Der SPD-Politiker Georg Maier ist seit 2017 Innenminister von Thüringen. Der 58-Jährige ist Landesvorsitzender seiner Partei. Von Mittwoch bis Freitag findet die Innenminister-Konferenz (IMK) der Länder statt, an der auch Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) teilnehmen wird.
WELT: Herr Maier, Sie haben der AfD in Thüringen kürzlich vorgeworfen, durch sehr detaillierte parlamentarische Anfragen gezielt kritische Infrastruktur auszuforschen. Dabei sprachen Sie vom Verdacht einer „Auftragsliste des Kremls“. Welches Ziel haben Sie mit diesem Vorstoß verfolgt?
Georg Maier: Als Innenminister bin ich für die Sicherheit unseres Landes zuständig. Die schiere Anzahl der Kleinen Anfragen der AfD zu sicherheitsrelevanten Bereichen ist auffällig und stellt ein Problem dar. Was mir wichtig ist: Ich habe niemals Spionagevorwürfe gegen die AfD erhoben. Es geht nicht darum, dass die Partei illegal Informationen beschafft, die sie an fremde Mächte weitergibt. Das wäre ein Straftatbestand. Aber Abgeordnete versuchen gezielt, sicherheitsrelevante Informationen ans Licht der Öffentlichkeit zu zerren. Die Frage ist: Was machen sie damit? Wem nutzt das?
WELT: Ist es nicht Aufgabe der Opposition, Informationen zu erfragen und zu veröffentlichen, auch zu sicherheitsrelevanten Aspekten?
Maier: Die Kleine Anfrage ist ein wichtiges Instrument der Oppositionsarbeit. Aber die enorme Anzahl zu sicherheitsrelevanten Aspekten macht stutzig. Der AfD-Abgeordnete Ringo Mühlmann hat Hunderte detaillierte Anfragen gestellt, zur Drohnenabwehr durch unsere Polizei, zu militärischen Transporten der Nato, zum Bevölkerungsschutz. Allein in den letzten zwölf Monaten hat die AfD-Fraktion weit über Tausend Anfragen mit über Zehntausend Unterfragen an die Landesregierung gestellt. Die Informationen nutzt die AfD aber kaum für parlamentarische Initiativen. Es folgt in der Regel nichts. Offensichtlich geht es ihr auch darum, die Exekutive zu lähmen.
WELT: Aber im Moment fehlen Belege, dass die AfD das im Auftrag Russlands tut? Das war nämlich der Eindruck, der medial vermittelt wurde.
Maier: Ich habe nie gesagt, dass die AfD Spionage betreibt. Ich habe gesagt, dass man fast den Eindruck bekommen könnte, dass all das im Auftrag Russlands geschieht. Im Übrigen hege nicht nur ich den Verdacht: Auch im Bundestag und in anderen Landtagen sagen mir Abgeordnete: „Es ist ganz offensichtlich, dass hier Handlanger des Kremls am Werk sind.“ Die zahlreichen Kontakte und Reisen der AfD nach Russland tragen nicht unbedingt dazu bei, diesen Eindruck zu entkräften, im Gegenteil. Die AfD könnte die Informationen auch in vertraulicher Runde im Innenausschuss erfragen. Aber das tut sie nicht. Es geht ihr um die Offenlegung sicherheitsrelevanter Daten.
WELT: Sie fordern bisher als einer der wenigen Landesinnenminister ein Verbot der Partei. Was macht Sie so sicher, dass dies gelingen kann?
Maier: Der Spiritus Rector der besonders radikal ausgeprägten AfD (Landes- und Landtagsfraktionschef Björn Höcke, d. Red.) sitzt im Landtag nur drei, vier Meter von mir entfernt. Ich erlebe beinahe in jeder Landtagssitzung, wie er hetzerische Reden hält. Das reicht natürlich nicht für ein Verbot. Die AfD ist eine völkische Partei. Sie macht das Staatsvolk nicht an der Staatsbürgerschaft fest, sie definiert es ethnisch-kulturell. Und sie sagt auch ganz genau, wer nicht dazu gehört, zum Beispiel Muslime. Das Remigrationskonzept der AfD beinhaltet die Deportation von Deutschen, die nicht in das Staatsvolk-Konzept der AfD passen. Das ist ein Verstoß gegen die Menschenwürde.
