Immerhin gab es etwas zu essen an diesem Donnerstagmittag im Kanzleramt: Lachsschnitte mit Reis und rote Bete. Ein Stück Kuchen hinterher. Auch eine Tasse Kaffee. Aber sonst? Mussten die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände nach dem gemeinsamen Mahl mit Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) unverrichteter Dinge und mit leeren Händen abziehen.
Die „Soforthilfe“, um die der Präsident des Deutschen Städtetags, Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD), angesichts der eklatanten Finanznot der Kommunen so dringend gebeten hatte, wird es bis auf Weiteres nicht geben.
Mehr noch: Die im Anschluss an das Treffen des Kanzlers mit den Kommunen tagende Konferenz der Regierungschefs von Bund und Ländern konnte sich nicht auf die als ebenso notwendigen strukturellen Finanzreformen zugunsten von Städten, Gemeinden und Kreisen einigen. Und das, obwohl sich die Ministerpräsidenten und der Kanzler im Grunde einig sind, dass es so, wie es bisher war, nicht weitergehen kann. Dass die Kommunen eben nicht ständig finanziell ausbaden dürfen müssen, was die beiden oberen politischen Ebenen sich gerade so einfallen lassen. Und dadurch selbst, Stück für Stück, jeden eigenen Spielraum für das Setzen eigener kommunaler Akzente verlieren.
Das potenzielle Gegenmittel – diejenige politische Ebene, die ein Gesetz veranlasst, steht auch für die finanziellen Folgen gerade – finden alle gut. Über die Details aber, die genaue Zusammensetzung des Gegenmittels, konnten sich die Vertreter von Bund und Ländern im Vorfeld der Ministerpräsidenten-Konferenz (MPK) mit dem Kanzler nicht einigen. Auch im direkten Gespräch mit Merz ergab sich keine Lösung für diese, so formulierte es der rheinland-pfälzische Ministerpräsident und MPK-Chef Alexander Schweitzer (SPD), „dramatische Lage“.
Stattdessen wurde das Ganze noch einmal vertagt – wenn irgend möglich, so Merz und Schweitzer am Abend unisono, soll es möglichst innerhalb des ersten Quartals des Jahres 2026 eine Sonder-MPK mit dem Kanzler geben. Es habe sich in den Gesprächen herausgestellt, sagt Merz, „dass das Thema sehr viel komplexer ist, als es ursprünglich angenommen wurde“.
Die enorme Finanzlast durch die „Leistungsgesetze“
Strittig ist zwischen Bund und Ländern zum einen die künftige Aufteilung der Folgekosten aller, in der Regel von Bundestag und Bundesrat zu verantwortenden sogenannten Leistungsgesetzen zwischen diesen beiden staatlichen Ebenen. Darunter fallen zum Beispiel die verpflichtenden Eingliederungshilfen für Menschen mit Behinderungen oder auch Mittel für die Integration Geflüchteter.
Während die Bundesregierung die Ansicht vertritt, dass solche Folgekosten staatlicher Gesetzgebung generell zu teilen wären zwischen Bundes- und Landesregierungen, verlangen die Länder eine 100-prozentige Erstattung durch den Bund. Auch über die vorgesehene Dauer möglicher Kompensationszahlungen sind sich beide Seiten nicht einig. Der Bund will seine Zahlungspflicht erst einmal auf diese Legislaturperiode befristen – die Länder fordern eine grundsätzliche Lösung.
Zum anderen, so der Kanzler, sollen sich Bund, Länder und Kommunen in den kommenden Wochen auch Gedanken darüber machen, wie „die Leistungsgesetze gezielt angewendet“ und so die „Ausgaben unter Kontrolle gebracht“ werden können. Mit anderen Worten: Merz will die Ausgaben für staatliche Leistungen nicht nur von einer föderalen Ebene auf die andere verschieben; er will diese Ausgaben möglichst auch deutlich verringern. Zu klären sei deshalb in den kommenden Wochen, ob „wir das, was wir in den Leistungsgesetzen gegenwärtig haben, auf Dauer noch finanzieren“ können. „Oder gibt es intelligentere, klügere, bessere Möglichkeiten, diese Leistungsgesetze auszuführen?“
Nach einer Schätzung des Deutschen Landkreistages wird sich das Defizit der Gemeinden in diesem Jahr bundesweit auf 35 Milliarden Euro addieren, noch einmal neun Milliarden mehr als 2024. Ein Rekordwert in der deutschen Nachkriegsgeschichte. Der resultiert unter anderem aus dem Anstieg der von der Bundesgesetzgebung veranlassten Sozialausgaben, den Preis- und Lohnsteigerungen der vergangenen Jahre, der andauernden Wirtschaftskrise und dem damit einhergehenden Rückgang der Gewerbesteuer-Einnahmen in den Kommunen.
Im Gespräch mit dem Bundeskanzler hatten die kommunalen Spitzenverbände deshalb eine deutliche Anhebung des Umsatzsteuer- oder alternativ des Einkommensteuer-Anteils der Kommunen angeregt. Auch eine Absenkung beziehungsweise ein gänzlicher Verzicht auf die Gewerbesteuer-Umlage, die die Kommunen bisher an Bund und Länder weitergeben müssen, wurde angesprochen. Zusagen oder auch nur die Andeutung von Lösungswegen seitens des Bundes habe es nicht gegeben, berichteten Gesprächsteilnehmer im Anschluss an das Mittagessen mit Merz.
Städtetagspräsident Jung versuchte sich dennoch an einem positiven Fazit zum Donnerstag: Zwar gebe es keine „handfesten Ergebnisse“, dennoch sei er verhalten optimistisch. „Wir haben gespürt: Dem Bundeskanzler ist der Ernst der Lage klar, was die katastrophale Finanzsituation der Städte angeht.“ Die Gespräche würden fortgesetzt und dann werde man „hoffentlich schnell zu großen Lösungen kommen, die die Städte wirklich entlasten“.
Ulrich Exner ist politischer WELT-Korrespondent und berichtet vor allem aus den norddeutschen Bundesländern.
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