Andreas Henne, 59, ist Generalmajor des Heeres und seit Anfang 2025 Kommandeur der Heimatschutz-Division der Bundeswehr. Zuvor war er in verschiedenen Positionen innerhalb des territorialen Führungskommandos und der Reserve-Organisation tätig.

WELT: Herr Generalmajor, welche konkreten Aufgaben erfüllt der Heimatschutz innerhalb der Bundeswehr?

Generalmajor Henne: Der Auftrag ist, den „Operationsplan Deutschland“ und die Funktion der „Drehscheibe Deutschland“ sicherzustellen. Wir halten die Marschkorridore offen, also die Wege, auf denen Truppen von West nach Ost verlegt werden. Diese Straßen und Brücken, ebenso wie andere verteidigungswichtige kritische Infrastruktur, liegen in unserer Verantwortung. Wir sichern sie, ebenso Kasernen, Rechenzentren und weitere wichtige Punkte. Ab dem 1. Juli kommenden Jahres übernehmen wir zusätzlich die Führung von Amtshilfeleistungen bei Naturkatastrophen, etwa bei Einsätzen wie im Ahrtal oder an der Elbe, und das im In- und Ausland.

WELT: Warum ist die deutsche Heimatschutz-Division so wichtig für die derzeit angespannte sicherheitspolitische Lage in Europa?

Henne: Die Heimatschutz-Division ist eine Grundvoraussetzung für den erfolgreichen Aufmarsch der Nato und unserer eigenen Kräfte und damit zentral für die Abschreckung gegenüber Russland. Wenn die „Drehscheibe Deutschland“ reibungslos funktioniert, erreichen alliierte und deutsche Truppen zur richtigen Zeit den richtigen Ort. So wird deutlich, dass Russland von Beginn an mit dem Gros der Nato-Kräfte rechnen muss. Das ist Abschreckung und die beste Voraussetzung dafür, dass wir keinen Krieg führen müssen. Da fast alle Heereskräfte in Nato-Verpflichtungen gebunden sind, bleibt im Ernstfall nur die Heimatschutz-Division im Land. Wir übernehmen diese Aufgabe.

WELT: Die Heimatschutz-Division wurde von der Bundeswehr Anfang des Jahres neu aufgestellt und dem Heer unterstellt. Wie weit sind Sie bereits gekommen?

Henne: Wir sind sehr weit gekommen. Am 1. Oktober haben wir mit dem Heimatschutzregiment 6 in Möckern den letzten Truppenteil aufgestellt. Inzwischen läuft die Basisausbildung, wodurch wir unseren aktiven Personalkörper weiter vergrößern. Die Division umfasst 60 Kompanien – 54 davon sind reine Reservisten-Kompanien, sechs dienen der Ausbildung. Der durchschnittliche Befüllungsstand beim aktiven Personal liegt bei etwas über 70 Prozent, bei den Reservisten bei gut 60 Prozent. Manche Truppenteile sind bereits hervorragend besetzt, andere noch im Aufbau. Im Ziel werden wir rund 7000 Soldaten haben.

WELT: Gibt es aktuell überhaupt genug Infrastruktur, um die Vielzahl an neuen Soldaten unterzubringen?

Henne: Wir stehen – anders als die schon länger aktiven Truppenteile – vor einer doppelten Herausforderung. Unsere Reservisten konnten bis vor Kurzem keine eigene Infrastruktur begründen. Das hat sich inzwischen geändert, aber dadurch fehlten uns zunächst Bestandsgebäude, in die wir zusätzliches Personal aufnehmen konnten. An unseren sechs Regimentsstandorten gibt es unterschiedlich ausgeprägte Infrastruktur. Dort können wir unsere Soldaten zwar stationieren, allerdings werden wir vielerorts zwei Ausbildungsgänge parallel durchführen, und da wird die Infrastruktur zum begrenzenden Faktor. Die Kapazitäten sind knapp. Wir greifen deshalb vorübergehend auf Containerdörfer zurück. Auf deren Fertigstellung bis 2026, spätestens 2027 sind wir dringend angewiesen.

WELT: Und kommt es bei der Ausstattung der Soldaten zu Engpässen?

Henne: Der Befehl lautet, dass wir bis 2026 rund 30 Prozent unserer Ausrüstung haben sollen. Dieses Ziel, ursprünglich für die regionalen Sicherheits- und Unterstützungskräfte, erreichen wir bereits jetzt. 100 Prozent sind es aber noch nicht, was auch nicht dramatisch ist, weil wir in neue Aufgaben hineinwachsen und erst nach und nach genau wissen, was wir brauchen.

Ein Beispiel: Ab dem 1. Juli 2026 stellen wir einen neuen Anti-Drohnen-Zug auf – eine taktische Einheit von 25 bis 50 Soldaten. Am 1. April 2025 war diese Aufgabe noch gar nicht definiert. Die Ausrüstung dafür kommt, das Personal ebenfalls. Des Weiteren habe ich jetzt entschieden, an allen Standorten G36-Gewehre einzulagern. Wir warten also nicht auf das neue G95, sondern stellen sicher, dass jeder Soldat ein G36 samt Munition sofort zur Verfügung hat. Damit sind wir sofort einsatzfähig. Voraussichtlich werden wir auch Transportpanzer bekommen. Wichtig ist: Die Soldaten spüren, dass sich etwas bewegt – das motiviert enorm.

WELT: Der Krieg in der Ukraine macht deutlich, welch hervorgehobene Stellung der Einsatz von Drohnen mittlerweile hat. Ist der Heimatschutz darauf vorbereitet?

