Noch immer gibt die Entstehung des jüngst öffentlich gewordenen 28-Punkte-Plans zur Beilegung des Ukraine-Kriegs Rätsel auf. Die aus Sicht des Kremls vorteilhafte Ausgestaltung, Auffälligkeiten bei der Übersetzung und widersprüchliche Aussagen von US-Außenminister Marco Rubio hatten zuletzt den Verdacht genährt, dass russische Unterhändler das Dokument maßgeblich ausgearbeitet und den Amerikanern vorgelegt haben. Diese proklamierten es vergangene Woche als gemeinsamen Arbeitsentwurf.
Nach heftiger Kritik an dem Dokument, das sich wie eine Wunschliste des Kremls liest, wurde es nach einem Treffen zwischen Delegationen der USA, der Ukraine und mehrerer europäischer Länder am Wochenende in Genf zwar angepasst. „Strittige Punkte“ soll der US-Sondergesandte Steve Witkoff nun bei Gesprächen in der kommenden Woche in Moskau zur Sprache bringen, wie US-Präsident Donald Trump am Dienstag ankündigte.
Witkoffs anstehende Reise nach Moskau dürfte in den europäischen Hauptstädten genau beobachtet werden – auch vor dem Hintergrund eines am Dienstag veröffentlichen Berichts der Nachrichtenagentur „Bloomberg“. Unter Berufung auf ein geleaktes Protokoll eines Telefonats zwischen Witkoff und einem hochrangigen Kremlberater berichtet das Portal, dass es der US-Sondergesandte gewesen sei, der den Russen schon Mitte Oktober die Idee unterbreitete, einen gemeinsamen „Friedensplan“ zu entwerfen.
Demnach versuchte Witkoff bei einem Gespräch mit dem außenpolitischen Chefberater Waldimir Putins, Juri Uschakow, am 14. Oktober die Möglichkeiten für einen solchen gemeinsamen Plan auszuloten. Er habe ihm dafür vorgeschlagen, ein Gespräch zwischen Trump und Putin zu organisieren und ein „20-Punkte-Modell“ nach dem Vorbild des Gaza-Abkommens zu entwickeln, das kurz zuvor zum Abschluss gekommen war und für das Trump international Anerkennung erhalten hatte. Witkoff witterte offenbar eine Gelegenheit für den US-Präsidenten, seinen Erfolg zu wiederholen – und briefte die russische Seite laut dem nun veröffentlichen Transkript, diese Gelegenheit zu nutzen.
Friedensplan nach Vorbild des Gaza-Deals
Witkoff schlug demnach vor, einen 20-Punkte-Friedensplan für die Ukraine vorzulegen, „so wie wir es für Gaza getan haben“. Er wisse, was nötig sei, „um ein Friedensabkommen zu erzielen“, fügte Witkoff hinzu: „Donezk und ein Gebietsaustausch irgendwo“, sagte er und spielte damit auf die vom Kreml beanspruchten Regionen in der Ostukraine an – eines der besonders umkämpften Themen in den Verhandlungen um ein Ende des Ukraine-Kriegs. An Selbstbewusstsein mangelt es Witkoff offenbar nicht: „Der Präsident wird mir viel Freiraum und Entscheidungsfreiheit lassen, um eine Einigung zu erzielen“, sagte Witkoff laut der transkribierten Aufzeichnung des Gesprächs. Er gehe davon aus, „dass daraus Großes entstehen könnte.“
Das Dokument gibt damit vielsagende Einblicke in Witkoffs Verhandlungstaktik mit den Russen. Witkoff gehört innerhalb der Trump-Administration zu jenem Lager, das bereit ist, Russland weitreichende Zugeständnisse zu machen, um den Krieg schnell beizulegen. Der Immobilienunternehmer und langjährige Vertraute Trumps hat keine vertieften Kenntnisse über Osteuropa vorzuweisen, was Kritiker als Grund für seine zuweilen nachgiebige Haltung gegenüber dem Kreml sehen.
Dafür sprechen auch Aussagen aus dem Transkript. So habe Witkoff darin die Überzeugung geäußert, dass Russland, das die Ukraine im Februar 2022 in einem Angriffskrieg überfallen hat – „immer einen Friedensdeal wollte“. Gegenüber dem Kremlberater Juri Uschakow drückte er demnach seinen „tiefsten Respekt für Präsident Putin“ aus.
Dabei beließ er es laut den Aufzeichnungen nicht: Witkoff schlug Uschakow demzufolge Möglichkeiten vor, wie Putin dem US-Präsidenten schmeicheln könnte. So habe er vorgeschlagen, dass der Kremlchef Trump in einem Telefonat für die Waffenruhe im Gaza-Streifen gratulieren und ihn als Friedensstifter loben solle. Das Gespräch sollte laut Witkoff möglichst noch vor dem Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyjs im Weißen Haus am 17. Oktober stattfinden.
