Lufthansa und Tuifly trennen sich in der Pandemie von Hunderten Piloten. Inzwischen wird wieder mehr geflogen, aber nun fehlt der Nachwuchs. Der Mangel trifft die gesamte Branche, sagt Pilot und Gewerkschafter Andreas Pinheiro. Automatisiertes Fliegen ist keine Lösung.
Die Lufthansa-Tochter Swiss muss in diesem Sommer 1400 Flüge streichen, weil Pilotinnen und Piloten fehlen. Dabei handelt es sich nicht um einen Einzelfall - der gesamten Branche in Europa und den USA fehlen Flugkapitäne, wie Andreas Pinheiro, Präsident des Berufsverbands Vereinigung Cockpit, im Gespräch mit ntv.de berichtet. Für die Passagiere steigen dadurch die Ticketpreise.
Nach Berechnungen der Managementberatung Oliver Wyman werden bis 2032 in Europa 19.000 Piloten fehlen, in Nordamerika sogar fast 30.000, wenn nicht gegengesteuert wird. Die Lufthansa-Gruppe etwa kündigt auf ihrer Homepage an, in den nächsten Jahren mehr als 2000 neue Mitarbeiter fürs Cockpit einzustellen.
Die Probleme sind in den Augen von Pinheiro - selbst Pilot bei der Lufthansa - hausgemacht: "Das ist die Folge von Managementfehlern", sagt der Gewerkschafter. "Die Prognosen aus der Corona-Pandemie haben sich bewahrheitet." So schlitterte der Lufthansa-Konzern seiner Einschätzung nach sehenden Auges in den Piloten-Mangel: "Es war klar: Es wird eng auf dem Piloten-Markt."
Hunderte im Vorruhestand, Ausbildung reduziert
Zum einen gehen in diesen Jahren mit den sogenannten Babyboomern zahlreiche Piloten gleichzeitig in Rente. Der Vorruhestand ist bei den Kernmarken Lufthansa Passage und Lufthansa Cargo schon ab 55 Jahren möglich. Angesichts der in der Pandemie stark gesunkenen Nachfrage schickte die Airline vor drei Jahren fast 400 Piloten über ein Freiwilligenprogramm in den vorzeitigen Ruhestand. "Eine hohe Zahl bei derzeit rund 4900 Piloten."
Dieser Rückgang lässt sich jetzt, wo sich die Nachfrage zumindest auf der Mittel- und Langstrecke wieder dem Vor-Corona-Niveau nähert, nicht kompensieren: "Es handelte sich um 390 Kapitäne - man braucht 18 bis 20 Jahre, um Kapitän zu werden." Zudem hätten im Zuge des Freiwilligenprogramms viele Ausbilder das Unternehmen verlassen. Ausbilder zu werden, dauere wiederum bis zu drei Jahre. Ähnlich lief es der Piloten-Gewerkschaft zufolge beim Freiwilligenprogramm von Tuifly.
Ebenfalls während der Pandemie reduzierte die Lufthansa die Ausbildungskapazitäten ihrer für den Konzern zentralen Flugschule in Bremen massiv. "Deshalb haben wir jetzt ein Nachwuchsproblem", sagt Pinheiro. Da ein Flugschüler im Normalfall drei Jahre Ausbildung benötigt, manifestiere sich die Entwicklung erst jetzt.
In der Folge liege das Flugangebot in Deutschland noch deutlich unter dem Vor-Corona-Niveau, auch weil Flugzeuge aus dem Markt genommen wurden. Von den rund 180 Kurzstreckenflugzeugen bei der Lufthansa Passage sind laut Pinheiro nur etwas mehr als 150 im Einsatz. "Bei einer relativ hohen Nachfrage führt das zu hohen Preisen", gibt der Pilot zu bedenken.
Ausbildung kostet 120.000 Euro
Damit nicht auch noch die Sicherheit der Passagiere leidet, seien Flugstreichungen die richtige Konsequenz. Der Beruf sei schon anstrengend genug: Schicht- und Nachtarbeit nach einem strikten Dienstplan. Viele junge Menschen wollten heute selbstbestimmter arbeiten.
Nicht nur deshalb drängen nicht mehr so viele und nicht mehr so viele geeignete Bewerber in den Job wie früher. Die Ausbildungskosten von 120.000 Euro bei der Lufthansa müssen vom späteren Gehalt zurückgezahlt werden, schon in der Ausbildung sind 10.000 Euro fällig, ob aus Eigenkapital oder einem Kredit. Danach ist ein Job im Konzern allerdings nicht mehr garantiert.
Die Vereinigung Cockpit fordert eine Übernahmegarantie wie früher und dass die Finanzierung der Ausbildung erleichtert wird, also unabhängig vom finanziellen Hintergrund der Bewerber. "Wir wollen keinen Eliteberuf schaffen, sondern die fähigsten Leute im Cockpit haben", sagt Pinheiro. "Dafür ist die soziale Schicht oder das Einkommen des Elternhauses egal." Eine Ausbildung sei kein Profitcenter, mahnt der Gewerkschaftschef die Arbeitgeber. Geld verdienen lasse sich später mit motivierten, gut geschulten Piloten.
Große Gehaltsunterschiede
Das Gehalt von Piloten unterscheidet sich je nach Airline stark. Die Lufthansa-Gruppe stellt fertig ausgebildete Flugschüler inzwischen über ihre Tochterunternehmen ein, die bis zu 50 Prozent weniger Gehalt zahlen. Bei der Kernmarke Lufthansa steigt ein Co-Pilot mit einem Fixgehalt von 88.600 Euro im Jahr ein, wie das "Handelsblatt" unter Berufung auf das Unternehmen berichtete. Kapitäne in der höchsten Erfahrungsstufe können demnach bis zu 281.300 Euro verdienen - plus Zulagen.
Durchschnittliche Jahresgehälter liegen für Co-Piloten bei 100.000 Euro, für Kapitäne, die Mittelstrecke fliegen, bei etwa 135.000 Euro, wie die Vereinigung Cockpit RTL mitteilte. Das Jobportal Stepstone nennt für Piloten nur eine Gehaltsspanne von gut 61.000 bis knapp 83.000 Euro brutto pro Jahr, umgerechnet also rund 5100 bis 6900 Euro pro Monat. Die Arbeitsagentur kommt auf ein Mediangehalt von 7100 Euro - die Hälfte verdient mehr, die Hälfte weniger, wobei nur für Süd- und Westdeutschland genug Daten vorliegen. Berücksichtigt werden müssen hier zudem teils besondere Konditionen, beispielsweise bei Urlaub oder Rente.
Pinheiro meint, dass heute schon junge Menschen bei der Berufswahl den Traumberuf Pilot mit anderen Jobs und deren Gehältern vergleichen - beispielsweise mit Ärzten, Unternehmensberatern oder Juristen. Die Gewerkschaft wirbt deshalb für höhere Gehälter für Piloten. Daneben müssten die Ausbildungskapazitäten wieder aufgestockt werden, um dem Piloten-Mangel entgegenzuwirken.
Im automatisierten Fliegen sieht der Berufsverband keine Lösung. Auch die Europäische Agentur für Flugsicherheit kam gerade zu dem Ergebnis, dass Verkehrsflugzeuge in Europa weiterhin von mindestens zwei Menschen gesteuert werden müssen - nur eine Person im Cockpit sei zu unsicher. Pinheiro: "Ich gehe davon aus, dass wir noch sehr lange zwei Piloten im Cockpit haben werden, auf Langstreckenflügen drei oder vier."
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