Als Johann Wadephul am Sonntagabend in Peking landete, stand die an ihn gerichtete Botschaft bereits fest: Deutschland reist an, aber China empfängt. Und entscheidet, zu welchen Bedingungen. Sechs Wochen, nachdem der deutsche Außenminister mangels angemessener Gesprächspartner seinen ursprünglichen Besuch abgesagt hatte, ist Wadephul nun erneut für eineinhalb Tage nach China geflogen. Der „konstruktive Dialog“, auf den er vor Abflug gehofft hatte, findet in einem Umfeld statt, in dem sich das Machtverhältnis zwischen Berlin und Peking spürbar verschoben hat – hin zu einer chinesischen Dominanz.

Vor der Abreise betonte Wadephul noch, wie „unersetzlich“ der Austausch mit China sei. Freiheit, Sicherheit und Wohlstand Europas seien „eng mit China verknüpft“, sagte er. Ein Hinweis auf die Abhängigkeiten, die sich Deutschland über die Jahre selbst geschaffen hat.

Peking weiß darum und nutzt sie für seine Zwecke. Offiziell ging es in den Gesprächen um Handelshemmnisse: Chinas Exportbeschränkungen für Seltene Erden etwa, Überkapazitäten bei E-Autos und Stahlausfuhren. Doch tatsächlich war es ein Kräftemessen, wer in den deutsch-chinesischen Beziehungen das Sagen hat.

In Peking wurde Wadephul am Montag von Handelsminister Wang Wentao empfangen, am Abend traf er seinen chinesischen Amtskollegen Wang Yi. Der protokollarisch höchste Gesprächspartner war Vizepräsident Han Zheng. Zudem traf sich Wadephul mit Liu Haixing, Leiter der internationalen Abteilung des Zentralkomitees und ein zentraler Akteur für die Beziehungen zu Europa.

Ein weiteres dominierendes Thema war der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine: Wenngleich Peking Neutralität betont, wird China im Westen als wichtiger Unterstützer Moskaus gesehen.

China lässt Deutschland zappeln

Auf der Pressekonferenz am Montagabend spitzte Wadephul wirtschaftliche und sicherheitspolitische Kernpunkte bewusst zu. Er betonte, Deutschland wolle „offene Märkte und freien Handel“, warnte jedoch vor „marktverzerrenden Praktiken wie staatlich subventionierte Überkapazitäten bei Elektromobilität“. Er sagte: „Florierender Handel braucht Planbarkeit und Verlässlichkeit.“ Einzelfalllösungen bei Seltenen Erden reichten nicht aus: „Generallizenzen können ein erster Schritt sein, aber wir werden sie an ihrer Effektivität messen.“

Als es um die Taiwanstraße ging, bekräftigte Wadephul die deutsche Linie: „Eine Veränderung des Status quo darf nur einvernehmlich und friedlich erfolgen“, erklärte er, verwies auf die Bedeutung der UN-Charta und warnte, die Welt könne „in dieser stark befahrenen Seehandelsstraße keinen weiteren Konflikt verkraften“. Auch Menschenrechtsfragen sprach er offen an: „Entwicklungen in China, insbesondere im Blick auf Minderheiten in Tibet und Xinjiang sowie auf die politischen Rechte in Hongkong, stimmen uns sorgenvoll.“

Doch China schien davon unbeeindruckt. Am Montagnachmittag musste Wadephul die Hoffnungen der deutschen Industrie auf schnellere Importlizenzen für Seltene Erden nach ersten Gesprächen mit der chinesischen Seite dämpfen. Zwar gebe es „Signale“, sagte er dem ZDF, doch sei noch „viel Arbeit“ nötig. Auch Wadephuls Forderung, China solle auf Russland einwirken, um den Ukraine-Krieg zu beenden, folgten vorerst keine Zusagen.

In beiden Punkten zeigt sich die neue Asymmetrie im deutsch-chinesischen Machtverhältnis. Deutschland kritisiert und fordert. China lässt zappeln.

Eigentlich hatte Wadephul bereits Ende Oktober nach Peking reisen wollen. Doch die chinesische Seite hatte, abgesehen von einem Treffen mit Außenminister Wang Yi, keine weiteren hochrangigen Gesprächspartner angeboten. Einer der Gründe dafür waren vermutlich die deutschen Äußerungen zu Taiwan gewesen, die demokratisch regierte Insel, die China für sich beansprucht. Schon bevor Wadephul im August nach Japan gereist war, hatte er China „aggressives Verhalten“ in der Taiwanstraße vorgeworfen und „stärkere international verbindliche Regeln“ gefordert.

