Eric Dupond-Moretti ist ein Mann, der den Stierkampf liebt und die Jagd. Manche behaupten, er strotze vor toxischer Männlichkeit, aber darüber kann er nur lachen. Die Zigaretten haben seine sonore Stimme über die Jahre noch tiefer gemacht, vielleicht war es auch der Wein oder der Whiskey, wer weiß. Er ist jetzt 64 und man sieht diesem großen, schweren Mann an, dass er das Leben in vollen Stücken zu genießen versucht.
Vier Jahre lang war Dupond-Moretti französischer Justizminister, einer der umstrittensten der jüngsten Geschichte. Zuvor zählte er zu den berühmtesten Strafverteidigern des Landes. Jetzt macht er Karriere als Schauspieler – oder besser gesagt: als Alleinunterhalter.
An diesem Frühlingsnachmittag sitzt er am Rand eines roten Samtsofas in seiner Theaterloge auf den Pariser Champs-Élysée, hinter ihm räkelt sich sein Rauhaardackel Jean-Claude. „J’ai dis oui – Ich habe Ja gesagt“, ist der Titel seiner One-Man-Show. Das Ja war die Antwort auf Emmanuel Macrons Frage, ob er, der Staranwalt, Justizminister werden wolle. Angeblich hat er seine Antwort keine Sekunde bereut.
Anderthalb Stunden dauert Dupond-Morettis Bühnenprogramm, in dem er von der Macht und Ohnmacht des Ministers in Zeiten gesteigerter Politikverdrossenheit und sozialer Netzwerke erzählt. „Es ist eine Abrechnung und dazu stehe ich“, sagt er und zieht an seiner Zigarette.
Der Élysée-Palast befindet sich nur wenige Fußminuten vom Théâtre de Marigny entfernt. Der Präsident und seine Frau haben sich wie viele amtierende oder ehemalige Minister bereits unter das Publikum gemischt, aber Macron kommt bei dieser Abrechnung erstaunlich gut weg.
Auf der Bühne erklärt Dupond-Moretti, warum er, ein Mann der Zivilgesellschaft, in die Politik gegangen ist, welche Hürden man ihm in den Weg gestellt und welche Erkenntnisse er aus der Zeit als Minister gewonnen hat. Vor allem beschäftigt ihn die Frage, warum die Franzosen das Vertrauen in die Politik und ihr Personal verloren haben.
Das liegt auch an den Affären und Prozessen, die sich häufen. Gegen den ehemaligen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy laufen so viele Prozesse, dass man schnell den Überblick verliert. Marine Le Pen, Anwärterin auf dieses Amt, ist gerade zu einer Haftstrafe verurteilt worden.
Auch Dupond-Moretti musste sich vor Gericht verantworten. Ihm wurde vorgeworfen, sein Ministeramt missbraucht zu haben, um persönliche Affären zu regeln, die auf seine Zeit als Anwalt zurückgingen. 30.000 Artikel seien über seinen Prozess erschienen, behauptet Dupond-Moretti.
Auf der Bühne lässt er die Titelseiten einblenden, die ihn anklagen, und dazu im Vergleich die wenigen Zeilen über seinen Freispruch, der im November 2023 erfolgte. „Die Journalisten zweifeln niemals an sich“, so sein Resümee.
Dupond-Morettis Stück war seit seiner Premiere Anfang Februar ausverkauft. Der Kassenschlager wurde deshalb bis in den Sommer verlängert. Bis Januar nächsten Jahres wird der Ex-Minister damit durch Frankreich touren, kleine Abstecher nach Belgien und in die Schweiz sind auch geplant.
Wie lässt sich sein Erfolg auf der Bühne erklären? Zweifellos verdankt er das seiner Wortgewandtheit. Aber seine französischen Mitbürger haben offensichtlich trotz Politikverdrossenheit das Bedürfnis, Minister aus nächster Nähe zu sehen und Einblicke hinter die Kulissen der Politik zu bekommen.
Ein anderer Politikkollege wird es ihm demnächst gleichtun. Jean Lassalle, ehemaliger Schäfer und Abgeordneter aus den Pyrenäen, Ex-Präsidentschaftskandidat, der im Parlament schon mal baskische Schäferlieder im Dialekt sang, bereitet ebenfalls eine One-Man-Show vor.
Obwohl Dupond-Moretti ernste Themen behandelt, lacht das Publikum laut und viel. Natürlich muss man den französischen Justizbetrieb kennen, um die Witze zu verstehen, die Hiebe gegen Frankreichs ehemaligen Generalstaatsanwalt, die Abrechnung mit Intimfeinden, mit dem Verwaltungsapparat, der alles bremst.
Aber die eigentliche Botschaft des zum Alleinunterhalter konvertierten Ministers ist eine universelle. Es geht um ein Missverhältnis, das dabei ist, unsere Demokratie zu zersetzen, langsam, aber sicher: das Auseinanderdriften von Ansprüchen und Wirklichkeit.
„Die Bürger wissen nicht, wie Politik funktioniert, wie schwerfällig und mühsam Demokratie ist. Gleichzeitig erwarten sie alles von der Politik. Jedes Problem soll gelöst werden, und zwar sofort“, beklagt Dupond-Moretti und ergänzt: „Die öffentliche Meinung gehorcht heute einem Rhythmus, der nichts mehr mit dem politischer Aktionen und Umsetzungen zu tun hat.“
„Politik ist ein Mannschaftssport“
Andere Kollegen haben nach ihrer Amtszeit Bücher geschrieben, er findet die Vorstellung, dass die Politik wieder ins Theater zurückkehrt, wo sie in der griechischen Antike ihren Anfang genommen hat, reizvoller. Auf der Bühne kann er die Epoche kritisieren, die keine des „Nachdenkens oder der Nuancierung“ ist, sondern eine, da sich das schnelle Urteil gern in den 280 Buchstaben eines übereilten Tweets erschöpft.
„Die Menschen erwarten, dass sich alles mit einem Fingerschnippen ändert. Aber die Politik ist ein Mannschaftssport“, sagt Dupond-Moretti, „sie verlangt Kompromisse“.
Als Anwalt hat er 14-mal so viel verdient wie als Minister, verrät er auf der Bühne. „Übrigens, wissen Sie, was ein Minister verdient?“, fragt er ins Publikum? Schweigen. „6000 Euro“, lautet die Antwort. Er hilft beim Nachrechnen seiner Einnahmen als Anwalt. Über eine Million Euro hat er da im Jahr verdient. Politiker sein, das will er damit sagen, bedeutet eine Form der Entsagung.
Martina Meister berichtet im Auftrag von WELT seit 2015 als freie Korrespondentin in Paris über die französische Politik.
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