Fast ein Jahr lang ruhten die Ermittlungen. Doch nun gibt es Bewegung im Fall Rahim Peerzada. Eine auf Gewalt gegen Frauen spezialisierte Einheit der spanischen Polizei (UFAM) hat das Verfahren wieder aufgenommen und dem Gericht in Madrid die Ergebnisse ihrer Ermittlungen vorgelegt und einen internationalen Haftbefehl beantragt.
Das geht aus einer E-Mail hervor, die eines der mutmaßlichen Opfer erhalten hat und die WELT vorliegt. In dem Schreiben heißt es: „Wir haben dem Gericht alle Informationen übermittelt.“ Diese beträfen die Aussage des mutmaßlichen Opfers und „andere mögliche Betroffene, die keine Aussage machen wollten“. Weiter heißt es in der Mail: „Jetzt warten wir auf die Entscheidung des Richters, was mit ihm geschehen soll – ob er ausgeliefert wird oder nicht...“ Der ehemalige afghanische Botschafter in Spanien ist derzeit in den USA inhaftiert.
Die E-Mail ging an eine 37-jährige Afghanin, die vor knapp einem Jahr Vergewaltigungsvorwürfe gegen Peerzada erhoben hatte. Sie lebt inzwischen in der Nähe von Köln und zeigt sich vorsichtig hoffnungsvoll. „Ich hoffe jetzt, dass das Gericht bald tätig wird“, sagte die Frau WELT am Telefon. In der ersten Recherche dieser Redaktion wurde sie als Anis bezeichnet und möchte weiterhin anonym bleiben. Sie wirft Peerzada vor, sie 2022 in Madrid mit K.-o.-Tropfen betäubt und anschließend vergewaltigt zu haben. „Mein Leben wird nie wieder so sein wie zuvor – aber wenigstens bekomme ich die Chance auf Gerechtigkeit.“
Vor wenigen Monaten stellte sich die Lage noch anders dar: Die Staatsanwaltschaft in Madrid hatte die Vorermittlungen zu den Vorwürfen unter Verweis auf Peerzadas diplomatische Immunität eingestellt. Nachdem jedoch die WELT im März die Recherche zu den Vorwürfen sexualisierter Gewalt gegen Peerzada veröffentlicht hatte, erklärte das spanische Außenministerium, Peerzada vertrete „keine offizielle Delegation, ist in Spanien nicht akkreditiert und genießt in unserem Land keine diplomatische Immunität“.
Das Ministerium entfernte ihn und die gesamte afghanische Delegation von der Liste der offiziell im Land akkreditierten Diplomaten. Die Hintergründe der plötzlichen Neubewertung blieben nebulös. Aber: Damit wurde der Weg frei für strafrechtliche Ermittlungen gegen den Afghanen, der ab 2021 de facto die Botschaft leitete, nachdem der damalige Botschafter Humayoon Rasaw infolge der Machtübernahme der Taliban im selben Jahr zurückgetreten war.
Die Beantragung des internationalen Haftbefehls hätte möglicherweise früher erfolgen können. Eine Recherche der WELT zeigt: Was die Ermittlungen der spanischen Polizei zusätzlich verzögert haben dürfte, war die lange Bearbeitungszeit der deutschen Kollegen. Bereits im Oktober 2024 hatte die spanische Polizei gegenüber Anis bestätigt, dass sie die deutschen Behörden gebeten habe, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Eine der WELT vorliegende E-Mail an Anis endet mit den Worten: „Wir hoffen, dass sie sich bald mit Ihnen in Verbindung setzen.“
Die Hoffnung der spanischen Ermittler erfüllte sich jedoch nicht. Im November schrieb dieselbe Polizeieinheit erneut an Anis: „Es tut uns sehr leid zu hören, dass sich bisher niemand mit Ihnen in Verbindung gesetzt hat. Wir werden es erneut versuchen …“
Erst am 17. Dezember 2024 wurde Anis schließlich im Rahmen eines spanischen Rechtshilfeersuchens auf der Polizeiwache in Dillenburg als Zeugin vernommen. Doch es vergingen weitere drei Monate, bis die Ergebnisse dieser Befragung an die spanischen Behörden weitergeleitet wurden.
„Die Erledigungsstücke des hiesigen Rechtshilfevorgangs wurden mit Schreiben vom 14.03.2025 an die spanischen Behörden übersandt“, teilte die Staatsanwaltschaft Limburg WELT mit. Anschließend vergingen nochmals rund drei Wochen, bis die Unterlagen in Spanien eintrafen – da sie per regulärer Post statt über Interpol-Kanäle versendet wurden.
Eine mit dem Verfahren vertraute Person erklärte gegenüber WELT, dass sowohl die lange Dauer als auch der gewählte Versandweg im Vergleich zu ähnlichen internationalen Rechtshilfeverfahren als äußerst ungewöhnlich gelten.
Die Staatsanwaltschaft Limburg teilte auf Anfrage der WELT mit, das Verfahren sei nach seinem Eingang „umgehend bearbeitet“ worden. Zu den Gründen für die Verzögerung oder für den gewählten Versandweg machte die Behörde keine weiteren Angaben. Auch zu weiteren Einzelheiten äußerte sie sich nicht und verwies auf die Zuständigkeit der spanischen Behörden.
Momentan befindet sich Rahim Peerzada in den USA in Haft. Ende März wurde er bei seiner Einreise am Flughafen Washington Dulles unter dem Namen Mohammad Rahim Wahidi festgenommen. Nach WELT-Recherchen wurde er dort unter anderem von FBI-Beamten zu Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs befragt, die die WELT Anfang März öffentlich gemacht hatte. Mehrere Frauen hatten im Gespräch mit dieser Redaktion von Peerzadas übergriffigem Verhalten berichtet. Eine mittlerweile in Deutschland lebende Betroffene schilderte eine mutmaßliche Vergewaltigung, zwei weitere Frauen werfen ihm ebenfalls sexuelle Übergriffe vor. Auf die Konfrontation durch WELT reagierte Peerzada mit einer pauschalen Erklärung: Er wies alle gegen ihn erhobenen Vorwürfe als unbegründet zurück.
Wie zuerst Politico (wie WELT Teil des Axel-Springer-Verlags) berichtete, könnte die Inhaftierung Peerzadas zudem mit einem Verfahren gegen seinen Schwager Farhad Shakeri zusammenhängen. Die US-Staatsanwaltschaft des Southern District of New York beschuldigt Shakeri, ein iranischer Agent zu sein und zusammen mit zwei Komplizen im Auftrag der Iranischen Revolutionsgarden (IRGC) einen Auftragsmord geplant haben soll. Eine Anfrage der WELT an Peerzadas US-Anwalt zur möglichen Verbindung blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
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