Schwarze Lederjacke, schwarze Jeans, Wuschelfrisur: Wenn es ernst wird, dann greift Javier Milei bei öffentlichen Auftritten gern zu seinem Lieblingsoutfit. Und an diesem Abend in Buenos Aires ist es ernst. In der argentinischen Hauptstadt stehen am Sonntag Kommunalwahlen an. Und Regierungssprecher Manuel Adorni ist Spitzenkandidat von Mileis libertärer Partei LLA.
Viele junge Leute sind zum Wahlkampfabschluss in den Mitre-Park gekommen, einige haben sich die Haare in der Parteifarbe lila gefärbt. Andere peitschen mit Trommelschlägen die Stimmung nach oben. Es ist wohl wie auch bei anderen Parteien üblich bezahltes Publikum dabei, um sicherzustellen, dass die Reihen voll sind. Milei steht auf der Bühne, neben ihm Adorni sowie seine Schwester Karina, seine wichtigste Beraterin und Wahlkampfchefin.
Die Kommunalwahl in Buenos Aires ist der erste Härtetest für das „argentinische Experiment“, mit dem Milei sein Heimatland wieder auf die Füße stellen will. Unter anderem wertete er den Peso gegenüber dem Dollar ab, strich Subventionen, vereinfachte Kündigungen, schränkte das Streikrecht ein und setzte radikale Kürzungen im Gesundheitswesen und im Bildungssystem durch.
Seit er im November 2023 zum Präsidenten gewählt wurde, vergeht so kaum eine Woche ohne positive Nachrichten zum wirtschaftlichen Aufschwung des Landes. Dennoch ist die Kommunalwahl in Buenos Aires kein Selbstläufer. Denn Mileis größte politische Stärke ist zugleich seine größte Angriffsfläche: Seine Kompromisslosigkeit.
Die Stimmung im Mitre-Park schaukelt sich immer weiter auf. Die Menschen jubeln Milei und Adorni begeistert zu. Und doch ist etwas anders als im Präsidentschaftswahlkampf 2023. Damals war der Gegner klar: die lange regierenden Peronisten mit Spitzenkandidat Sergio Massa und der in einen Korruptionsskandal verwickelten Ex-Präsidentin Cristina Kirchner. Sie hatten ein volkswirtschaftliches Debakel mit Hyperinflation zu verantworten und wurden abgestraft.
Doch diesmal ruft Milei seiner Anhängerschaft zu: „Die gescheiterten Gelben kämpfen um den vierten Platz“. Gemeint ist die konservative Partei PRO um Ex-Präsident Mauricio Macri, mit dem die Libertären auf nationaler Ebene eigentlich zusammenarbeiten. Längst ist innerhalb des bürgerlich-konservativ-libertären Lagers ein knallharter Verdrängungskampf entbrannt. Zusammen kommen die Vertreter dieser Politikrichtung laut Umfragen auf rund 44 Prozent.
Davon könnte Linkspolitiker Leonardo Santoro profitieren und als lachender Dritter der Sieg einfahren, obwohl er laut Umfragen gerade einmal auf 25 Prozent kommt. Andere Umfragen sehen den Libertären Adorni vorn.
Ungeachtet dessen liefern sich Milei und Macri im Wahlkampf einen heftigen Schlagabtausch. Der konservative Ex-Präsident spürt, wie die Libertären seiner Partei das Wasser abgraben. Macri hatte eigentlich erwartet, Milei aus dem Hintergrund steuern zu können. Doch Milei lässt sich nicht steuern – von niemandem außer seiner Schwester.
Nun droht Macris PRO der Absturz in die Bedeutungslosigkeit. Sicherheitsministerin Patricia Bullrich, die 2023 noch Präsidentschaftskandidatin der Konservativen war, ist inzwischen ins libertäre Lager gewechselt.
Kampfansage an die Konservativen
Milei kalkuliert den Verfall des Partners offenbar bewusst ein und ist davon überzeugt, dass seine ökonomischen Erfolge anerkannt werden. Damit setzt Milei erneut alles auf eine Karte, die libertäre Partei soll zur führenden Kraft in Argentinien werden. Dass er nun auch eine neue harte Migrationspolitik ankündigt, ist eine Kampfansage, den Konservativen das Thema zu entreißen. Bislang ist ein solches Vabanquespiel stets aufgegangen.
Denn Mileis ökonomischen Erfolge können sich sehen lassen: Entgegen den Vorhersagen einiger Kritiker blieb nach der weitgehenden Freigabe des argentinischen Devisenmarktes, des sogenannten Cepo, der argentinische Peso stabil. Die monatliche Inflation lag im April bei 2,8 Prozent, kumuliert in den ersten vier Monaten des Jahres liegt sie bei 11,6 Prozent.
Im Februar erreichte das Wirtschaftswachstum im Vergleich zum Vorjahresmonat 5,7 Prozent. Der Internationale Währungsfonds (IWF) taxiert das zu erwartende Wirtschaftswachstum im laufenden Jahr auf 5,5 Prozent. Werte, die vor gut 15 Monaten noch undenkbar schienen.
„Mit den Zahlen für Februar ist das allgemeine Lohnniveau schon elf Monate in Folge real gestiegen“, sagt Julian Orue, Ökonom des wirtschaftsliberalen Think-Tanks „Fundacion Libertad y Progreso“ im Gespräch mit WELT. „Angesichts der sinkenden Inflation und der sich erholenden Wirtschaftstätigkeit ist zu erwarten, dass sich der Aufwärtstrend fortsetzen wird, um das höhere Reallohnniveau zu konsolidieren.“
Und doch liegt ein Schatten über Mileis Bilanz. Seine fortwährenden Attacken auf Medienvertreter aus allen Lagern, sein Nachtreten gegen den kürzlich verstorbenen Ex-Präsidenten Uruguays Pepe Mujica, der wegen seines Einsatzes für die Menschenrechte in Linksdiktaturen auch in Argentinien populär ist. Hinzu kommt der nicht aufgearbeitete sogenannten Kryptogate-Skandal, als Milei erst eine Krypto-Währung empfahl und dann seine Einschätzung zurückzog. Das kratzt an seinem Image.
Auch mit Vizepräsidentin Victoria Villarruel gibt es immer wieder Reibereien, das Binnen-Verhältnis im „eisernen Dreieck“ zwischen Karina Milei und Wirtschaftsminister Santiago Caputo gilt als belastet. Und wie alle politischen Bewegungen, die schnell wachsen, gibt es auch im libertären Lager Trittbrettfahrer und Selbstdarsteller, die eher an den eigenen Vorteil denken als an das große Ganze.
Die Frage, die knapp drei Millionen Wähler am Sonntag nun zu beantworten haben, ist, ob sie den eingeschlagenen Weg fortsetzen wollen – oder dem Präsidenten einen ersten Warnschuss verpassen.
Tobias Käufer ist Lateinamerika-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2009 über die Entwicklungen in der Region.
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