Stifte richtig halten, zuhören, schneiden: Früher waren diese Fähigkeiten selbstverständlich in Grundschulen, heute nicht mehr – das sagt die hessische Bildungsgewerkschaft GEW.
Sie übergab eine Resolution für bessere Arbeitsbedingungen mit Unterschriften von fast 1100 Grundschullehrern an das hessische Kultusministerium. Die Darmstädter und Dieburger Initiatorinnen kritisieren darin Kürzungen im Landeshaushalt, wie die Gewerkschaft mitteilte. Außerdem fordern sie „ein anderes Problembewusstsein und mehr Unterstützung“ vom Ministerium. Die Forderung: mehr qualifizierte Lehrer, mehr Psychologen und Klassen mit maximal 20 Kindern in Grundschulen.
In der Resolution heißt es laut GEW, Zuhören, Stifte halten können, Schneiden und Kleben seien bei Grundschülern nicht mehr selbstverständlich. Sprachdefizite und Angststörungen nähmen zu. Die Bedürfnisse der Schulkinder würden immer größer.
Initiatorin Heike Ackermann zu „Bild“: „Die Schüler wurden von der Politik allein gelassen und wir Lehrer auch.“ Die stellvertretende GEW-Vorsitzende und Grundschullehrerin fügt hinzu: „Wir als Gesellschaft sind aber mitverantwortlich dafür, dass es so weit gekommen ist. Die Kinder tragen keine Schuld.“
Immer mehr Kindern fehlen unter anderem „Anstrengungsbereitschaft und Konzentration, Frustrationstoleranz und die Fähigkeit, sich fair zu streiten und zu versöhnen“. Sie könnten nicht zuhören, mitdenken und nachfragen, Stifte nicht mehr richtig halten, nicht „schneiden, kleben, länger (aufrecht) sitzen, Schuhe binden“. Als weitere Defizite sind angegeben: „Ordnung halten, Regeln anerkennen und einhalten, selbstständiger Toilettengang“. Das bedeutet: Manche Kinder sind nicht gewohnt, Klopapier zu nutzen und sich selbst wieder anzuziehen. „Das berichten leider Kollegen“, so die GEW-Vize.
Ackermann erklärte, viele Lehrkräfte an Grundschulen seien an ihrer Belastungsgrenze angelangt. „Seit Jahren fordern wir kleinere Klassen, mehr multiprofessionelle Teams und mehr Zeit für die pädagogische Arbeit.“
Lehrer müssten alles stemmen: Demokratieerziehung, Digitalisierung, Integration und Inklusion
Grundschule sollen laut Ackermann immer mehr leisten: „Demokratieerziehung, Digitalisierung, Integration und Inklusion sind nur zu stemmen, wenn die Bedingungen daran angepasst werden.“
Im nächsten Schuljahr 2026/2027 tritt zudem die erste Stufe des Rechtsanspruchs auf eine ganztägige Förderung von Kindern im Grundschulalter in Kraft. Dann werden sich der GEW zufolge die Herausforderungen noch verschärfen.
Ein Sprecher des Kultusministeriums in Wiesbaden nahm die mehrseitige Resolution entgegen, samt mehr als 40 Seiten mit Unterschriften vor allem aus Südhessen, aber auch aus anderen Landesteilen.
Der Ministeriumssprecher sagte, die Resolution werde noch intern bewertet. Generell seien die Herausforderungen für Lehrkräfte wesentlich vielfältiger geworden. „Wir begegnen dem in Hessen unter anderem schon ein Jahr vor der Einschulung mit einer verpflichtenden Deutschförderung für Kinder mit Sprachdefiziten, dazu gibt es in der zweiten Klasse eine Stunde mehr Deutsch“, ergänzte der Sprecher.
Das Land setze in Schulen auf mehr Wertebildung, multiprofessionelle Teams und den Einsatz von Sozialpädagogen. Die schulpsychologische Unterstützung sei gerade weiter ausgebaut worden. „Aber auch die Elternhäuser sind bei der Erziehung gefordert und müssen mit an einem Strang ziehen“, betonte der Sprecher.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.