MDR AKTUELL: Die Grünen haben in Hannover den Klimaschutz lang und breit diskutiert. Ausgerechnet dieses Thema wird in Wählerumfragen regelmäßig, aber nicht zuerst genannt. Müssen Sie als Grüne die eigenen Grundüberzeugungen mehr hinterfragen? 

Susan Sziborra-Seidlitz: Ich glaube, es geht nicht um die Grundüberzeugung. Ich glaube, es geht darum, sehr deutlich darüber zu sprechen, was solche Themen wie Klimaschutz – das klingt ja erst mal sehr abstrakt – mit dem eigenen Leben zu tun haben und dann interessiert es die Menschen schon. 

Die Frage von Dürre oder die Frage von Hochwasserereignissen, die sind ja gerade in Sachsen-Anhalt sehr, sehr präsent. Insofern ist Klimaschutz vielleicht ein Thema, was sich so ein bisschen überhört hat, vor allem in der Abstraktheit, was aber sehr konkret mit dem Leben der Menschen zu tun hat. Aber es ist ja auch nicht das Einzige, was wir debattiert und beschlossen haben. 

Dennoch – dieser Markenkern, wenn man es so nennen will –, nämlich Klimaschutz bei den Grünen, der ist in der Ampelregierung durch das Heizungsgesetz schwer ramponiert worden. Wie wollen Sie weg vom Image als Besserwisser und Welterklärer? 

Gerade beim Thema Klimaschutz, gerade beim Thema Wärmewende haben wir am Wochenende beim Parteitag sehr wichtige Beschlüsse gefasst, die sehr deutlich machen, dass es eben nicht abstrakt um etwas geht, was in Berlin, Brüssel oder in Brasilien spielt, sondern um etwas, was konkret im Leben der Menschen stattfindet und an dem die Menschen auch teilhaben sollen.

Und am Beispiel Heizungsgesetz kann man das sehr gut sagen. Wir wissen alle, dass da Fehler gemacht worden sind – nicht nur in der Kommunikation, sondern vielleicht auch ein bisschen im Anspruch. Und vor allem sind diejenigen übersehen worden bei all dem, was da vorgeschlagen worden ist, von denen es gerade im Osten, gerade in Sachsen-Anhalt, relativ viele gibt. Diejenigen, die zwar Wohneigentum haben, aber darüber hinaus nicht besonders viel besitzen.

Und natürlich haben Menschen, die nichts auf der hohen Kante haben, Angst davor, dass man sie zwingt, die Heizung auszubauen. Wie soll man auch die Heizung tauschen, wenn es am Ende des Monats nicht mal für Lebensmittel reicht? 

Wie soll man die Heizung tauschen, wenn es am Ende des Monats nicht mal für Lebensmittel reicht? 

Susan Sziborra-SeidlitzSpitzenkandidatin Die Grünen, Sachsen-Anhalt

Insofern ist es total wertvoll, dass wir uns als Partei gerade mit Blick auf die Menschen mit den kleinen und den kleinsten Einkommen mit der Frage beschäftigt haben: Wie lässt sich das dann eigentlich finanzieren? 

Finanzierung, das ist eine wichtige Frage für viele. Aber wie wollen Sie jetzt konkret den Klimaschutz in diese Lebenswirklichkeit, die Sie jetzt anerkennen, einpassen? 

Zum Beispiel gehört dazu, anzuerkennen, dass Menschen im ländlichen Raum, um wirklich mobil zu sein, um wirklich im Leben klarzukommen – zum Arzt in in der nächsten Kleinstadt zu kommen oder auch zum Einkaufen – meistens mindestens auf ein Auto angewiesen sind. 

Wir wollen natürlich dafür sorgen, dass der ÖPNV das Zweit- oder Drittauto ersetzt, aber ohne Auto geht es auf dem Land nicht. Und da muss man sich zum Beispiel mit der Frage beschäftigen, wie man es schafft, dass diese individuelle Mobilität elektrischer wird. Und auch da braucht es zum Beispiel Programme wie das Social-Leasing-Programm, was wir beschlossen haben, was dann dafür sorgt, dass sich auch Menschen mit geringen Einkommen Elektromobilität leisten können. 

Wie schaffen Sie es, mit weniger Ideologie, mit weniger moralischer Überheblichkeit unterwegs zu sein? 

Na ja, diese moralische Überheblichkeit ist uns ja an vielen Stellen auch ein bisschen angedichtet worden. Das ist ein beliebtes Klischee über Grüne. Tatsächlich ist aber genau das Hinschauen – wie leben denn die Menschen wirklich, was brauchen denn die Menschen wirklich – und das Anerkennen von Lebensrealitäten der Weg dahin. Das kann man sehr, sehr gut miteinander verknüpfen.

Am Ende ist es nicht so, dass Menschen mit einem geringen Einkommen die Zukunft egal ist. Sie müssen nur ein Gefühl dafür kriegen, wie sie dazu beitragen können. Und ich glaube, das ist uns am Wochenende ganz gut gelungen deutlich zu machen, dass wir diese Menschen sehen und dass wir diese Menschen auch mitdenken. 

Am Ende ist es nicht so, dass Menschen mit einem geringen Einkommen die Zukunft egal ist.

Susanna Sziborra-SeidlitzSpitzenkandidatin Die Grünen, Sachsen-Anhalt

Bundesparteichef Felix Banaszak hat kurz nach dem Parteitag von Hannover gesagt, dass die Partei mit einer gewissen Gelassenheit die Menschen so akzeptieren sollte, wie sie sind. Wie viel Gelassenheit trauen Sie Ihrer Partei da zu?

Das ist wie in allen Parteien und wie mit den Menschen, die Herr Banaszak gerade beschrieben hat, sehr, sehr unterschiedlich.

Es gibt ganz sicher bei uns auch Menschen, wie sie es überall gibt, die nicht so ganz weit über ihren eigenen Tellerrand hinaus und über ihre eigenen Erfahrungshorizont hinausschauen mögen oder können. Aber in der großen Masse habe ich schon das Gefühl, dass unsere Mitglieder, gerade die in Sachsen-Anhalt, selber sehr eng verbunden sind mit dem normalen Leben im ländlichen Raum, oder diejenigen, die in Magdeburg oder Halle wohnen. Und ich sehe schon, dass es da eine eher größere Gelassenheit gegenüber anderen Lebensentwürfen gibt.

Am Ende kommt es nicht darauf an, dass jeder oder jede Einzelne vegan sein müsste oder nicht mehr fliegen dürfte oder unbedingt nur ÖPNV fahren müsste. Am Ende geht es um die ganz großen Entscheider, am Ende geht es um politische Entscheidungen, am Ende geht es um solche Sachen wie Flugsteuer. Und nicht darum, dass man nicht mehr nach Malle in den Urlaub fliegen kann, wenn man sich halt einmal im Jahr den Urlaub leisten kann. 

Ich glaube, dass diese Verbotsanmutung uns gegenüber auch viel mehr Zuschreibung als Realität war. Natürlich gehört zur Politik Rahmensetzung und bei uns hat man diese Rahmensetzung immer sehr gerne als Verbot geframed. Aber das halte ich tatsächlich mehr für Erzählung als für Realität. 

MDR AKTUELL

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