Ein deutlicher Verweis auf die Grundsätze der UN-Charta, die die friedliche Streitbeilegung und die Unverletzlichkeit territorialer Integrität festschreibt. Bei seiner Rede zum 40-jährigen Jubiläum des japanisch-deutschen Zentrums im Oktober hatte er gesagt: „Der enorme Aufwuchs der chinesischen Präsenz in den Gewässern um Japan sowie das robuste militärische Auftreten in der Straße von Taiwan untergraben die internationale regelbasierte Ordnung.“

Trotz Kritik ging der Austausch weiter: Vizekanzler Lars Klingbeil hatte Mitte November einen Teil der Irritation auffangen können. Und auch Bundeskanzler Friedrich Merz will in den ersten Wochen des kommenden Jahres nach Peking reisen.

Aussagen, die Taiwan betreffen, haben deutsche Politiker zwar auch schon früher getroffen, doch diesmal waren sie kurz nach der Militärparade in Peking zu vernehmen gewesen, mit der China jährlich seinen Sieg über den japanischen Faschismus feiert. Die Absage der Oktober-Reise wiederum hatten chinesische Staatsmedien als deutschen Affront dargestellt. Die Nachrichtenagentur Xinhua hatte angedeutet, dass Deutschland „überhöhte Erwartungen“ gestellt habe.

Das ist klassisches Framing: China präsentierte sich nicht als blockierende Partei, sondern als der Staat, der Entscheidungen trifft. Auch der Besuch der ehemaligen taiwanischen Präsidentin Tsai Ing-wen in Berlin im November hatte in die angespannte Lage gepasst, Peking hatte den Termin als Provokation gelesen.

Taiwan ist für China inzwischen ein unverhandelbares Kerninteresse. Und Peking nutzte das Treffen mit Wadephul, um Berlin öffentlich zu disziplinieren. In dem Telefonat kurz nach seinem Amtsantritt im Mai hatte Außenminister Wang Yi erklärt, das Ein-China-Prinzip sei die „wichtigste politische Grundlage der deutsch-chinesischen Beziehungen“. Damit verlangt Peking, Taiwan als Teil der Volksrepublik anzuerkennen.

Die deutsche Politik geht jedoch bewusst nicht so weit: Berlin erkennt die Volksrepublik zwar als Regierung Chinas an, legt den Status Taiwans aber nicht fest. Diese Differenz ist zentral – und Peking versucht sie systematisch zu seinen Gunsten zu verschieben. Nach dem Gespräch am Montag mit Han Zheng vermeldete Xinhua erneut, China erwarte von Deutschland die Anerkennung des Ein-China-Prinzips: ein Hinweis, dass Peking sicherheitspolitische Anliegen nur dann ernst nimmt, wenn Berlin seine eigene Linie zu Taiwan spürbar anpasst.

„China diktiert zunehmend die Bedingungen“

Wadephul bemühte sich während seines Besuchs sichtbar darum, den Eindruck politischer Schwäche zu vermeiden. Im ZDF betonte er, seine Gespräche in Peking „auf Augenhöhe“ zu führen. China erkenne an, „dass Deutschland ein entscheidendes Land aus Europa ist, dass die deutsche Stimme Gewicht hat“.

Mikko Huotari, der Direktor des Mercator Institute for China Studies, nannte Wadephuls jetzige Reise im Gespräch mit dem RND einen „Versuch, diplomatische Normalität herzustellen“, betonte aber zugleich: „China diktiert zunehmend die Bedingungen. Das hatte man in der Bundesregierung bis Oktober noch nicht ganz verdaut.“

Während deutsche Politiker seit Monaten über De-Risking sprechen, tätigen deutsche Unternehmen Rekordinvestitionen in China. Laut IW Köln erreichten die Direktinvestitionen 2023 mit 11,9 Milliarden Euro bereits einen Höchststand. Und auch 2024/2025 flossen Milliarden in neue Projekte von Volkswagen, BASF, BMW und Siemens. Für Peking ist klar: Die deutsche Politik will unabhängiger sein, während die deutsche Wirtschaft abhängig ist. Diese Diskrepanz nimmt China genau wahr – und sie stärkt seine Position.

Wadephul reist am Dienstag weiter nach Guangdong, besucht dort den Tunnelbohrmaschinen-Hersteller Herrenknecht und das Robotaxi-Unternehmen WeRide, einer der führenden Akteure bei autonomem Fahren und ein Bereich, in dem China technologisch voranschreitet und Deutschland zurückfällt. Der Kontext bleibt derselbe: China tritt mit wachsender Selbstsicherheit auf, weil es weiß, dass Berlin zwar „auf Augenhöhe“ sprechen möchte, das in zentralen strategischen Bereichen aber nicht ist.

Christina zur Nedden ist China- und Asienkorrespondentin. Seit 2020 berichtet sie im Auftrag von WELT aus Ost- und Südostasien.

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