Soheila spricht leise, fast atemlos. Ihre Stimme zittert leicht, doch dahinter liegt eine feste Entschlossenheit. „Ich könnte mitten in der Sprachnachricht den Kontakt verlieren. Ich höre Geräusche und ich weiß nicht, wie lange mein VPN noch funktioniert.“ Trotz der Bombardierungen, die im Hintergrund zu hören sind, und der panischen Flucht vieler Menschen, bleibt die Journalistin in Teheran. Doch die Umstände sind dramatisch.
Der Krieg zwischen Iran und Israel geht in die zweite Woche. Israel greift seitdem unter anderem Atomanlagen im Iran an, mehrere Militärführer und Atomwissenschaftler wurden getötet. Jerusalem spricht von einem Präventivschlag und begründet ihn mit dem weit fortgeschrittenen iranischen Atomprogramm. Minister erklären, dass Irans oberster geistlicher Führer, Ajatollah Ali Chamenei, nicht länger existieren dürfe. Der Iran feuert als Reaktion Raketen auf Israel, auch zivile Gebiete sind betroffen. US-Präsident Donald Trump kündigte am Donnerstag an, binnen zwei Wochen über eine mögliche amerikanische Intervention zu entscheiden.
„In den ersten drei Tagen glaubt man nicht, dass wirklich Krieg ist“, sagt Soheila* im Gespräch mit WELT. Man brauche Zeit, sich daran zu gewöhnen. „Auch wenn die Wohnung bebt, der Kopf will es nicht wahrhaben. Nachts schläft man kaum, weil die Bombardierungen weitergehen. Sie sagen, sie würden keine Zivilisten angreifen – aber wir haben Gebäude einstürzen sehen, Menschen sterben. Es gibt keinen sicheren Ort, weder in der Stadt noch außerhalb.“
Nach Angaben des in den USA ansässigen Menschenrechtsnetzwerks Human Rights Activists in Iran (HRANA) wurden bislang 639 Menschen in dem Land getötet – darunter mindestens 263 Zivilisten. Die Organisation stützt sich dabei auf offizielle Zahlen sowie auf lokale Quellen.
Soheila bringt das Dilemma auf den Punkt: „Die Mehrheit der Iraner hasst die Islamische Republik. Wir haben eine bessere Zukunft verdient, ein besseres Leben. Aber wir hassen auch den Bombardierungskrieg und die israelischen Angriffe auf uns. Niemand weiß, was kommt. Das ist die größte Angst.“
Seit Tagen hallen Explosionen durch die Straßen von Irans Hauptstadt. Viele der mehr als 15 Millionen Einwohner sind geflohen. Doch Soheila ist geblieben. „Ich habe zwei Katzen, Toranj und Meshki. Sie halten mich am Leben, gerade sind sie stärker als ich.“ Ihre Katzen liegen eingerollt auf dem Sofa. Ihnen scheint die veränderte Geräuschkulisse nichts auszumachen.
„Meine Eltern haben mich gedrängt, zu ihnen zu ziehen, weil sie weiter südlich wohnen. Aber ich will nicht fliehen. Ich habe Kriege begleitet, über Menschen geschrieben, die ihre Häuser verlassen mussten – und oft nie zurückkamen. Ich habe eine Bindung zu dieser Stadt, auch wenn ich hier nicht geboren bin. Ich liebe mein Zuhause, meine Freunde, sogar die leeren Straßen jetzt. Ich will nicht weg, ich will hierbleiben.“
Soheila wiederholt diesen Satz oft. „Wenn ich sterben muss, dann lieber in meinem Haus, als von allem getrennt zu sein, was ich liebe und worum ich mir Sorgen mache. Egal, was passiert, selbst wenn sie Atombomben auf Teheran werfen – ich werde diese Stadt nicht verlassen.“
Während die Bombardierungen zunehmen, verändert sich auch das Bild der Stadt. An den Tankstellen bildeten sich teils kilometerlange Schlangen. Benzin ist mittlerweile auf weniger als 20 Liter pro Fahrer rationiert worden. Wer ein Auto hat, versucht, die Stadt in Richtung Norden zum Kaspischen Meer zu verlassen oder in den Osten des Landes zu fahren, der noch als vergleichsweise sicher gilt. Auf den Autobahnen kommt es zu Staus.
Niloufar*, die im Ausland lebt, berichtet WELT, ihre Familie habe eine Nacht im Auto verbracht, bevor sie sich schweren Herzens entschied, Teheran vorerst zu verlassen. Einer ihrer Nachbarn sei mutmaßlich Mitglied der Revolutionsgarde. Die Angst, dass ihr Wohnhaus Ziel eines israelischen Angriffs werden könnte, wurde plötzlich sehr real.
Ein Beamter aus dem Bildungsministerium wollte eigentlich nach Aserbaidschan – ein Rat seines Bruders aus den USA. Mit seiner 82-jährigen Mutter machte er sich am Sonntag auf den Weg, wie er der Nachrichtenagentur dpa erzähle. „Aber wegen des dichten Verkehrs, der Benzinknappheit und des schlechten Gesundheitszustands meiner Mutter mussten wir umkehren. Jetzt warten wir auf bessere Bedingungen, um es erneut zu versuchen.“
Sajjad berichtet der dpa von seiner Flucht nach Rascht, einer grünen Stadt in der Nähe des Meeres. Die Fahrt dauert normalerweise gut vier Stunden, doch er war länger als einen Tag unterwegs. „Jetzt, wo wir angekommen sind, ist es auch nicht besser. Die Läden sind überfüllt, es mangelt an Lebensmitteln“, sagt er. Auch Unterkünfte seien deutlich teurer geworden.
