Die russische Schattenflotte ist trotz diverser Sanktionspakete immer noch ein stabiler Anker der russischen Wirtschaft. In der Ostsee vergeht kaum ein Tag, ohne dass ein schrottreifer Tanker mit russischem Öl gesichtet wird. Gefährliche Zwischenfälle häufen sich.
Die Ostsee ist zum Hotspot für die russische Schattenflotte geworden. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass die teils schrottreifen Tanker mit tausenden Tonnen Öl an Bord vor der deutschen Küste entlang fahren. Die Marine ist mit den russischen Schiffen fast täglich beschäftigt, achtet darauf, dass die veralteten Schiffe kein Unheil in der Ostsee anrichten. Auch aus der Luft werden die Fahrten der Schattentanker genau beobachtet.
Wie riskant die Transporte sind, zeigen mehrere Zwischenfälle. Im Januar war der Öltanker "Eventin" auf dem Weg von Russland nach Ägypten, als vor Rügen plötzlich der Strom ausfiel. Der Tanker unter panamaischer Flagge trieb mehrere Stunden lang manövrierunfähig vor Deutschlands größter Insel - mit fast 100.000 Liter Öl an Bord.
Um die Ostseeküste vor Rügen vor einer Umweltkatastrophe zu bewahren, hat der deutsche Zoll den 19 Jahre alten Tanker und seine Ladung beschlagnahmt. Schlimmeres konnte gerade noch verhindert werden.
Zerstörte Datenkabel in der Ostsee
Die "Eventin" ist kein Einzelfall. Fast zeitgleich war es im Januar zu einem weiteren Zwischenfall vor Rügen gekommen. Der Öltanker "Jazz", ebenfalls unter Panama-Flagge, meldete einen Maschinenschaden und begann abzudriften. Der Kapitän konnte die Fahrt schließlich mit reduzierter Geschwindigkeit fortsetzen.
Verdächtig ist, dass die "Jazz" innerhalb von zwei Wochen dreimal Maschinenprobleme gemeldet hat, wie das dänische Portal "information.dk" herausgefunden hat. Probleme gab es immer dann, wenn die "Jazz" nahe dem Datenkabel C-Lion1 entlang gefahren ist. Dieses verbindet Rostock mit Finnland.
Im März vergangenen Jahres kollidierte die "Andromeda Star", ebenfalls unter der Flagge von Panama, vor Jütland mit einem anderen Schiff. Der Schattentanker hatte zu diesem Zeitpunkt keine Ladung an Bord, weil er auf dem Rückweg nach Russland war. Zum Glück. Ansonsten hätte es an der Nordspitze Dänemarks, wo Ost- und Nordsee aufeinandertreffen, eine Ölkatastrophe geben können.
Einen weiteren Vorfall gab es Ende Dezember zwischen Estland und Finnland: Hier soll die "Eagle S" mit ihrem Anker mehrere Datenkabel zerstört haben. Die Ermittler in Helsinki werfen der Crew vor, vorsätzlich den Anker mehrere Kilometer lang über den Meeresboden geschleift zu haben. Der Tanker fährt unter Flagge der Cookinseln, das Sagen hat aber offenbar ebenfalls Russland.
Auch die "Canis Power" war im Mai 2023 unter Flagge der Cookinseln unterwegs, als sie vor Dänemark fast auf Grund lief. Der damals 18 Jahre alte Tanker hatte 340.000 Barrel Öl geladen, dann fielen die Maschinen aus und das Schiff trieb in gefährlich flaches Wasser ab. Im letzten Moment konnte der Tanker zurück in die Fahrrinne gesteuert werden und für die Reparatur ankern.
"Russische Wirtschaft hätte kollabieren können"
Die russische Wirtschaft hält sich auch dreieinhalb Jahre nach dem Großangriff auf die Ukraine über Wasser - die Schattenflotte hat daran einen großen Anteil. Sie füllt die Kriegskasse von Kremlchef Wladimir Putin und dient dem Kreml dazu, das Sanktionsregime des Westens zu untergraben. Laut einer Schätzung der Kyiv School of Economics (KSE) wickelt Russland fast drei Viertel seiner Ölexporte auf dem Seeweg mithilfe seiner Schattenflotte ab.
