Als Kiews neues Verhandlungsteam zum Treffen mit hochrangigen Vertretern des Weißen Hauses eintraf, zeigte sich Miami von einer ungewohnten Seite: Es regnete. „Der Himmel zeigt deutlich, dass das Wetter alles andere als vorhersehbar ist. Wie ein Wetterfrosch sagen würde: Es gibt eine inhärente Schwierigkeit bei der Vorhersage, da die Atmosphäre ein chaotisches System ist, in dem kleine Veränderungen große Auswirkungen haben können“, orakelte Sergiy Kyslytsya, Vizeaußenminister der Ukraine, am Sonntag.
Es war die vorerst letzte Chance der Ukrainer, Einfluss auf Grundzüge eines neuen Friedensplans zu nehmen. Am Montag reist Donald Trumps Sonderbeauftragter Steve Witkoff gemeinsam mit Jared Kushner, Schwiegersohn des US-Präsidenten, nach Moskau. Dort sollen sie am Dienstag Russlands Machthaber Wladimir Putin treffen. Die Erwartungen sind groß: „Wir gehen jetzt in eine entscheidende Woche“, sagte Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) am Sonntagabend deutscher Zeit.
Trump formuliert es zurückhaltender. Nachdem der Republikaner Selenskyj zunächst eine Frist bis zum amerikanischen Thanksgiving am vergangenen Donnerstag gegeben hatte, um dem Friedensplan zuzustimmen, scheint er mittlerweile keine Eile mehr zu haben. „Ich habe keine Deadline“, kommentierte Trump am Sonntagabend Ostküstenzeit die Gespräche in Miami. Er zeigte sich zugleich erneut optimistisch. Es gebe „eine echte Chance für einen Deal“.
Die kommenden Tage werden zeigen, ob sich nach dem hektischen Verhandlungsmarathon der vergangenen zehn Tage ansatzweise Kompromisse zwischen Kiew und Moskau ausloten lassen. Allerdings hat Putin schon vor der Ankunft von Trumps Unterhändler Witkoff seine für Kiew inakzeptable Maximalforderung wiederholt. „Wenn die ukrainischen Truppen die von ihnen gehaltenen Gebiete verlassen, werden die Kämpfe aufhören. Wenn sie das nicht tun, werden wir dies mit militärischen Mitteln erreichen“, sagte der Kremlchef am Donnerstag.
Rubio spricht von „produktiven“ Gesprächen
Worte, denen Putin brutale Angriffe folgen ließ. Am Wochenende attackierten Dutzende Raketen und Hunderte Drohnen ukrainische Ziele, mindestens sechs Menschen starben. Keiner von Trumps Vertretern kommentierte am Wochenende Moskaus aggressives Vorgehen. US-Außenminister Marco Rubio, der mit Witkoff und Kushner die Verhandlungen am Sonntag führte, bezeichnete diese als „produktiv“. Es bleibe aber noch viel zu tun.
„Wir wollen nicht nur den Krieg beenden, sondern die Ukraine für immer sicher machen“, fügte Rubio hinzu. Der Ex-Senator gilt im Gegensatz zu Witkoff als ausgleichend und kritisch gegenüber Russland. Rubio war auch ausschlaggebend für die Integration Kiews und der Europäer in die Verhandlungen, nachdem die von Witkoff vorangetriebene erste Version des Friedensplans eine extrem prorussische Schlagseite hatte.
Die Gespräche in Florida am Sonntag wurden von Rustem Umerow geführt, Kiews Nationalem Sicherheitsberater. Selenskyjs Vertrauter und Ex-Präsidialamtschef Andrij Jermak war am Freitag wegen Korruptionsvorwürfen zurückgetreten – bei der US-Seite galt er als unbeliebt.
„Wir haben erhebliche Fortschritte bei der Förderung eines würdigen Friedens und der Annäherung unserer Positionen an die amerikanische Seite erzielt“, sagte Umerow nach dem Treffen. „Unsere wichtigsten Ziele – Sicherheit, Souveränität und verlässlicher Frieden – bleiben unverändert und werden von der amerikanischen Seite geteilt.“ Es werde weitere Konsultationen zur Vereinbarung eines gemeinsamen Rahmenbeschlusses geben.
Skepsis in Kiew
Die US-Seite hatte die Ukrainer auf dem Shell Bay Golf Club nördlich von Miami getroffen. Der private Klub gehört Witkoff, die Aufnahmegebühr soll bei mehr als einer Million US-Dollar liegen. Das „Wall Street Journal“ veröffentlichte am Wochenende eine Recherche mit dem Titel „Geld verdienen, statt Krieg führen: Trumps wahrer Plan für Frieden in der Ukraine“. Darin führte die Zeitung aus, dass Witkoff mit Moskaus Emissären primär Wirtschaftsdeals besprochen habe, denen sich die Bedingungen für einen Friedensplan – und damit die Ukrainer – unterordnen müssten.
Präsident Selenskyj erklärte nach Ende der Gespräche in Miami, es sei wichtig, „dass die Gespräche eine konstruktive Dynamik aufweisen und dass alle Themen offen und mit einem klaren Fokus auf die Gewährleistung der Souveränität und der nationalen Interessen der Ukraine diskutiert wurden“.
Doch in Kiew herrscht nach den Erfahrungen seit dem Alaska-Gipfel Mitte August Skepsis, was Witkoff dieses Mal aus Moskau zurückbringt. Ein mit den Verhandlungen vertrauter hochrangiger Beamter erklärte am Sonntag gegenüber „Politico“ (erscheint wie WELT im Axel-Springer-Verlag): „Die Ukrainer haben grundsätzlich den Eindruck, dass die US-Seite Selenskyj bei ihren Konsultationen mit Putin zu umgehen versucht, sich mit Putin auf etwas einigt, um dann wieder mit der Ukraine sprechen zu wollen.“
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