den Sachsenwald haben. Sie fürchten, dass die Eingemeindung entgegen den dem Gesetz zugrunde liegenden Angaben der Landesregierung mit erheblichen Kosten verbunden sein werde. Unter anderem verweisen die Kommunen auf einen durch die Eingemeindung entstehenden einmaligen Verwaltungsaufwand in Höhe von rund einer Million Euro sowie auf weitere unwägbare Kostenrisiken, etwa für Waldwege und Brandschutz. Mit wesentlichen zusätzlichen Gewerbesteuer-Einnahmen rechnet das Amt Hohe Elbgeest unter den neuen Bedingungen nicht mehr.
Amtsdirektor Sommerkorn und die acht betroffenen Gemeindebürgermeister kommen deshalb in einer mehr als 30-seitigen Stellungnahme zu dem Schluss, dass sie den „Gesetzentwurf in seiner aktuell vorliegenden Fassung“ ablehnen. „Wir wollen das so nicht haben“, betont Sommerkorn.
Falls der Landtag die Eingemeindung im Dezember dennoch beschließen sollte, würden die aufmüpfigen Gemeinden rechtliche Schritte prüfen und gegebenenfalls Klage vor dem Landesverfassungsgericht einreichen. Ob das dem „Eisernen Kanzler“ gefiele, muss an dieser Stelle leider offen bleiben.
Ulrich Exner ist politischer WELT-Korrespondent und berichtet vor allem aus den norddeutschen Bundesländern.
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