• Die schwarz-rote Regierungskoalition hat alle Abstimmungen über die Neubesetzung von Richterposten beim Bundesverfassungsgericht kurzfristig abgesagt.
  • Auslöser war eine Blockade mehrerer Unionsabgeordneter gegen die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf.
  • Die Sozialdemokraten kritisierten den konservativen Koalitionspartner daraufhin scharf.

Die für Freitag im Bundestag geplante Wahl von drei neuen Verfassungsrichtern ist vorerst gescheitert. Wie Bundestagsvizepräsidentin Josephine Ortleb mitteilte, wurden die angesetzten Wahlen auf Antrag von Union, SPD und Grünen vertagt.

Zuvor war die Bundestagssitzung am Morgen auf Bitten der SPD unterbrochen worden. Grund war, dass die Union Vorbehalte gegen die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf vorgebracht und verlangt hatte, deren Wahl von der Tagesordnung abzusetzen. Die Union begründete das damit, dass ein "Plagiatsverdacht die fachliche Expertise in Zweifel" ziehe. Die Universität Hamburg sieht indes keinen Anlass, die Doktorarbeit der Bundesrichter-Kandidatin zu überprüfen.

Weil sowohl Union als auch SPD auf ihrem Standpunkt beharrt hatten, waren alle drei Wahlen daraufhin kurzfristig von der Tagesordnung abgesetzt worden.

Kritik an SPD-Kandidatin Brosius-Gersdorf

Frauke Brosius-Gersdorf stößt als Verfassungsrichterin in der Union auf Widerstand.Bildrechte: picture alliance/dpa | Britta Pedersen

Gegen die Juristin Brosius-Gersdorf hatte es schon zuvor massive Vorbehalte aus den Reihen von CDU/CSU gegeben, unter anderem wegen ihrer liberalen Haltung beim Thema Abtreibung. Auch Vertreter der katholischen Kirche hatten sich gegen die SPD-Kandidatin ausgesprochen.

Brosius-Gersdorf war stellvertretende Koordinatorin in einer von der vorherigen Bundesregierung eingerichteten Kommission, die eine mögliche Liberalisierung der Abtreibungsregelung prüfen sollte und entsprechende Empfehlungen vorlegte. Kritik gab es auch an ihrer Aussage, es gebe gute Gründe dafür, dass die Garantie der Menschenwürde erst ab der Geburt gelte.

Vorwürfe an die Union

Die Vertagung der Richterwahl löste viel Kritik aus. Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger erklärte, die Person Brosius-Gersdorf sei beschädigt worden. Es sei bedauerlich, wie mit einer Richterin und einer Frau umgegangen worden sei, sagte die SPD-Politikerin am Rande der Sitzung des Bundesrats.

Schärfere Worte fand Grünen-Fraktionsvorsitzende Britta Haßelmann: "Dieser Tag heute ist ein Desaster für das Parlament, ist vor allen Dingen ein Desaster für Jens Spahn und Friedrich Merz und mit ihm die Koalitionsfraktionen von CDU, CSU und SPD." Die Grünen fordern, die abgesetzte Verfassungsrichterwahl nächste Woche in einer Bundestags-Sondersitzung wieder aufzunehmen.

Auch SPD kritisiert den Koalitionspartner

Die SPD im Bundestag machte klar die Union für den Eklat verantwortlich. Der erste parlamentarische Geschäftsführer, Dirk Wiese, nannte die Vorwürfe gegen Brosius-Gersdorf "haltlos" und sprach von "einer Hetzkampagne". Der SPD-Politiker sieht eine Beeinflussung von Rechts: "Dass wir hier Debatten haben wie beim Supreme Court, wie bei der Besetzung der Richterstellen in Polen, [...] hätte ich mir nicht träumen lassen."

Auch SPD-Chef Lars Klingbeil hat nach der geplatzten Wahl Kritik an der Union geäußert. Er forderte "Führung und Verantwortung" in der Koalition. Außerdem verteidigte der Vizekanzler Brosius-Gersdorf: "Wenn eine Richterin eine kritische Position zu 218 hat, dann ist das mehr als legitim in unserem Land".

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Serdar Yüksel sprach von einem "Kulturkampf, der da von interessierter Seite betrieben worden ist". Die AfD nannte die vertagte Wahl eine "Regierungskrise".

Unionsfraktionschef Jens Spahn betonte indes das Interesse der Union an einem "stabilen Bündnis" mit dem Koalitionspartner SPD. Man habe in den vergangenen Wochen Stabilität gezeigt, erklärte der CDU-Politiker nach Angaben von Teilnehmern in einer Sondersitzung der Unionsfraktion. Spahn wurde mit den Worten zitiert, die Union wolle Deutschland gut regieren, der Auftrag gelte unverändert. Man tue "alles dafür, dass das gelingt".

Nächste Wahl frühestens im September

Bundestagspräsidentin Julia Klöckner warb dafür, die verschobene Wahl nach der Sommerpause in der nächsten regulären Sitzung des Parlaments nachzuholen. Sollte es einen neuen Personalvorschlag geben, müsse dazu der Richterwahlausschuss zuerst entscheiden. Sie wünsche allen Parlamentsmitgliedern, die Zeit zu nutzen, um zu einer tragfähigen Entscheidung zu kommen.

Reuters/KNA/AFP/DPA (jeb, jst)

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