Der Besuch des estnischen Ministerpräsidenten Kristen Michal heute um 14 Uhr im Kanzleramt droht alles andere als einfach zu werden. Denn plötzlich ist sie wieder da: Die Debatte um Bodentruppen, die einen erhofften Ukraine-Frieden absichern könnten. Michal bringt das Thema aus Tallinn als unwillkommenes, aber aus seiner Sicht sehr dringendes Gastgeschenk mit.

„Estland ist der Ansicht, dass Sicherheitsgarantien glaubwürdig sein und durch echte Streitkräfte der Partner der Ukraine auf ukrainischem Territorium gestützt werden müssen“, heißt es von einer Regierungssprecherin des baltischen Staates.

Und weiter: „Estland ist bereit, eine Kompanie, Ausbilder und Stabsoffiziere zur Verfügung zu stellen. Die Planung muss vorangetrieben werden.“

Es ist ein heikles Anliegen: Mit der Bodentruppen-Forderung hatte schon der französische Präsident Emmanuel Macron vor knapp zwei Jahren den deutschen Regeirungschef Olaf Scholz (SPD) arg in Verlegenheit gebracht. Und auch für den jetzigen Kanzler Friedrich Merz (CDU) kochte die Debatte diesen Sommer hoch. „Niemand redet über Bodentruppen in der Ukraine zum jetzigen Zeitpunkt“, versuchte er das Thema seinerzeit wegzuwischen.

Macron kündigte bereits eine Taskforce an

Doch der Druck kommt nicht nur aus Paris und Tallinn: Auch die Briten wollen über europäische Soldaten als Sicherheitsgarantie reden. Eine „multinationale Truppe“ werde „eine entscheidende Rolle“ bei der Gewährleistung der Sicherheit der Ukraine spielen, so Premier Keir Starmer während einer Videoschalte der „Koalition der Willigen“ am Dienstag.

Am selben Abend kündigte Macron eine Taskforce an. Sie soll die Details von Europas militärischer Unterstützung im Rahmen eines Friedens-Deals ausarbeiten. Sie wird von Frankreich und Großbritannien unter Beteiligung der USA und der Türkei geleitet.

Macron sagte dazu: „In den kommenden Tagen werden wir die Beiträge jedes Landes sehr genau festlegen und endgültige Sicherheitsgarantien vorlegen können.“

Moskau wehrte sich bislang gegen Bodentruppen

Hinter dem Vorpreschen steckt der Gedanke, dass sich Europa mit einem eigenen Beitrag einbringen muss, wenn es in den Ukraine-Verhandlungen nicht komplett beiseite gewischt werden soll. Außerdem geht es darum, Putin im Falle eines Friedens glaubhaft von weiteren Aggressionen abzuhalten. Gerade für die Esten als bedrohter Nachbarstaat ist das wichtig.

Das Kanzleramt schweigt vorerst: Merz-Sprecher Stefan Kornelius wollte sich vor dem Besuch des estnischen Premiers nicht äußern. Doch wie „Politico“ erfahren konnte, will man sich dazu derzeit nicht festlegen, weil die Modalitäten einer möglichen Entsendung von europäischen Soldaten erst in einem Friedensabkommen geklärt werden müssen.

Die deutsche Haltung lautet also: Erst mal verhandeln, einen Waffenstillstand und dann einen belastbaren Vertrag mit den Russen hinbekommen.

Tatsächlich wehrt sich Moskau gegen westliche Truppen in der Ukraine: Im berüchtigten 28-Punkte-Plan, mit dem die USA und Russland Ende letzter Woche für Schock von Brüssel bis Kiew sorgten, heißt es unter Punkt 8: „Die Nato erklärt sich bereit, keine Truppen in der Ukraine zu stationieren.“

Im überarbeiteten Gegenvorschlag von Merz, Macron und Starmer hieß es dagegen, die Nato würde nicht „dauerhaft“ Truppen unter ihrem Kommando in der Ukraine stationieren. Dies öffnet die Tür für eine abwechselnde Stationierung westlicher Truppen. Allerdings ist dieser Text seit Genf wieder verändert worden und der letzte Stand nicht öffentlich bekannt.

Aus deutscher Sicht ist noch ein anderer Punkt wichtig: Dass die russischen Frozen Assets nun endlich genutzt werden, um einen 140-Milliarden-Kredit für die Ukraine zu finanzieren. Es wäre ebenfalls ein zentraler Schritt, mit dem Europa die Sicherheit Kiews längerfristig absichern würde — und sich in den Verhandlungen Gehör verschaffen würde.

EU-Kmmissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte gestern an, nun endlich Rechtstexte vorlegen zu wollen, mit denen der Kreditplan umgesetzt und die letzten belgischen Bedenken beseitigt werden können. Die Texte werden in Kürze erwartet.

Dass der US-Präsident als Teil des 28-Punkte-Plans gleich einen gehörigen Teil des eingefrorenen russischen Staatsbankvermögens, nämlich ganze 100 Milliarden, beanspruchen wollte, um damit einen US-getriebenen Wiederaufbau der Ukraine zum Vorteil von US-Firmen zu finanzieren, hat die Europäer aufgeschreckt.

Am kommenden Dienstag will Donald Trumps Gesandter Steve Witkoff den russischen Präsidenten Wladimir Putin treffen. Dann könnten die Ukraine-Verhandlungen in ihre entscheidende Phase gehen.

Für Unruhe dürfte derweil die jüngste Meldung sorgen, wonach die USA laut Außenminister Marco Rubio erst ein Friedensabkommen erreichen wollen, bevor sie Sicherheitsgarantien für die Ukraine zusagen. Die Europäer bestehen darauf, dass wirksame Sicherheitsgarantien Teil eines Abkommens sein müssen.

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