Es ist seit Langem ein lukratives Geschäftsmodell: Männer mit deutscher Staatsangehörigkeit erkannten gegen hohe finanzielle Gegenleistungen oft dutzendfach Kinder an, die nicht ihre sind. Der Nachwuchs samt ausländischen Müttern erhielt so automatisch Aufenthaltstitel in Deutschland. Wenn wie in solchen Fällen üblich der „Vater“ nur wenig oder keinen Unterhalt zahlen konnte, sprang der Staat mit deutschem Steuergeld ein.

Dies will das Bundesinnenministerium zukünftig mit einem neuen Gesetz verhindern. Dabei sollen die Ausländerbehörden eine entscheidende Rolle spielen. Der Gesetzentwurf, der heute ins Bundeskabinett geht, liegt WELT vorab vor. Der Kern: Liegt zukünftig ein „aufenthaltsrechtliches Gefälle“ zwischen den Beteiligten solch einer Vaterschaftsanerkennung vor, muss die Ausländerbehörde grundsätzlich zustimmen. So sollen die Stellen, die solch einen Vorgang beurkunden, entlastet werden – also etwa Notariate und Standesämter.

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Unklar ist, wie groß der Missbrauch mit Scheinvaterschaften bisher wirklich ist. Verlässliche Zahlen sind schwer zu bekommen. Das Bundesinnenministerium ermittelte in einer Erhebung, dass die Ausländerbehörden zwischen 2018 und 2021 insgesamt 1769 verdächtige Vorgänge bearbeitet „und davon circa 290 Fälle als missbräuchliche Vaterschaftsanerkennung festgestellt“ hätten. Das teilte die Behörde Mitte Oktober dieses Jahres auf Anfrage mit. Weitere circa 1800 Fälle „wurden in Auslandsvertretungen geprüft, dort allerdings mit sehr geringer Quote an festgestellten Missbräuchen“.

Die geringen Fallzahlen dürften nur einen kleinen Teil der Realität widerspiegeln. Das zeigten Recherchen von WELT AM SONNTAG. Die für die Stadt Dortmund zuständige Bezirksregierung Arnsberg teilte etwa mit: „Derzeit sind in Dortmund sieben Väter mit circa 122 Vaterschaftsanerkennungen bekannt.“ Laut eines Sprechers bewegten sich allein in diesen Fällen die jährlichen Unterhaltskosten „im mittleren siebenstelligen Euro-Bereich“. Teilweise liefen noch Ermittlungen. Einige der Väter kassieren für die Anerkennung laut Erkenntnissen der Behörden jeweils bis zu 8000 Euro.

Einer der bekanntesten Fälle stammt ebenfalls aus Dortmund: Jonathan A., ein eingebürgerter Nigerianer, der in sozialen Medien als „Mr. Cash Money“ firmierte und offen mit seinem üppigen Lebensstil protzte. Für 24 Kinder hat der Mann mittlerweile die Vaterschaft anerkannt, die Mütter stammen aus verschiedenen Ländern Afrikas.

Auch aus dem Regierungsbezirk Arnsberg heißt es, die „Problematik Nigeria-Ghana“ sei einer der großen Bereiche der missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennung sei, so ein Sprecher. Demnach bieten in diesen Ländern „Brotherhoods“ (Bruderschaften) jungen Frauen einen „lukrativen Job in Europa“ an.

Häufig sei es dann aber so, dass die Frauen in Ländern wie Libyen, Frankreich, Italien oder Spanien in die Prostitution gezwungen würden. Werde eine Frau schwanger, reise diese nach Deutschland – und dort erkenne dann ein Mann mit deutschem Pass und Verbindungen zu den „Bruderschaften“ das Kind an. Betrogen wird am Ende der deutsche Staat.

Schlüsselrolle der Ausländerbehörden

Schon die Ampel wollte diese rechtlichen Schlupflöcher schließen. Ihr Entwurf passierte aber nicht mehr den Bundestag. Schwarz-Rot legt nun einen neuen Lösungsvorschlag vor, bei dem Bundesinnenministerium und Bundesjustizministerium Hand in Hand vorgingen. „Aus Gesprächen weiß ich: In einigen Städten ist das ein wirkliches Problem“, sagte Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) im Oktober. „Missbräuchliche Anerkennungen sind teilweise zu einem ‚Geschäftsmodell‘ geworden. Das können wir nicht dulden.“

Im Gesetzesentwurf heißt es nun: „Liegt die erforderliche Zustimmung der Ausländerbehörde nicht vor, weist das Standesamt den Antrag auf Eintragung des Vaters in den Geburtseintrag des Kindes zurück.“ Ist der Antragsteller allerdings der leibliche Vater, ist eine Zustimmung der Ausländerbehörde nicht erforderlich. „Für die Eintragung im Geburtenregister ist dazu der Nachweis der biologischen Vaterschaft des Anerkennenden zu führen“, so die Vorlage.

Allerdings warnen Rechtsexperten auch bei der neuen Regelung vor möglichem Missbrauch: Vaterschaftsanerkennungen sollen laut Entwurf dann als nicht missbräuchlich bewertet werden, wenn die Antragsteller seit „mindestens sechs Monaten“ in einem gemeinsamen Haushalt wohnen. Dies ließe sich allerdings leicht arrangieren. Das Bundesinnenministerium hingegen betont im Entwurf: Mit dieser Regelung werde „eine durch eine Gefälligkeitserklärung ermöglichte, kurzfristige Wohnsitzanmeldung ausgeschlossen“.

Korrespondent Philipp Woldin kümmert sich bei WELT vor allem um Themen der inneren Sicherheit und berichtet aus den Gerichtssälen der Republik.

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