Als in der vergangenen Woche ein verheerendes Feuer durch das Viertel Tai Po fegte, reagierten die Hongkonger auf die einzige Weise, die sie kennen: indem sie einander halfen – lange bevor die Behörden eintrafen. Freiwillige organisierten Sammelstellen für Lebensmittel, Decken, Medikamente und SIM-Karten. Fremde boten Unterkunft an.

Viele sagten mir, es habe sich „wie 2019“ angefühlt – ein Verweis auf die prodemokratische Protestbewegung, als Millionen mit beeindruckender Disziplin, Mitgefühl und Mut auf die Straße gingen. Und doch fehlte etwas: Joshua Wong, Gwyneth Ho und Dutzende andere, die einst an vorderster Front der Zivilgesellschaft standen, sitzen heute im Gefängnis, warten auf ihren Prozess oder leben im Exil. Die Menschen in Hongkong haben sie nicht vergessen. Wir mussten nur ohne sie weitermachen.

Seit der Verhängung des Nationalen Sicherheitsgesetzes (NSL) 2020 hat die Stadt einen umfassenden Umbruch erlebt: Die unabhängige Presse wurde zerschlagen. Gewerkschaften und NGOs mussten sich auflösen. Friedliche Handlungen wurden als Grundlage für Verhaftungen genutzt. Die Regierung nennt das „die Ordnung wiederherstellen“. Die Öffentlichkeit versteht es als Kriminalisierung des zivilgesellschaftlichen Lebens.

Dieses Klima prägte auch die Reaktionen auf das Feuer mit mindestens 159 Toten. Bewohner, die Sicherheitsmängel ansprachen, die zu dem Brand beitrugen, wurden ermahnt, keine „Gerüchte zu verbreiten“. Freiwillige, die versuchten, die Verteilung von Hilfsgütern zu koordinieren, wurden wegen „unerlaubter Versammlung“ bei der Polizei gemeldet. Die Regierungen in Peking und Hongkong haben Angst vor jeder Form bürgerschaftlicher Organisation, egal, wie harmlos sie ist.

Und doch finden die Menschen weiterhin Wege des Widerstands. Vor dem Brandort bildeten sich lange Schlangen, wo Einwohner Blumen niederlegten und ihre Anteilnahme zeigten. Alle wussten um das Risiko: Unter dem NSL kann jede Versammlung als politischer Akt ausgelegt werden. Die Menschen nickten sich leise zu, im Bewusstsein, gefilmt, erfasst und beobachtet zu werden. Und trotzdem kamen sie.

Nach dem langen Schweigen in den vergangen fünf Jahren erkennen wir uns nun wieder – und sehen, dass wir nicht allein sind. Diese Gesten mögen aus der Ferne klein erscheinen, doch im heutigen Hongkong haben sie enorme Bedeutung. Fünf Jahre nach Einführung des NSL ist der Geist der Stadt nicht erloschen. Die Menschen bewegen sich innerhalb immer engerer Grenzen, aber sie drücken diese jeden Tag ein Stück weiter hinaus.

Das Feuer legte nicht nur die tödlichen Folgen von Korruption und systemischem Versagen offen; es zeigte auch den beharrlichen Mut gewöhnlicher Bürger, die ihre Solidarität nicht aufgeben. Für Leser in Deutschland oder anderswo zeigt dies, was geschieht, wenn eine Gesellschaft mit starken zivilgesellschaftlichen Instinkten unter autoritären Druck gerät.

Selbst wenn Institutionen zusammenbrechen, kann das soziale Gefüge bestehen. Selbst wenn Führungspersonen im Gefängnis sitzen, finden Gemeinschaften Wege, die Lücken zu füllen. Und selbst wenn die Risiken groß sind, stehen Menschen zusammen – nicht, weil sie mit einem Sieg rechnen, sondern weil dies der letzte Beweis dafür ist, dass sie überhaupt noch ein Volk sind.

Glacier Kwong schreibt diese Kolumne im Wechsel mit Joshua Wong. Die beiden jungen Aktivisten aus Hongkong kämpfen gegen den wachsenden Einfluss Chinas in ihrer Heimat. Da Wong derzeit inhaftiert ist, setzt Kwong diese Kolumne einstweilen allein fort.

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