Wenn die Deutschen auf die Welt blicken, sehen sie derzeit vor allem drei große Herausforderungen für die Außenpolitik der eigenen Bundesregierung: den Krieg in der Ukraine (45 Prozent), die Lage in Israel und dem Nahen Osten (39 Prozent) sowie die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika (33 Prozent).
Während der Wert für die Ukraine unverändert geblieben ist, sind Israel (Vorjahr 17 Prozent) und die USA (Vorjahr zehn Prozent) auf der Agenda nach oben gerückt. Bemerkenswert dabei: Während sich 76 Prozent der Bundesbürger sehr stark oder stark für die Außen- und Sicherheitspolitik interessieren, ist das Thema für rund ein Viertel (24 Prozent) weniger oder gar nicht relevant. Das ist das Ergebnis der jährlichen repräsentativen Umfrage „The Berlin Pulse“ im Auftrag der Körber-Stiftung, die Ende September unter rund 1500 Deutschen ab 18 Jahren vom Meinungsforschungsinstitut Forsa durchgeführt wurde.
Die Politik der Bundesregierung, die Ukraine im Kampf gegen Russland auch militärisch zu unterstützen, findet dabei weiterhin eine Mehrheit in der Bevölkerung. Im dritten Jahr des Krieges sprechen sich 59 Prozent der Deutschen für die Lieferung von Waffen aus. Parteipolitisch gibt es dabei allerdings große Unterschiede: Bei den Anhängern der Grünen befürworten 90 Prozent Waffenlieferungen, bei der Union sind es 80, bei der SPD 75 und bei der Linken 66. Bei den Unterstützern der AfD sind es dagegen nur 18 Prozent, beim BSW 30.
Sollte es zu einem Abkommen über ein Ende des Krieges kommen, befürworten derzeit 56 Prozent, dass sich Deutschland mit eigenen Soldaten an einer europäischen Friedenstruppe in der Ukraine beteiligt. Die parteipolitischen Präferenzen sind dabei ähnlich.
Gleichzeitig zeigt sich Skepsis gegenüber den Absichten des russischen Präsidenten Wladimir Putin und des US-Präsidenten Donald Trump: Nur 21 Prozent der Befragten glauben laut Erhebung, dass Putin grundsätzlich an einer Verhandlungslösung interessiert sei. Und nur 34 Prozent geben an, dass Trump an einer Lösung interessiert sei, die sicherstellt, dass die Ukraine langfristig nicht erneut angegriffen wird. Lediglich 38 Prozent der Befragten sehen die USA als verlässlichen Partner im Umgang mit dem Krieg in der Ukraine. Diese Werte wurden vor dem Bekanntwerden des jüngsten sogenannten Friedensplans der USA erhoben.
Parallel dazu wächst die Sorge um die eigene Sicherheit. 47 Prozent der Deutschen schätzen die militärische Bedrohung durch Russland als „groß“ ein – ein deutlicher Anstieg im Vergleich zum Vorjahr, als dieser Wert noch bei 39 Prozent lag. 35 Prozent sehen jetzt eine geringe Bedrohung, 17 Prozent gar keine.
Interessant dabei: Das Bedrohungsgefühl ist bei Parteianhängern der SPD am größten, gefolgt von denen der Union und der Grünen. AfD- und BSW-Anhänger stellen mehrheitlich keine „große Bedrohung“ fest. Auch die Sorge vor Versuchen Russlands, die öffentliche Meinung in Deutschland zu beeinflussen, ist bei der Mehrheit der Deutschen (54 Prozent) groß.
Uneinig sind die Bundesbürger allerdings bei der Antwort auf die Frage, was politisch daraus folgt. Während 48 Prozent der Befragten für ein stärkeres Engagement Deutschlands in internationalen Krisen plädieren, wünschen sich 43 Prozent eine stärkere Zurückhaltung. In dieser Frage zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen Ost und West. So spricht sich eine Mehrheit der Ostdeutschen (52 Prozent), aber nur 42 Prozent der Westdeutschen für mehr Zurückhaltung Deutschlands in internationalen Krisen aus, während eine knappe Mehrheit der Westdeutschen (51 Prozent) und lediglich 35 Prozent der Ostdeutschen für ein stärkeres Engagement plädieren.
Mehr Engagement bedeutet dabei für 72 Prozent vor allem diplomatische Initiativen, nur 17 Prozent verstehen es auch militärisch. Eine große Mehrheit von 72 Prozent der Deutschen befürwortet zwar, dass die Bundesregierung die Verteidigungsausgaben in den kommenden zehn Jahren verdoppeln will. Gleichzeitig lehnen 61 Prozent eine militärische Führungsrolle Deutschlands in Europa weiterhin ab.