„Letzte Nacht habe ich zum ersten Mal seit Kriegsbeginn geweint“, erzählt Soheila über unruhige Stunden in Teheran. „Es gab Explosionen um 2 Uhr morgens, so nah, dass es sich anfühlte, als würde das Haus einstürzen. Selbst Toranj hatte Angst. Ich habe für mein Land geweint, für mein Zuhause. Wir haben so lange für Freiheit gekämpft.“
Soheila meint die Freiheitsbewegung, ausgelöst durch den Tod der jungen Frau Mahsa Amini in Gewahrsam der Sittenpolizei. „Aber wir konnten es nicht erreichen. Wir wollten keinen Krieg, wir haben alles versucht, aber es hat nicht gereicht. Zu sehen, wie dieses Land brennt, zerreißt mich.“
„Dann könnten sie mich ins Gefängnis werfen oder sogar hinrichten“
Die politischen Entwicklungen verschärfen die Lage weiter. Ein irakischer Milizenführer droht den USA mit Angriffen auf amerikanische Staatsbürger, sollte Chamenei attackiert werden. Die iranische Polizei verhaftet mutmaßliche israelische Spione, oft auch willkürlich. Israel zerstörte am Donnerstag viele iranische Raketenabschussanlagen, doch der Iran verfügt laut Militärsprecher noch über hundert weitere. Die Gefahr eines größeren Krieges wächst.
Soheilas Arbeit als Journalistin ist gefährlich. Sie wurde schon einmal verhaftet. „Wenn die Regierung herausfindet, dass ich mit ausländischen Journalisten spreche, könnten sie mich als Spionin Israels und der USA beschuldigen, mich ins Gefängnis werfen oder sogar hinrichten.“
Während sie spricht, ruft plötzlich ihr Vater an – er will wissen, ob es ihr gut geht. Kurz darauf hört Soheila Einschläge, irgendwo im Osten der Stadt. Sie spricht schneller, will noch alles sagen, bevor das Internet erneut ausfällt.
Anders als in Israel gibt es im Iran weder Warnsysteme für Luftangriffe noch Schutzbunker für die Zivilbevölkerung. Viele Menschen schlafen in U-Bahn-Stationen, andere bleiben einfach zu Hause – in der Hoffnung, nicht getroffen zu werden. Die wenigen Hilfsmaßnahmen kommen von Nachbarn, Freunden, Freiwilligen, die sich privat organisieren.
Maryam, eine Exil-Iranerin in Wien, spricht täglich mit Verwandten im Iran, wie sie WELT berichtet – wenn es das Netz zulässt: „Die Gespräche mit der Familie sind teilweise nüchtern, weil man nie weiß, ob jemand mithört.“
Zu Beginn, sagt sie, sei die Hoffnung groß gewesen: „Man dachte, jetzt kommt die Rettung. Doch als klar wurde, dass es sich nicht um einen gezielten Schlag gegen das Regime oder die Atomanlagen handelt, sondern dass auch Zivilisten getroffen werden, ganze Städte bombardiert werden – da haben wir begriffen: Das ist der Krieg, von dem seit 46 Jahren gesprochen wird. Und mit diesem Bewusstsein kam die Angst.“
Eine Nachricht ihres Onkels habe sie zu Tränen gerührt: „Er hat gesagt, dass das Einzige, was ihm noch bleibt, ist die Hoffnung auf Freiheit. Denn schlimmer als das, was es ist, kann es nicht werden.“
Doch für Maryam ist klar: „Es geht in diesem Krieg nicht um die Befreiung des iranischen Volkes vom Regime. Darüber wird nie gesprochen.“ Aus ihrer Sicht geht es eher darum, „westliche wirtschaftliche Interessen zu wahren“. Die Diaspora organisiert Proteste, um auf das Leid der iranischen Zivilbevölkerung hinzuweisen.
Teheran wirke wie betäubt, sagt Soheila. „Es gibt Gegenden in der Stadt, die sich völlig verlassen anfühlen. Nachts herrscht Panik. Ich gehe kaum aus dem Haus. Letzte Woche war ich aber noch draußen, um Futter für meine Katzen zu kaufen. Die Straßen waren still.“
„Mein Bruder, der auch in Teheran lebt, ist losgefahren, um Benzin zu besorgen, falls wir fliehen müssen“, erzählt sie. „Und viele gehen mit Tränen in den Augen. Sie posten Videos, in denen sie sich von ihren Wohnungen verabschieden: ,Mein liebes Haus, ich komme bald zurück. Bitte bleib sicher.‘“
Als das letzte Lebenszeichen von Soheila eintrifft, bevor das Internet auf Anordnung der Behörden nahezu vollständig abgeschaltet wird und Millionen Iranern den Zugang zu Informationen verwehrt, sagt sie: „Ich hoffe, die Welt erinnert sich an uns – als Menschen, die für Freiheit gekämpft haben. Besonders an die Frauen dieses Landes. Seit über hundert Jahren versuchen wir, Demokratie zu erlangen – und haben sie nie erreicht. Krieg war das Letzte, was wir wollten. Ich hoffe, wir überleben das, ich hoffe, wir befreien uns von der Islamischen Republik. Und vielleicht erlebe ich eines Tages ein freies Iran – so wie die Syrer den Fall Assads erlebt haben. Aber nicht durch Krieg. Niemals durch Krieg.“
Dann bricht der Kontakt ab. Was bleibt ist das laute Schweigen einer Stadt, die im Krieg versinkt.
*Die Namen wurden zum Schutz der Personen geändert, die richtigen Namen sind der Redaktion bekannt
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