Wo positionieren sich die USA in den Friedensgesprächen um das Ende des Ukraine-Kriegs? US-Präsident Donald Trump hat den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu einer realistischen Einschätzung der Lage sowie zu Neuwahlen aufgefordert.

Zudem sorgt ein geheimer Teil der US-Sicherheitsstrategie für Aufsehen, nach dem die USA offenbar einzelne Mitgliedstaaten aus der EU „wegziehen“ wollen.

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Wolfgang Ischinger, langjähriger Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, ordnet die aktuellen Geschehnisse im Interview mit WELT TV ein.

WELT: Herr Ischinger, gehen Sie davon aus, dass es den Europäern, also in erster Linie Frankreich, Großbritannien und Deutschland gelingt, Donald Trump beim Friedensplan wieder auf die Seite der westlichen Allianz zu ziehen? Momentan scheint der US-Präsident ja aus Geschäftsinteressen eher auf der Seite Moskaus zu stehen.

Wolfgang Ischinger: Also ich sehe darin eigentlich nicht das größte Hindernis, das zu bewältigen ist auf dem Wege zu einem Ende dieses Kriegs. Das größte Hindernis bleibt die bisher nicht vorhandene Bereitschaft der russischen Seite, von ihren bisherigen Maximalzielen abzuweichen. Solange sich das nicht ändert, nützt die großartigste Übereinkunft zwischen den Europäern und den USA gar nichts. Und ich würde mich sehr freuen, wenn die intensiven Gespräche dieser Stunden und Tage tatsächlich auch dazu führen würden, dass Bewegung auf der russischen Seite entsteht. Dann könnte ein Schuh draus werden.

WELT: Aber wenn Putin offenbar nur auf Hinhaltetaktik setzt, passiert dann in den kommenden Wochen und Monaten vielleicht gar nichts?

Ischinger: Ich kann nur an das erinnern, was der amerikanische Außenminisetr Marco Rubio vor wenigen Tagen völlig zu Recht gesagt: Wenn sich unsere Versuche hier eine Lösung vorzuschlagen, nicht als gangbar erweisen, dann wird man eine andere Gangart einschlagen lassen. Heißt, dann wird man wieder umschalten müssen auf mehr Druck auf die russische Seite – hoffentlich dann in der Tat auch von amerikanischer Seite. Davon sind wir im Augenblick aber noch weit entfernt.

WELT: Bundeskanzler Merz sagt, sein Telefonat mit Donald Trump gestern sei konstruktiv gewesen und geht von weiteren Gesprächen und sogar einem möglichen Treffen mit dem US-Präsidenten aus. Welchen Einfluss haben die Europäer wirklich auf Donald Trump?

Ischinger: Ich denke, man weiß in Washington natürlich, dass man ohne die aktive Mitwirkung und das Einverständnis der Europäer keine wie auch immer geartete Lösung dieses Kriegs möglich ist. Die USA sagen, dass sie natürlich überhaupt nicht daran denken, auch nur einen einzigen Soldaten in die Ukraine zu schicken. Angenommen, es käme zu einer Lösung: Wer soll sich dann um die Einhaltung kümmern? Das wird am Schluss, genauso wie übrigens auch die Frage des Wiederaufbaus, letztlich bei den Europäern landen.

Ich halte das deswegen auch für einen krassen diplomatischen, handwerklichen Fehler, dass die USA nicht schon längst eine richtige normale Kontaktgruppe gegründet haben: mit den Briten, mit den Franzosen, mit uns, durch den Nato-Generalsekretär, mit den anderen Nato-Mitgliedern und so weiter, um sicherzustellen, dass wir hier sozusagen vom selben Blatt lesen. Die Art und Weise, wie in der letzten Zeit gelegentlich die Europäer raten mussten, was da eigentlich zwischen Russen und Amerikanern gesprochen und verhandelt wird, war natürlich diplomatisch betrachtet sehr, sehr unbefriedigend.

WELT: Wer ist denn das größte Hindernis auf dem Weg zu einer solchen Kontaktgruppe?

Ischinger: Es ist natürlich der Versuch des Trump’schen Weißen Hauses, eine Lösung im Sinne eines Deals selber durchzudrücken. Man traut den Europäern nicht zu, einen solchen Deal selber in die Hand zu nehmen. Man glaubt, das kann man nur selbst.

Ich begrüße es, dass Donald Trump seit einem halben Jahr immer wieder versucht, hier diesen gordischen Knoten durchzuschlagen. Bisher tut er das allerdings leider ohne jeden erkennbaren, sichtbaren Erfolg. Das Bombardieren der ukrainischen Zivilbevölkerung setzt sich jede Nacht fort. Null Erfolg bisher, das muss man leider ja auch sagen.

WELT: Die nationale Sicherheitsstrategie der USA und ein geleaktes Geheimpapier sorgen für mächtig Wirbel. Offenbar wollen die USA mehr mit Ländern wie Österreich, Italien, Ungarn und Polen zusammenarbeiten und diese aus der EU „herausziehen“. Plant Washington, die EU zu zerschlagen?

Ischinger: Also da kann ich eigentlich nur schmunzeln, denn wenn mir diese Frage jetzt von meinen amerikanischen Freunden gestellt werden würde, dann würde ich ihnen die Antwort geben: Naja, ihr habt ja vor etlichen Jahren euren engen britischen Freunden geraten, aus der Europäischen Union auszutreten. Das Desaster, was damit erzeugt wurde für den britischen Wohlstand und das Wohlergehen der britischen Bevölkerung, ist jetzt fast jedem Briten erkennbar. Die meisten meiner britischen Freunde sehen jetzt, dass das ein ziemlich krasser Fehler war. Das „Modell Brexit“ jetzt den Österreichern, Italienern und anderen vorzutragen wird von Anfang an scheitern. Ich kann nicht erkennen, dass irgendjemand auf die Idee kommt, dass ein Austritt aus der Europäischen Union ihm irgendwelche Vorteile bringt. Noch nicht mal Viktor Orbán hält das für einen Weg nach vorne.

Das Interview wurde für WELT TV geführt. In dieser Fassung wurde es zur besseren Lesbarkeit leicht gekürzt und redaktionell bearbeitet.

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