„Und Folgendes fände ich großartig“, sagte Witkoff demnach. „Vielleicht sagt er (Putin, d. Red.) zu Präsident Trump: ‚Wissen Sie, Steve und Juri haben einen ganz ähnlichen 20-Punkte-Plan für den Frieden besprochen, und das könnte etwas sein, von dem wir glauben, dass es die Dinge ein Stück voranbringen könnte. Wir sind für solche Vorschläge offen‘.“
Uschakow soll die Ratschläge Witkoffs begrüßt haben – das Telefonat zwischen Putin und Trump kam jedenfalls zustande. Letzter zeigte sich im Anschluss zufrieden und bezeichnete es als „sehr produktiv“. Putin habe ihm zum Deal für Gaza gratuliert. Anschließend kündigte der US-Präsident ein Treffen mit Putin in Budapest an – zu dem es allerdings nie kam. Das Gespräch mit Selenskyj im Weißen Haus verlief indes laut Berichten weniger glatt. Nicht nur soll Trump Druck auf Selenskyj ausgeübt haben, gegenüber Moskau Zugeständnisse zu machen. Trump erteilte auch dessen Wünschen über die Lieferung amerikanischer weitreichender Tomahawk-Raketen eine Absage.
Treffen in Miami
Wie der 28-Punkte-Plan im Detail in den darauffolgenden Wochen zustande kam, bleibt zwar auch nach den jüngsten Erkenntnissen offen. Allerdings legt der Bericht nah, dass Unterhändler aus Washington und Moskau die Details in den anschließenden Wochen nach Trumps Telefonat mit Putin ausarbeiteten. Laut dem US-Portal Axios traf Witkoff Ende Oktober Putins engen Berater Kirill Dmitriew in Miami, der ebenfalls zur Gruppe der einflussreichen Verhandler gehört.
Ein anschließend stattfindendes Gespräch zwischen Dmitriew und Ushakow, das Bloomberg nach eigenen Angaben ebenfalls vorliegt, zeugt von Fortschritten in den Gesprächen. Darin soll es unter anderem um die Frage gegangen sein, wie schonungslos Moskau Forderungen gegenüber Washington durchsetzen kann. Der aufschlussreiche Satz: „Ich denke, wir werden dieses Papier über unsere Position erstellen, und ich werde es informell in Umlauf bringen“, sagte Dmitriew laut dem Transkript. „Ich glaube nicht, dass sie unsere Version genauso übernehmen werden, aber zumindest wird es so nah wie möglich daran sein“, fügte er demnach. noch hinzu. Später habe er Ushakow versichert, dass er sich an das halten werde, was ihm aufgetragen worden sei, und dass dieser das Papier später auch mit „Steve“ besprechen könne.
Zwar lassen die Angaben keine Schlüsse darüber zu, welche konkreten Vorschläge von Russland kamen und wie viele Punkte jede Seite in das Papier hinein verhandelt hat. Die Aussagen stützen aber die These, wonach die russischen Unterhändler zumindest im ersten Entwurf ungehindert zahlreiche vorteilhafte Posten unterbringen konnten. Vor allem aber verhärten sie den Verdacht der Europäer und Kiews, in den Prozess nicht eingebunden worden zu sein.
Nach der heftigen Kritik am Vorgehen der amerikanischen Verbündeten hat man sich am Wochenende in Genf nun auf eine Überarbeitung des Friedensplans geeinigt. Die Bereitschaft für Zugeständnisse wird insbesondere dem amerikanischen Außenminister Rubio zugeschrieben, der innerhalb der Trump-Administration auch das Amt des Nationalen Sicherheitsberaters innehat. Rubio gilt als Russland-Falke, der die Volten Witkoffs regelmäßig einfängt.
Kritiker von Witkoff dürfte sich nach den jüngsten Berichten in ihrer Kritik bestätigt sehen. Selbst Republikaner werden deutlich: Der republikanische Kongressabgeordnete Brian Fitzpatrick sprach in einem Beitrag auf X von „einem Riesenproblem“ und forderte ein Ende „geheimer Nebenkanäle“. Parteikollege Don Bacon kritisierte: Es sei „offensichtlich, dass Witkoff voll und ganz auf der Seite der Russen steht“, schrieb er. „Man kann ihm nicht zutrauen, diese Verhandlungen zu führen. Würde ein von Russland bezahlter Agent weniger tun als er? Er sollte entlassen werden.“
Zugleich bleibt der Druck auf die Ukraine, Russland weitgehende Zugeständnisse zu machen, bestehen. Im Weißen Haus wiegelt man indes ab. Trump sagte, er habe die Aufnahme des Telefonats zwar nicht gehört, für ihn klinge es aber nach „ganz normalen Verhandlungen“. Der Bloomberg-Bericht beweise, dass Witkoff „fast jeden Tag mit Vertretern Russlands und der Ukraine spricht, um Frieden zu erreichen, was genau das ist, wofür Präsident Trump ihn ernannt hat“, so die Stellungnahme des Kommunikationsdirektors des Weißen Hauses, Steven Cheung.
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