Nach Ansicht von Sicherheitsexpertin Claudia Major hat Moskau eine viel deutlichere Einstellung zur aktuellen geopolitischen Lage als etwa Berlin. „Aus russischer Sicht ist der Konflikt mit dem Westen bereits ein Krieg“, sagte die Politikwissenschaftlerin vom German Marshall Fund der „Zeit“. Und: „Das bisherige Verhalten Russlands spricht dafür, dass Moskau eskalieren wird, bis sich sein Kosten-Nutzen-Kalkül verändert.“ Im Westen betrachte man Krieg als „moralisch, wirtschaftlich, ethisch verwerflich“, eine Art letzte Möglichkeit. „Deswegen fällt es vielen so schwer, anzuerkennen, dass aus russischer Perspektive Krieg führen effizient und legitim ist.“
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In Deutschland sei man zudem ein klares Schema gewohnt, in dem deutlich zwischen Kriegs- und Friedenszustand unterschieden wird. Manche Staaten würden inzwischen aber anderen ihren Willen „zunehmend“ durch Operationen „unterhalb der Schwelle militärischer Gewalt“ aufzwingen.
Als Beispiele nannte sie Beschädigungen von Unterseekabeln, Drohnenüberflüge und Cyberangriffe, außerdem Propaganda und Desinformation. Auf Nachfrage betonte Major, sie meine mit dem Gegenüber in solchen Situationen nicht nur Russland, sondern auch unter anderem China.
Eine „erste Herausforderung“ sei es, „diese Gewalt überhaupt als solche anzuerkennen“. Die zweite sei es, sich auf eine Reaktion zu verständigen. In Deutschland werde das erschwert durch verschiedene, juristisch klar definierte Lagen mit jeweils unterschiedlichen Befugnissen. Für Major sind diese starren Kategorisierungen ein Nachteil: „Unsere klaren Vorgaben passen gerade nicht mehr zu der diffusen Wirklichkeit.“
Russland führt seit 2014 einen Krieg in der Ukraine, 2022 folgte die groß angelegte Invasion des ganzen Landes. Die Ukraine konnte den Großangriff abwehren und einige zeitweise besetzte Gebiete zurückerobern, steht besonders im Osten des Landes aber immer stärker unter Druck. Die russischen Streitkräfte rücken dort langsam, aber stetig vor.
Außerhalb der Ukraine hat es in den vergangenen Monaten verstärkt Vorfälle gegeben, die von Experten als russische Tests oder Provokationen angesehen werden, etwa das Eindringen einer größeren Gruppe Drohnen in den polnischen Luftraum, Überflüge von Kampfjets über Nato-Gebiet oder sogar mutmaßliche Attentatspläne gegen unliebsame Personen, etwa den Vorstandsvorsitzenden des Rüstungskonzerns Rheinmetall, Armin Papperger.
Russland wolle mit Aktionen wie den Drohnenflügen Botschaften senden, sagte Major. „Putin redet die ganze Zeit mit uns. Er sagt sehr viel, er sagt auch sehr klar, was er macht. Aus irgendeinem Grund wird es an vielen Stellen in Deutschland und Europa nicht ernst genommen.“
Zur oft geforderten Diplomatie gegenüber Moskau sagte Major: „Die Möglichkeit zu Gesprächen mit Russland gibt es immer, wenn Moskau Interesse hat. Wenn aber Russland einen Nato-Staat militärisch angreift oder Atomwaffen einsetzt, sind wir in einer anderen Welt.“ Ein „ehrliches Interesse an Deeskalation“ könne sie beim Kreml „leider nicht erkennen“.
Und weiter: „Die Europäer wollen nicht eskalieren. Die Nato will keinen Krieg.“ Abschreckung habe in beide Richtungen gewirkt. Zum einen unterstütze der Westen die Ukraine nur „sehr vorsichtig, weil Russlands nukleare Drohungen funktionieren und damit größere Unterstützung abschreckt“. Russland hingegen meide „bislang jeden militärischen Konflikt mit der Nato, weil es mit einer Antwort rechnen muss, die es nicht will“.
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