Am Freitag noch versetzte die neue Nationale Sicherheitsstrategie der US-Regierung Europa in Aufruhr. Die Europäer fielen absehbar als verlässliche Verbündete aus, weil Massenmigration und fehlende Meinungsfreiheit den Kontinent an den Rand der „zivilisatorischen Auslöschung“ gebracht hätten, erklärte die Regierung von Donald Trump. Wie schon vor zwei Wochen, als ein einseitig von Washington verhandelter prorussischer Friedensplan für die Ukraine publik wurde, standen die Europäer mit dem Rücken zur Wand.

Washington hob Deutschland in seiner Nationalen Sicherheitsstrategie (NSS) gesondert heraus. Die Bundesregierung hintergehe die Bemühungen um einen Frieden in der Ukraine, so die Behauptung. Deutsche Chemieunternehmen bauten in China „einige der weltweit größten Verarbeitungsanlagen, wobei sie russisches Gas verwenden, das sie im eigenen Land nicht bekommen können“.

Kaum 24 Stunden später trat Pete Hegseth ans Mikrofon in der Ronald Reagan Presidential Library in der Nähe von Los Angeles. Der US-Kriegsminister gilt in Trumps Regierung als eine Hauptfigur der MAGA-Bewegung. Über den Hügeln Kaliforniens erörterte Hegseth das „America First“-Denken seines Präsidenten. Die Zeit der Schmarotzer sei vorbei, so Hegseth. „Ich werde unsere Kämpfer nicht bitten, die Rechnung für Verbündete zu bezahlen, die ihre Verteidigung selbst finanzieren können. Sondern für Dinge zu kämpfen, die Amerika und die Amerikaner sicher, frei und wohlhabend machen.“

Plötzlich spricht Hegseth von „vorbildlichen Verbündeten“

Diese Überzeugung der Trump-Administration ist hinlänglich bekannt. Doch dann fiel ein erstaunlicher Satz. Es sei an der Zeit, dass sich Amerikas Verbündete behaupten, und einige täten das auch, so Hegseth. „Vorbildliche Verbündete, die sich engagieren, wie Israel, Südkorea, Polen, zunehmend auch Deutschland, die baltischen Staaten und andere, werden unsere besondere Gunst erhalten“, versprach der Minister.

Präsident Trump helfe gerne Ländern, „die sich selbst helfen. Das ist das Wesen von Partnerschaften und nicht von Abhängigkeiten. Das sind wir unseren Freunden schuldig und vor allem den Amerikanern“. Die US-Regierung, so Hegseths Aussage, wolle einen „starken gemeinsamen Schutzschild bilden“ und mit Verbündeten, die Verantwortung schultern, „gemeinsame Interessen verteidigen“.

Das klang anders als das, was noch tags zuvor aus dem Weißen Haus gekommen war. Dass Hegseth diese Worte sprach, ist bedeutend.

Dazu muss man wissen: Die NSS ist ein politisches Dokument, dessen Inhalt im Oval Office, im Nationalen Sicherheitsrat, im Außen-, Innen- und Finanzministerium verfasst wird. Sie ist wiederum die Grundlage für die National Defense Strategy (Verteidigungsstrategie), die üblicherweise nach der Sicherheitsstrategie veröffentlicht wird. Mit der Verteidigungsstrategie rechnet man in Washington jetzt jederzeit.

Die Besonderheit: Im Gegensatz zur NSS entsteht die Verteidigungsstrategie im Pentagon – dem Hegseth vorsteht. Sein Haus formuliert somit also die operative Umsetzung der Sicherheitsstrategie. Beispielsweise in Form der Stationierung von US-Truppen, was für Deutschland und Europa entscheidend ist.

In Washington rechnet man damit, dass das Pentagon einen Abzug von Truppen ankündigen wird. Allerdings keine großen Zahlen in kurzer Zeit. „Das wird graduell stattfinden“, gibt sich ein europäischer Diplomat überzeugt.

Und mit Sicht auf die Aufruhr stiftende NSS sagte eine europäische Diplomatin: „Wir arbeiten auf so vielen Ebenen mit der US-Administration zusammen. Die Nationale Sicherheitsstrategie muss man vor allem als innenpolitisches Dokument verstehen.“

Stefanie Bolzen berichtet für WELT seit 2023 als US-Korrespondentin aus Washington, D.C. Zuvor war sie Korrespondentin in London und Brüssel.

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