Derzeit gehen so viele Firmen pleite wie seit vielen Jahren nicht mehr. Während einige Experten die hohe Zahl mit der schwächelnden Konjunktur und Standortproblemen begründen, sehen andere einen Nachholeffekt.

Die Zahl der Firmenpleiten in Deutschland steigt weiter. Im Juni wurden an den Amtsgerichten 2,4 Prozent mehr Regelinsolvenzen angemeldet als ein Jahr zuvor, wie das Statistische Bundesamt anhand vorläufiger Angaben berichtet. Zuvor hatte es im Mai den ersten jahresbezogenen Rückgang der Pleitezahlen seit März 2023 gegeben.

Höchststände seit 2015

Der veröffentlichte Schnellindikator greift Meldungen der Plattform Insolvenzbekanntmachungen.de auf. Ob alle Fälle von den Insolvenzgerichten tatsächlich so weit gebracht werden, dass sie in die amtliche Statistik eingehen, ist noch offen. Der tatsächliche Zeitpunkt des Insolvenzantrags liegt nach Angaben des Bundesamtes oft annähernd drei Monate davor. Für die amtliche Statistik werden dann Daten der Gerichte verwendet, die nicht so schnell zur Verfügung stehen.

Klar ist aber: Weiterhin rutschen sehr viele Firmen in die Zahlungsunfähigkeit. Kürzlich hat die Auskunftei Creditreform für das erste Halbjahr einen Anstieg um 9,4 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum auf 11.900 Insolvenzen hochgerechnet. Das wäre der höchste Stand seit 2015. Damals zählte Creditreform von Januar bis Ende Juni 11.530 Firmenpleiten.

Höchster April-Wert seit elf Jahren

Für den April berichtet das Bundesamt von 2.125 endgültig beantragen Firmeninsolvenzen. Das waren 11,5 Prozent mehr als ein Jahr zuvor und der höchste April-Wert seit elf Jahren, so die Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). "Die Welle der Unternehmensinsolvenzen schwillt weiter an", sagte DIHK-Chefanalyst Volker Treier.

Besonders viele Insolvenzen gab es in den Branchen Verkehr und Lagerei, Bau- und Gastgewerbe. Die Forderungen der Gläubiger werden wegen deutlich kleinerer Fälle auf rund 2,5 Milliarden Euro beziffert. Ein Jahr zuvor, als besonders viele wirtschaftlich bedeutende Firmen aufgegeben haben, waren es noch rund 11,4 Milliarden Euro.

Gründe für die Pleiten sind unter anderem die schwache Nachfrage seitens der Konsumentinnen und Konsumenten sowie steigende Kosten etwa für Energie und Bürokratielasten. Der Anstieg war zum Teil erwartet worden, nachdem die staatliche Unterstützung aus der Corona-Pandemie ausgelaufen war. Der hohe Aprilwert bei den Firmenpleiten signalisiere klar, dass Deutschland nach wie vor große Standortprobleme habe, so Treier. "Wer Wettbewerbsfähigkeit sichern will, darf Entlastungen nicht weiter vertagen." Daher solle das Investitionssofortprogramm des Bundes zügig umgesetzt werden.

Keine konjunkturellen Gründe?

Derartige Programme könnten ihre Wirkung auf das Insolvenzgeschehen immer erst mit Verzögerung entfalten, betont hingegen der Vorsitzende des Insolvenzverwalterverbandes (VID), Christoph Niering. Er weist auf weit höhere Zahlen in der Vergangenheit hin. Der VID sehe derzeit keine flächendeckende Wirtschaftskrise. Insolvenzen seien in ökonomischen Umbruchzeiten keine Seltenheit und sogar zur Erneuerung erforderlich.

Auch anderen Expertinnen und Experten zufolge hat der Anstieg weniger mit der konjunkturellen Dauerflaute in Deutschland zu tun. "Über viele Jahre hinweg haben extrem niedrige Zinsen Insolvenzen verhindert", sagte der Leiter der Insolvenzforschung am Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), Steffen Müller. "Und während der Pandemie sind durch staatliche Stützungsmaßnahmen auch Unternehmen am Markt geblieben, die bereits zuvor schwach aufgestellt waren."

Der Zinsanstieg und der Wegfall dieser Hilfen hätten ab Mitte 2022 zu einem Nachholeffekt bei den Pleiten geführt. In den steigenden Insolvenzzahlen sieht Müller schmerzhafte, aber notwendige Marktbereinigungen und Strukturanpassungen, die Raum für zukunftsfähige Unternehmen schaffen könnten.

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