Henne: Oft heißt es auch, in den Regimentern gebe es keine Drohnen. Das stimmt nicht: Wir haben inzwischen eine signifikante Zahl eingeführt und bilden unsere Soldaten aktiv daran aus. Ziel ist, dass möglichst jeder eine Drohne bedienen kann. Ob das in Friedenszeiten alles zulässig ist, steht auf einem anderen Blatt. Aber Krise, Krieg oder Verteidigungsfall sind eben kein Frieden. Wir müssen sicherstellen, dass diese zentrale Fähigkeit in allen Zügen und Kompanien vorhanden ist.

All das zeigt: Die Eingliederung des Heimatschutzes ins Heer war genau richtig, denn so profitieren wir direkt von dessen Weiterentwicklung und den schnelleren Beschaffungsprozessen.

WELT: Wie könnten russische Drohnenangriffe auf deutschem Boden ablaufen?

Henne: Wir gehen davon aus, dass das, was die Ukrainer mit ihrer Operation „Spinnennetz“ gegen Russland gemacht haben, auch unsere zukünftige Bedrohungslage beschreibt. Konkret heißt das: Lastwagen könnten irgendwo an einer Raststätte – sagen wir bei Magdeburg – stehen, plötzlich öffnen sich die Klappen, Drohnen steigen auf und greifen beispielsweise eine Autobahn-Brücke an. Gegen solche Drohnenschwärme müssen wir unsere Infrastruktur schützen. Das ist mittelfristig eine Frage der Ausrüstung.

Es gibt bereits den Befehl, spezielle Drohnen-Abwehr-Züge aufzustellen. Diese Aufgabe übernehmen wir im kommenden Jahr. Die Luftwaffe hat mit ihrem Drohnen-Abwehr-Zug bereits Erfahrungen gesammelt: In Dänemark schützte er einen Gipfel, in Belgien stellte er nach Angriffen sicher, dass Flughäfen wieder genutzt werden konnten. Das zeigt, wie groß die Lücke im zivilen Bereich ist, dort fehlen bislang weitgehend wirksame Abwehrmittel.

WELT: Kann man sich gegen die von Ihnen beschriebenen Drohnenschwärme überhaupt effektiv verteidigen?

Henne: Wir verfügen über unsere HP-47-Störsender und weitere Systeme. Welche das genau sind und welche Taktik wir dabei anwenden, kann ich Ihnen aber nicht verraten. Darüber sprechen wir, wenn es so weit ist.

WELT: Wie gut ist der Heimatschutz denn heute auf den Ernstfall, auch abseits von Drohnen, vorbereitet?

Henne: Wir haben ambitionierte Ausbildungsziele definiert, die wir im kommenden Jahr erreichen wollen. Wichtig ist jetzt, die Leistungsniveaus in den Kompanien anzugleichen und alle auf ein einheitliches Niveau zu bringen. Dafür haben wir keine hundert Jahre Zeit, das werden wir im nächsten Jahr umsetzen. 2027 wird auch die Heimatschutz-Division an der großen Heeresübung teilnehmen. Bis dahin müssen unsere Soldaten fit sein. Die Bedrohungslage ist real. Wir befinden uns in einer Phase erhöhter Spannung. Und wir wissen, dass die hochpräzisen, weitreichenden Waffen Russlands unser Gebiet erreichen können. Entsprechend müssen wir vorbereitet sein, um die Auswirkungen möglicher Treffer abzusichern.

Handlungsbedarf haben wir derzeit vor allem bei den Fernmeldern, also der Kommunikation. Ich sage das aber ohne Bedauern: Wir sind in Deutschland, solange das Festnetz funktioniert, nutzen wir es auch. Dann greifen wir eben zum Handy oder zum ganz normalen Telefon. Das mag unkonventionell klingen, funktioniert aber. Der Schutz kritischer Infrastruktur bedeutet ja auch, dass dort in der Regel ein Telefonanschluss vorhanden ist. Diese vermeintlichen Improvisationen sind pragmatische Lösungen, und sie zeigen, dass wir schon jetzt Wege finden, unsere Herausforderungen zu kompensieren.

WELT: Mit dem neuen Wehrdienstgesetz setzt die Regierung auf eine verpflichtende Musterung, zugleich aber auf Freiwilligkeit. Wird das ausreichen, um den Heimatschutz langfristig personell abzusichern?

Henne: Da die Basisausbildung des neuen Wehrdienstes in erster Linie durch den Heimatschutz sichergestellt werden soll und viele dieser Soldaten anschließend bei uns beordert werden, wird das aus meiner Sicht ausreichen, um unsere Ziele zu erreichen. Das ist aber erst der Anfang. Wenn wir künftig mehr ausbilden sollen, brauchen wir zusätzliche Ausbildungskompanien. In der Fläche sind wir noch nicht so breit vertreten, dass wir überall Führungsstrukturen abbilden können. Hier besteht Wachstumspotenzial.

Ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingt. Die Attraktivitätsmaßnahmen im neuen Gesetz werden sicher dazu beitragen, dass wir in den kommenden Jahren personell weiterwachsen. Angesichts der aktuellen Lage ist aber klar: Im Verteidigungsfall würde die Wehrpflicht ohnehin wieder aufleben. Dann ist es natürlich sinnvoll, wenn die entsprechenden Jahrgänge bereits gemustert sind und man weiß, von wem man was verlangen kann.

Maximilian Heimerzheim ist Volontär im Innenpolitik-Ressort.

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