Der Vorstand der Otto Group aus Hamburg besteht zur Hälfte aus Frauen - und es gibt flexible Arbeitszeitmodelle auch in der Führungsspitze. Warum der Traditionskonzern damit immer noch eine Ausnahme ist.

Wer in die Vorstandsetage der Otto Group geht, erlebt ein Führungsteam mit vielen starken Frauen. Seit Mitte Mai ist der Vorstand paritätisch besetzt. Das Geschlechterverhältnis im sechsköpfigen Konzernvorstand ist ausgeglichen - mit Petra Scharner-Wolff als Vorstandsvorsitzender (CEO), Katy Roewer als Finanzchefin (CFO) und Mahbobeh Sabetnia als Technikvorstand (CTO).

Zum Unternehmen, das mit Versandhandel und dem Otto-Katalog berühmt wurde, gehören heute mehr als 35.000 Mitarbeitende weltweit - und internationale Marken wie der Logistiker Hermes, die Textilmarke Bonxprix oder die Möbelkette Crate and Barrel.

Doch das Geschäft für den Handelsriesen ist schwieriger geworden: Die US-Zollpolitik führt zu Unsicherheit, Konkurrenz aus China sorgt für mehr Wettbewerb auf dem europäischen Markt. Das Unternehmen diversifiziert daher seine Import-Struktur. So könne man flexibler zwischen den Ländern hin- und her tauschen und die Ware aus dem bestmöglichen Land beziehen. "Wir werden auch die europäische Produktion ausbauen. In Osteuropa gibt es viele Standorte, die sehr hochwertige Möbel herstellen können", sagt Konzernchefin Scharner-Wolff.

Meist höchstens eine Frau im Vorstand

Als Familienunternehmen denkt die Otto Group in Generationen und legt Wert auf Beständigkeit. Petra Scharner-Wolff arbeitet seit 26 Jahren für den Konzern. Sie hat viele der Transformationen mitbekommen und selbst in die Wege geleitet. "Wir halten diese Werte und diese Art des Unternehmertums aufrecht, auch wenn die Rahmenbedingungen schwieriger werden", sagt die Managerin. "Das sind große Veränderungsprozesse und es dauert etwas länger, bis sich das in Summe durchträgt."

Diversität, Gleichstellung und eine Kultur des Miteinanders sind dem Führungsteam der Otto Group wichtig. So feierte das Unternehmen jüngst eine eigene Kulturwandel-Konferenz mit 900 Teilnehmenden bundesweit, in der es um Fragen der richtigen Feedback-und Führungskultur und den Umgang mit "Gegentrend-Dynamiken" geht. Denn während Otto weiter auf Vielfalt und Nachhaltigkeit setzt, geht das Bekenntnis von Unternehmen zur Diversität weltweit zurück, konservative Rollenbilder gewinnen an Kraft.

Zwar holen immer mehr Unternehmen Frauen in die Vorstände, aber in der Regel nur eine. Vergangenes Jahr war nur jedes vierte Vorstandsmitglied im DAX eine Frau. Bei Familienunternehmen sind die Zahlen deutlich schlechter. Hier lag der Frauenanteil in den Geschäftsführungen 2024 bei rund 13 Prozent. Bei mehr als der Hälfte der Firmen sei die Top-Etage rein männlich besetzt, so eine Studie der gemeinnützigen Allbright-Stiftung. Die Otto Group ist also in vielerlei Hinsicht ein Ausreißer.

"Männer in Teilzeit noch nicht komplett akzeptiert"

Bei Otto begreift man Gegentrends als Teil von Fortschritt und will rechtzeitig Visionen anbieten. "Der gesellschaftliche Diskurs ist wichtig. Gegendruck und Widersacher sind wichtig, diese muss man hören und daraus die Argumente weiterentwickeln", so Petra Scharner-Wolff. Etwa, wenn es um die gleichberechtigte Rollenverteilung von Männern und Frauen geht.

Frauen waren 2024 mehr als viermal so häufig in Teilzeit tätig als Männer. "Dass Männer Teilzeit arbeiten, ist aus meiner Sicht in Deutschland immer noch nicht kulturell komplett akzeptiert", sagt die Otto-Chefin. "Ich glaube, dass auch auf den Männern ein großer Druck lastet. Männer und Frauen müssen den Weg gemeinsam gehen."

Was macht gute Führung aus?

Katy Roewer sieht das ähnlich, auch sie setzt sich stark für Gleichberechtigung ein. Die 49-Jährige verantwortet seit dem 1. März 2025 bei der Otto Group den Bereich Finanzen, Controlling und Personal. Das Besondere: Seit der Geburt ihres Sohnes vor elf Jahren arbeitet Roewer in Teilzeit. Jeden Montag- und Freitagnachmittag hat sie frei.

Aber selbst in Teilzeit knackt sie ab und an die 60-Stunden-Woche. Sie sagt von sich selbst, sie habe aufgehört "perfekt zu sein". "Was über allem steht ist, dass man sich selbst nicht zu wichtig nehmen darf, als Managerin und als Mutter. Ich weiß, dass ich nicht alles kann und ich vertraue anderen, weil ich vom Guten im Menschen überzeugt bin."

Führung heißt für sie Lösungen zu finden, auch wenn das menschlich herausfordernd sein könne. "In diesem Spannungsfeld zu führen, also Raum für Kreativität und Ideen zu lassen und gleichzeitig Orientierung zu geben und Entscheidungen zu treffen und zu diesen Entscheidungen zu stehen, das ist für mich gute Führung."

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