Moskau umgeht auf diesem Weg den Preisdeckel auf russisches Rohöl, das an Drittstaaten wie Indien, China oder die Türkei verkauft wird. Die Preisobergrenze lag bis zuletzt bei 60 US-Dollar pro Barrel (159-Liter-Fass). "Die westlichen Länder haben den Russen im Prinzip gesagt, wir werden euch jetzt einen Preis auferlegen, der unter dem Marktpreis liegt. Das heißt, die Kaufkraft Russlands wurde damit unmittelbar bedroht", erklärt Ökonom Robin Brooks von der US-Denkfabrik Brookings Institution in der ARD. "Die ganze russische Wirtschaft hätte kollabieren können. Und wenn das passiert wäre, wäre es natürlich schwierig gewesen, den Krieg fortzuführen."
Inzwischen hat die EU beschlossen, die Preisobergrenze regelmäßig anzupassen, so dass sie langfristig nicht mehr als 15 Prozent unter dem durchschnittlichen Marktpreis liegt. In einem ersten Schritt wird der Preisdeckel demnach von derzeit 60 auf 47,60 US-Dollar pro Barrel reduziert. Ursprünglich war eine dauerhafte Absenkung auf 45 US-Dollar geplant gewesen, wegen Bedenken mehrerer EU-Mitgliedsländer wurde aber davon abgesehen.
Schattentanker älter als internationale Flotte
Die Schattenflotte des Kreml ist längst mehrere hundert Schiffe groß. Manche Analysten schätzen, dass rund 500 Tanker dazu gehören, andere sprechen von etwa 650, einige hatten zeitweise sogar von über 1000 Geisterschiffen im Auftrag des Kreml berichtet.
Ein Tanker wird dann zur Schattenflotte gezählt, wenn er russisches Öl transportiert und dabei keine Verbindungen zu Ländern hat, die den Ölpreisdeckel unterschrieben haben. Bevor es den gab, hat Russland etwa 20 Prozent seiner Ölexporte mit Schiffen ohne Verbindungen zu entsprechenden Ländern durchgeführt. Nach Einführung des Preisdeckels ist der Anteil deutlich gestiegen, bei Rohölexporten auf 85 Prozent.
Die oft sehr alten und maroden Schiffe sind ein Umweltrisiko, viele eher reif für die Verschrottung als für den sicheren Transport tausender Tonnen Öl. Im Durchschnitt sind die russischen Schattentanker 18,1 Jahre alt, die Schiffe aller anderen Länder 14,2 Jahre. Umweltschutzorganisationen laufen schon länger Sturm gegen die riskanten Transporte.
"Teilweise gar nicht versichert"
Nicht selten schalten Schattentanker auch ihre Identifikationssysteme aus - und werden zu Geisterschiffen, die ihre Positionsdaten nicht mehr verschicken. Die Tanker können dann mehr oder weniger unentdeckt über die Weltmeere fahren. Und sind auch deshalb ein Sicherheitsrisiko, weil keiner sie auf den Karten sieht.
"Diese Schiffe sind schlecht gewartet und teilweise unterversichert oder sogar gar nicht versichert", gibt Anastasios Leonburg, Risikoingenieur bei Allianz Commercial, im ntv-Interview zu bedenken.
Wenn Russland die Schiffe zu Schattentankern umwandelt, hat es bestehende Versicherungen in den meisten Fällen gekündigt. Und die exotischen Flaggenstaaten der Schiffe kontrollieren kaum, ob der Versicherungsschutz der Tanker ausreichend ist - auch wenn es zumindest mancherorts inzwischen ein Problembewusstsein in Bezug auf die russische Schattenflotte zu geben scheint.
Schiffe unter der Flagge von Panama müssen künftig Schiff-zu-Schiff-Transfers mindestens zwei Tage im Voraus anmelden. Der Schritt dürfte sich vor allem an panamaische Schattentanker im Auftrag des Kreml richten.
Schiff-zu-Schiff-Transfers
Für Russland sind die Warenübergaben auf See ein beliebtes Mittel, um Kosten zu sparen. Bei Schiff-zu-Schiff-Transfers laden mehrere kleine Tanker ihre Waren, in diesem Fall ihr Öl, auf einen großen Tanker um. So sind die Transportkosten niedriger und das Ölgeschäft lukrativer.
