• Hruschka widerspricht Dobrindt: EU-Recht hat Vorrang
  • Auch die Berufung auf eine Notlage greift demnach nicht
  • Experte: Zurückweisung mit EU und Nachbarn klären

Am Freitag hat Bundeskanzler Friedrich Merz hat beim Antrittsbesuch in Brüssel versichert, dass sich Deutschland bei seinen Grenzkontrollen an EU-Recht halte. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mahnte aber ein koordiniertes Vorgehen mit Brüssel und den deutschen Nachbarn an: Kontrollen an EU-Binnengrenzen seien nur vorübergehend zulässig.

Im Interview mit MDR AKTUELL sagte der Asylrechtsexperte Constantin Hruschka, dass die aktuelle Anordnung, auch Asylsuchende zurückzuweisen, nach dem europäischen und nach deutschem Recht rechtswidrig sei.

MDR AKTUELL: Der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt hat eine zehn Jahre alte Weisung des damaligen CDU-Bundesinnenministers Thomas de Maizière zurückgenommen. Was besagte diese Weisung?

Constantin Hruschka: Die Weisung besagte, dass europäisches Recht vorgeht und man sich deswegen nicht auf das deutsche Recht stützen kann, um Asylsuchende an der Grenze zurückzuweisen.

Dobrindt beruft sich auf deutsches Recht – etwa Paragraf 18 im Asylgesetz. Darin steht unter anderem, dass die Einreise zu verweigern ist, wenn jemand aus einem sicheren Drittstaat einreist. Ähnlich steht es auch im Asylartikel des Grundgesetzes. Welches Recht hat Vorrang?

Deutsches Recht hat nicht Vorrang. Auch im Grundgesetz steht, dass europäisches Recht dort Vorrang hat, wo es eine europäische Regelung gibt. Und hier gibt es eine europäische Regelung – die Zuständigkeitsverteilung über das sogenannte Dublin-Verfahren.

Von der Dublin-Verordnung kennen wir vor allem den Grundsatz, dass ein Asylantrag in dem Land gestellt werden muss, in dem jemand die EU betritt. Was besagt diese Verordnung, wenn es jemand doch in einen Binnenstaat wie Deutschland geschafft hat?

Die Dublin-Verordnung besagt, dass ein Asylantrag immer im Asylsystem behandelt werden muss. Das heißt, wenn die Personen in den Binnenstaat Deutschland kommt, dann ist nicht automatisch klar, dass ein anderer Staat zuständig ist. Und deswegen muss das in Deutschland geprüft werden – in Abstimmung mit dem anderen Staat.

Bundesinnenminister Dobrindt, aber auch Bundeskanzler Merz argumentieren auch mit Europarecht und haben von einer Notlage gesprochen. Deutschland dürfe eigenmächtig handeln, wenn öffentliche Ordnung und die innere Sicherheit bedroht seien. Ist das nicht eine Ausnahme, in der deutsches Recht dann Vorrang hätte?

Das deutsche Recht hätte auch dann nicht Vorrang, wenn eine Notlage vorliegen würde. Dann müsste man nach europäischen Prinzipien handeln und das setzt im Europarecht voraus, dass ich vorher versucht habe, eine europäische Lösung zu finden. Ich kann das nicht im nationalen Alleingang machen. Da gibt es mehrere Urteile – auch gegen Deutschland, auch wegen Grenzkontrollen an den Binnengrenzen – wo der EuGH sagt, dass man sich erst europäisch abstimmen müsse, in Brüssel und mit Nachbarstaaten.

Könnten Dobrindt und Merz mit Erfahrungen aus vergangenen Jahren argumentieren, dass das eben nicht geklappt habe und wir seit Jahren das Problemen einer dysfunktionalen EU-Migrationspolitik haben?

Ja, aber man hat sich gerade auf eine Änderung des Schengener Grenzkodex geeinigt, der die Grenzkontrollen regelt. Die ist letztes Jahr in Kraft getreten. Also wird man noch nicht mal ein Jahr später kaum sagen können: Es funktioniert nicht. Und man hat sich auf eine Reform des europäischen Asylrechts geeinigt. In beiden steht nichts von dem, was jetzt gemacht wird. Deutschland hat dabei aber mitbestimmt.

Dennoch sind die strengeren Grenzkontrollen nun angelaufen. Kommt da noch eine juristische Klärung?

Man hat Klärungsmöglichkeiten auf verschiedenen Ebenen. Die Mitgliedstaaten, die sich ja auch schon beschwert haben, wie die Schweizer Regierung, die ein Innenministertreffen der angrenzenden Länder einberufen will. Dort kann man auch über den Schengener Grenzkodex einen Staatenaustausch machen. Luxemburg hat den schon angefragt – das ist also schon auf dem Weg. Dann gibt es die Möglichkeit, dass die EU-Kommission dazu Stellung nimmt. Das haben sie vor zwei Wochen schon angekündigt, als es noch keine Zurückweisung von Asylsuchenden gab. Und dann habe ich den Weg über die einzelnen Klagen. Das heißt, viele Wege, auf denen diese Frage geklärt werden könnte, und zwar vergleichsweise schnell.

Dr. Constantin Hruschka ist Sozial- und Asylrechtsexperte, Professor an der Evangelischen Hochschule in Freiburg, Autor beim Verfassungsschutz-Blog und war unter anderem Sachverständiger für das Bundesministerium 2023 bei der Frage nach Asylverfahren in Ländern außerhalb der EU. (>zurück zum Start)

MDR AKTUELL (smk, ksc)

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