Es ist alles eine Frage des Geldes. Das gilt nicht nur für den höchst angespannten Zustand der Koalition von SPD und Union. Es beschäftigt auch landauf, landab Soziologen, Ökonomen, Politologen, Philosophen – im Grunde Denker und Autoren aller Art.

Während Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sich mit einer Rekordverschuldung des Haushalts durchs Amt kämpft und manchem als größter Wortbrecher aller Zeiten gilt, denkt man in Zürich in landeseigener Distanz grundsätzlich über den Sinn und Unsinn von Schulden nach.

So sucht die Dezember-Ausgabe des „Schweizer Monats“ ökonomisch, politisch, historisch und sogar theologisch nach Wegen aus dem „Schuldentaumel“. Der britische Historiker Harold James erinnert an das 17. Jahrhundert, als die Bank of England gegründet wurde und „aus der Schuldenlast des Staates ein Motor des Fortschritts“ geworden sei. Die „Magie des Geldes“ habe die Regierungen zum ersten Mal in die Lage versetzt, „künftige Einnahmen in gegenwärtige Kaufkraft“ zu verwandeln.

Doch was zunächst magisch klingt, hat bekanntermaßen einen Riesenhaken: Lebt eine Regierung chronisch auf Pump, müssen künftige Generationen dafür zahlen. Die Fiskalpolitik nach dem Prinzip des „Carpe diem“ auszurichten mag kurzfristig mehr Wählerstimmen erzeugen (wobei es selbst darauf keine Garantie gibt, wie man an der schwarz-roten Koalition sehen kann) – mit verantwortlichem Handeln hat das hingegen wenig zu tun.

Dabei würde sich wohl kaum jemand damit brüsten, verschuldet zu sein. Selbst jene, die in vulgärsozialistischer Manier eine endlose Staatsverschuldung für normal halten, können sich der leicht anrüchigen Konnotation des Schuldenmachens nicht entziehen. Der aktivistische Ruf nach einem Schuldenerlass armer Staaten, auf den James hinweist, hat genau damit zu tun.

Anders als kategorische Gegner oder Befürworter der Verschuldung gelingt dem Historiker allerdings eine neue Wendung des Themas. Ohne einer verstaubten keynesianischen Fiskalpolitik das Wort zu reden, zieht er in Zweifel, dass die Befreiung von Schulden wirklich so heilsam wäre, wie viele Menschen glauben.

Schulden begründen nach James nicht nur die „Verpflichtungen, die seit Jahrtausenden das Gefüge der Weltwirtschaft zusammenhalten“. Sie sind für ihn sogar von anthropologischer Bedeutung: „Schulden tragen dazu bei, dass wir uns sozialisieren. Sie gehören zu den Grundpfeilern menschlicher Identität, weil sie anerkennen, dass wir durch unsere vergangenen Handlungen gebunden sind – und uns so über die Zeit hinweg als dieselbe Person begreifen.“

So viel Versöhnlichkeit wünschte man einmal dem politischen Berlin, das aus jedem Detail des Geldes allzu gern eine Existenzfrage der Regierung macht und fast schon enttäuscht verstummt, wenn der große Knall dann doch ausbleibt.

Selbst gewählte Askese – auch ein Weg für Regierungen?

Unbeeindruckt von dieser Gier nach Verschuldungsskandalisierung und Schuldzuweisungen zeigt sich derweil das „Kursbuch“. Auch hier stellt man sich in der Dezember-Ausgabe der Frage des Zuviel oder Zuwenig, findet aber gelassen den Mittelweg. „Askese ist nötig, um das richtige Maß einzuüben“, meint etwa der Philosoph Wilhelm Schmid.

Wer nun gleich wieder erzürnt den Verdacht hegt, hier handle es sich um einen dieser „Verzichtsprediger“, die in diesem wohlstandsverwöhnten Land fast so verpönt sind wie die früheren Ampel-Tiraden um das Heizungsgesetz, lese bitte weiter. Es gehe darum, so Schmid, „mit einem Übermaß an Möglichkeiten zurechtzukommen“.

Da arte die freie Wahl zum Zwang aus, meint Schmid – und empfiehlt folgerichtig selbst gewählte Askese. Vielleicht wäre das auch eine geeignete Handlungsanleitung für gegenwärtige und künftige Regierungen, wenn sie vor dem nächsten Schuldenberg stehen?

Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Politikredakteurin Hannah Bethke ist bei WELT zuständig für die SPD und innenpolitische Debatten.

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