Eine gewisse Milde gegenüber China
Knapp ein Jahr nach Trumps Rückkehr ins Weiße Haus und im ersten Amtsjahr von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) wird das deutsch-amerikanische Verhältnis sehr kritisch gesehen: Fast drei Viertel der Deutschen (73 Prozent) bewerten die Beziehungen zu den USA als schlecht. Unter der Präsidentschaft von Joe Biden im Jahr 2024 hielten noch 74 Prozent das Verhältnis zu den Vereinigten Staaten für gut. Nach Ansicht der Deutschen sind die USA zum ersten Mal seit drei Jahren nicht länger der wichtigste Partner für die deutsche Außenpolitik.
Stattdessen sehen 46 Prozent inzwischen wieder Frankreich als zentralen außenpolitischen Partner – wie auch schon während Trumps erster Amtszeit (2017–2021). Nur noch 26 Prozent nennen die USA als wichtigsten Partner. Während im vergangenen Jahr nur 17 Prozent der Deutschen die USA als wirtschaftliche Bedrohung sahen, sind es inzwischen 38 Prozent. Zugleich geben nur 35 Prozent an, dass sich Deutschland noch auf den nuklearen Schutzschirm der USA verlassen könne.
Drei Viertel (75 Prozent) sprechen sich dafür aus, dass sich Deutschland um einen nuklearen Schutzschirm durch Frankreich und Großbritannien bemühen sollte. 17 Prozent sind für die Anschaffung eigener Atomwaffen durch Deutschland. Auch in gesellschaftlichen Fragen zeigt sich eine zunehmende Entfremdung zu den USA: Eine Mehrheit von 59 Prozent der Deutschen vertritt die Ansicht, dass man hierzulande seine Meinung frei äußern kann – nur rund ein Drittel (35 Prozent) glaubt, dass dies auch für die US-Amerikaner gilt.
Nicht nur gegenüber den USA, auch gegenüber Israel gehen die Deutschen auf Distanz. Nur 38 Prozent der Befragten sehen aufgrund der historischen Verantwortung aus dem Holocaust eine besondere Verpflichtung Deutschlands gegenüber Israel. 57 Prozent der Grünen-Anhänger sehen eine solche Verpflichtung, auch bei der SPD ist es mit 50 Prozent noch eine Mehrheit. Schon bei der Union liegt das Verhältnis bei 46 zu 52 Prozent, bei der Linken bei 38 zu 61, und bei der AfD sind es 16 zu 84 Prozent.
Weiter waren im September – noch vor dem Waffenstillstand im Gaza-Streifen – knapp drei Viertel (73 Prozent) der Befragten der Meinung, dass die Bundesregierung stärkeren diplomatischen Druck auf Israel ausüben sollte, um den Krieg in Gaza zu beenden. Nur 15 Prozent finden, dass Deutschland Israel im Krieg gegen die Hamas militärisch unterstützen sollte.
Bemerkenswert ist eine gewisse Milde der Deutschen gegenüber China. Der wachsende globale Einfluss Pekings wird von den Deutschen derzeit jedenfalls weniger negativ bewertet als im Vorjahr. Die Hälfte der Befragten sieht den zunehmenden Einfluss Chinas negativ (2024: 61 Prozent), 42 Prozent betrachten ihn neutral und sieben Prozent positiv. Dennoch erklären weiterhin knapp sechs von zehn Deutschen (59 Prozent) China zur großen wirtschaftlichen Bedrohung. Gleichzeitig ist die Unterstützung für eine militärische Unterstützung Taiwans im Konflikt mit China in der deutschen Bevölkerung gesunken. Während sich 2024 noch 31 Prozent dafür aussprachen, sind es in diesem Jahr nur noch 24 Prozent.
Bei der Beantwortung der Grundsatzfrage schließlich, ob die deutsche Außenpolitik eher interessen- oder wertegeleitet sein soll, haben die Deutschen keine klare Meinung. Die Ankündigung von Außenminister Johann Wadephul (CDU), seine Politik künftig stärker als bisher auf Sicherheit, nationale Interessen und die Wirtschaft auszurichten, erklären 41 Prozent der Befragten für richtig. 55 Prozent finden dagegen, es solle vor allem die Förderung von Werten wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in den Mittelpunkt gestellt werden.
Der politische Korrespondent Thorsten Jungholt schreibt seit vielen Jahren über Bundeswehr und Sicherheitspolitik.
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