Wie wichtig Schiff-zu-Schiff-Transfers im Ölgeschäft geworden sind, zeigen Daten des Tanker-Trackers Vortexa. Demnach wurde 2022 etwa ein Drittel der wichtigsten Rohölsorte Urals auf hoher See von kleinen auf große Tanker umgeladen.
Ein Hotspot für solche Manöver waren in der ersten Zeit nach Kriegsbeginn in der Ukraine die Gewässer vor Griechenland. Im Lakonischen Golf hat die russische Schattenflotte massenhaft solche Tanker-Transfers durchgeführt. Solange bis die griechischen Behörden dagegen vorgegangen sind, Sperrzonen ausgeweitet und mehr kontrolliert haben. Daraufhin haben sich neue Umschlagplätze gebildet.
Putins Schattenflotte hat ihre Schiff-zu-Schiff-Transfers vor allem Richtung Malta verlagert. Aber auch in den Gewässern vor Sizilien, Westafrika und vor der Küste des Oman am arabischen Golf wurden mehrere Manöver registriert. Einen weiteren Tanker-Transfer-Hotspot hat Russland zeitweise in der Straße von Gibraltar aufgebaut, vor der Küste der spanischen Exklave Ceuta waren die Russen Anfang 2023 sehr aktiv. Dann griffen die spanischen Behörden ein, verschärften die Gesetze - und die Russen zogen ab.
Sanktionen gegen hunderte Schiffe, aber ...
Für Putins Schattentanker hat es schon mal bessere Zeiten gegeben. Anfang dieses Jahres ist ein Teil der Flotte zum Erliegen gekommen. Das zeigen Bewegungsdaten von Öltankern weltweit. Manche Tanker liegen dauerhaft vor Anker.
Grund dafür sind mehrere Sanktionspakete von den USA und Europa. Im Januar hatte die Biden-Regierung als eine ihrer letzten Maßnahmen vor der Amtsübergabe an Donald Trump 183 Tanker sanktioniert, die Washington zur russischen Schattenflotte zählt. Allein bis März dieses Jahres stieg die Zahl der von den USA sanktionierten Tanker auf 213. Die EU hat inzwischen rund 450 Tanker von Putins Schattenflotte auf die rote Liste gesetzt. Auch Großbritannien und Kanada sanktionieren die Schiffe im großen Stil.
Noch reicht das aber nicht, um dem Treiben ein Ende zu setzen. Deutschland und die EU müssten noch viel konsequenter vorgehen, fordert CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter in der ARD. "Das ist ein Beobachten, aber es ist kein Eindämmen", sagt der Oberst a.D. der Bundeswehr zum Auftrag der Marine in der Ostsee. "Da diese Schiffe eine Gefahr für die Umwelt darstellen und von ihnen auch Spionagegefahren ausgehen, reicht das nicht. Wir brauchen eine härtere Gangart."
Robin Brooks zufolge geht der Westen aus Angst vor den Folgen für die Wirtschaft nicht konsequenter vor. "Deswegen haben wir Russland nicht in die Ecke getrieben, die wir hätten können", sagt der Ökonom in der ARD. "Wir haben die Mittel. Wir wissen genau, was wir hätten machen sollen. Wir haben es aber nicht getan. Letzten Endes ist das eine Frage des politischen Willens."
Über Indien kommt russisches Öl nach Deutschland
Die Schattenflotte existiert immer noch. Sie ist zwar kleiner geworden, pumpt aber noch immer Milliarden in die russische Kriegskasse. Und ein Teil des Öls gelangt sogar wieder nach Deutschland und Europa.
Der größte Abnehmer russischen Öls auf dem Seeweg ist Indien. Das bevölkerungsreichste Land der Welt nutzt das Öl aus Russland aber nicht nur selbst, sondern raffiniert einen Teil des Rohöls und verkauft die Endprodukte an den Westen.
Das bedeutet: über den Umweg Indien und die Türkei kommt immer noch russisches Öl nach Europa und Deutschland. Öl, das wir eigentlich gar nicht mehr haben wollen - aber auch nicht stoppen. Unter den Augen der deutschen Marine wird es Monate vorher von russischen Schattentankern durch die Ostsee geschippert.
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