Die Partei ist inzwischen wirkmächtig genug, diese Ziele umzusetzen. Sie geht auch planvoll vor. Björn Höcke macht kein Geheimnis daraus, dass er den Erfurter Flughafen zu einem „Remigrationshub“ ausbauen will. Er spricht von 20 Prozent der Bevölkerung, auf die man verzichten könne. Das ist ziemlich genau der Anteil der Menschen mit Migrationshintergrund. Die Frage ist: Kann man dieses Programm der Bundespartei zurechnen? Ich sage: ja. Parteichefin Alice Weidel, die Höcke noch vor einigen Jahren aus der Partei werfen wollte, stellt sich inzwischen ganz klar hinter ihn. Damit sind alle Voraussetzungen für ein Verbotsverfahren aus meiner Sicht erfüllt.
WELT: Nach dem berüchtigten Potsdam-Treffen Anfang 2024, auf dem über „Remigration“ gesprochen wurde, hat die Bundespartei festgestellt: Die Abschiebung deutscher Staatsbürger mit Migrationshintergrund stoße „auf unsere entschiedene Ablehnung“. Halten Sie das für Lippenbekenntnisse?
Maier: Das ursprüngliche „Remigrationskonzept“ stammt von Martin Sellner, dem Kopf der Identitären Bewegung. In seinem Buch beschreibt er glasklar, dass auch Deutsche von „Remigration“ erfasst sein sollen, die sich nicht „assimiliert“ haben. Höcke hat genau dieses Buch als das für ihn leitende Konzept bestätigt.
Nun könnte sich Weidel von alldem distanzieren. Aber das tut sie nicht. Nächstes Jahr findet ihr Bundesparteitag in Erfurt statt. Wenn ich mich nicht täusche, wird dann eine vollständige Machtergreifung stattfinden. Weil Höcke alle anderen, die vor ihm da waren, sukzessive beseitigt hat: Lucke, Petry, Meuthen (damalige AfD-Bundesvorsitzende, d. Red.). Weidel weiß ganz genau: Wenn sie sich Höcke in den Weg stellt, dann wird sie auch beseitigt. Und deshalb macht sie es nicht.
WELT: In Sachsen-Anhalt könnte die Partei im kommenden September die absolute Mehrheit erreichen, der dortige Landesverband wird als rechtsextremistisch eingestuft. Was würde ein AfD-Innenminister für die Sicherheitsarchitektur Deutschlands bedeuten?
Maier: Diese Frage macht mir Sorgen, besonders mit Blick auf die Innenminister-Konferenz als wichtigstes Vernetzungsgremium in Sachen Sicherheit. Wir sprechen dort über hybride Bedrohungen durch Drohnen, analysieren sensible Daten aus Polizei und Verfassungsschutz und reden über Gefahrenabwehr, die wir ausbauen möchten. Natürlich könnte eine demokratiefeindliche Kraft an dieser Stelle enormen Schaden anrichten. Gerade eine Partei, die enge Beziehungen zu autoritären Staaten pflegt. Frau Weidel hat ja kürzlich im Bundestag gesagt, ihre Partei habe „offene Kanäle“ nach Russland.
Sicherlich müssen wir angesichts dieser Lage über die Frage reden, ob die IMK ihre Entscheidungen auch zukünftig nach dem Prinzip der Einstimmigkeit fällt. Die Möglichkeiten zur Blockade sind offensichtlich. Ich will der Diskussion in dieser Woche in Bremen aber nicht vorgreifen. Das muss alles sauber abgewogen sein.
WELT: Landesbehörden kooperieren in keinem anderen Bereich untereinander und mit dem Bund so intensiv wie bei der inneren Sicherheit. Sehen Sie im Fall einer Regierungsverantwortung der AfD in den Ländern die Integrität des gesamten Sicherheitsapparates gefährdet?
Maier: Als Innenminister muss man immer mit der Lage umgehen, wie sie ist. Wir haben die Instrumente der wehrhaften Demokratie. Dann müssen wir sie auch nutzen. Wir werden vielleicht in die Situation kommen, wo die AfD vom Verwaltungsgericht in Köln als verfassungsfeindlich bestätigt wird. Das hätte dann konkrete Folgen.
Bei Mitgliedern einer extremistischen Bestrebung gilt laut Waffenrecht die Maßgabe, dass diese keine Waffen besitzen dürfen. Beamtinnen und Beamte, die sich extremistisch betätigen, können nicht im Staatsdienst sein. Zumindest müssten disziplinarische Maßnahmen folgen. Es gibt verschiedene Punkte, die dann eine Rolle spielen.
WELT: Welche Entwicklung erwarten Sie konkret unter einer möglichen AfD-Regierung? Eine Situation wie in Italien, wo mit Giorgia Meloni eine Politikerin einer rechtsextremen Partei an die Macht kam und sich im Amt eher mäßigte? Eine Situation wie in den USA unter Trump?
Maier: Die Strategie der AfD ist, die Demokratie von innen heraus zu zerstören. Die Partei wird alles nutzen, um destruktiv zu sein. Das ist doch klar. Wir schlafwandeln uns in ein Desaster hinein, wenn wir nicht endlich wach werden und merken, was für eine zerstörerische Kraft die AfD ist. Interessant ist doch, dass selbst die rechtspopulistischen Parteien in Südeuropa und in Frankreich nichts mit der AfD und ihrem aggressiv-völkischen Gebaren zu tun haben wollen.
Ich merke, dass es in Sachen Verbotsverfahren auch Bewegung gibt, vielleicht sogar ein Umdenken bei der Union. Im Bundestag fehlen nur 47 Stimmen, um das Verbotsverfahren einzuleiten. Das sind Stimmen der Union. In dem Prozess ist gerade richtig Bewegung drin, weil natürlich alle merken, was die Stunde geschlagen hat.
WELT: Das Thema Drohnen wird die IMK ebenfalls prägen. Für wie groß halten Sie die hybride Bedrohung aktuell?
Maier: Wir befinden uns mitten in einem hybriden Konflikt. Und wir alle wissen und sehen, wer der Aggressor ist. Und deshalb müssen wir uns jetzt intensiv darüber Gedanken machen, wie wir dagegenhalten. Wir sollten uns überlegen, ob wir den Tausenden Cyberattacken täglich zukünftig offensiver begegnen. Diese also nicht mehr nur abwehren, sondern selbst digitale Gegenwehr leisten. Wir sehen gleichzeitig massive Desinformationskampagnen, mit dem Ziel, uns zu destabilisieren.
Auch bei den Drohnenüberflügen geht es darum, die Gesellschaft zu verunsichern. Ich sehe das Bundesinnenministerium in der Pflicht, uns diese Woche ein sauberes Lagebild über hybride Bedrohungen zu präsentieren. Thüringen hätte aktuell gar nicht die finanziellen Ressourcen, um alle Drohnen allein zu bekämpfen oder im Ernstfall auch abzuschießen. Wir brauchen in der ganzen Bundesrepublik aber ein gleichbleibendes Level an Sicherheit.
WELT: Dazu bräuchte Ihre Landespolizei Signalstörer, Laser und Abfangdrohnen, um feindliche Objekte auszuschalten. Woher kommt das Geld für diese zusätzliche Aufgabe?
Maier: Wir stecken seit der Grundgesetzänderung im Frühjahr massiv viel Geld in unsere Verteidigung. Das ist auch richtig. Für die Drohnenbekämpfung brauchen wir Länder ebenfalls Mittel aus dem Sondervermögen. Wir als SPD-Länder fordern einen nationalen Aktionsplan zum Kampf gegen Desinformation und hybride Bedrohung.
Wenn eine verdächtige Drohne von Osten aus kommend über Deutschland fliegt, dann passiert sie vielleicht Sachsen und Thüringen, fliegt dann nach Hessen Richtung Frankfurter Flughafen. Damit sind drei Bundesländer betroffen, die sich während dieses Fluges abstimmen müssen, wer jetzt gerade für die Drohne zuständig ist, wer sie detektiert und wer sie im Zweifel runterholt. Als kleines Bundesland sind wir dabei bereit, Kompetenzen abzugeben. Hier brauchen wir klare Absprachen und die nötigen Ressourcen.
Ricarda Breyton schreibt seit vielen Jahren über Migrationspolitik und rechtspolitische Themen.
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