Frankreich ist Europameister im Schuldenmachen. Die Schuldenquote dürfte auch die kommenden Jahre weiter steigen. Die Regierung beschwört deshalb eine Gefahr für Frankreichs Souveränität und droht, über ihre Sparpläne zu stürzen. Wie gefährlich ist die Lage?
Es ist der Finanzminister selbst, der die düstere Warnung ausspricht: Wenn Frankreich jetzt nicht rigoros umsteuere und seine Finanzen in Ordnung bringe, drohe die zweitgrößte Wirtschaft in eine Schuldenkrise zu stürzen, in die der Internationale Währungsfonds (IWF) eingreifen müsse. Der rettet Staaten bekanntlich, wenn Investoren komplett das Vertrauen verloren haben, und die Regierung sich nicht mehr ausreichend Geld am Kapitalmarkt besorgen kann. Um dieses Szenario zu vermeiden, so Finanzminister Éric Lombard, müsse das von ihm und Premierminister François Bayrou vorgelegte drastische Sparprogramm unbedingt umgesetzt werden.
Kommenden Montag stellt sich Bayrou, der mit seiner Minderheitsregierung in der Nationalversammlung nicht über eine eigene Mehrheit verfügt, einer Vertrauensabstimmung. Sein Sturz ist wahrscheinlich. Sämtliche Oppositionsparteien haben angekündigt, gegen den Regierungschef und seine Sparpläne zu stimmen.
Schürt der Finanzminister lediglich Ängste, um die Abwahl der Regierung zu verhindern, oder ist Frankreich wirklich auf dem Weg in eine dramatische Schuldenkrise?
Wie hoch ist Frankreich verschuldet?
Frankreichs Schulden dürften in diesem Jahr ein Niveau von 116 Prozent der Wirtschaftsleistung (Bruttoinlandsprodukt/BIP) erreichen. In der EU haben nur Italien und Griechenland noch höhere Schuldenberge. Allerdings sind diese ehemaligen Finanzsorgenkinder Europas dabei, ihre Verschuldungsquoten abzubauen oder haben sie zumindest stabilisiert. In Frankreich dagegen ist kein Ende des Schuldenanstiegs abzusehen. Der IWF prognostiziert einen Anstieg der Schuldenquote auf 128 Prozent im Jahr 2030.
Wieso steigen Frankreichs Schulden so stark?
Während Frankreich beim Schuldenstand - noch - nicht ganz vorn liegt in Europa, ist es Spitzenreiter beim Schuldenmachen. In diesem Jahr wird der Staatshaushalt, wieder einmal, ein Defizit von bis zu 5,8 Prozent des BIP aufweisen. Das entspricht einem Fehlbetrag von rund 180 Milliarden Euro und ist das höchste Haushaltsdefizit in der EU. Selbst die drastischen und umstrittenen Sparpläne der Regierung Bayrou sehen auch im kommenden Jahr noch ein Defizit von 4,6 Prozent vor und erst für das Jahr 2029 wieder einen Haushalt, der das EU-Ziel von höchsten 3 Prozent Neuverschuldung einhält. Beobachter und Analysten rechnen damit, dass das Defizit auch in den kommenden Jahren weiter über fünf Prozent liegen wird.
Wie gefährlich ist das?
Für seine Einschätzung, dass Frankreich möglicherweise vom IWF gerettet werden müsse, erntete Finanzminister Lombard Widerspruch, unter anderem von der Chefin der Europäischen Zentralbank (EZB) und ehemaligen französischen Wirtschaftsministerin Christine Lagarde. Die Bedingungen für ein Eingreifen des IWF seien in Frankreich nicht gegeben. Dennoch müsse das Land seine "öffentlichen Finanzen in Ordnung bringen". Diese Einschätzung teilen offenkundig auch die Akteure am Finanzmarkt.
Der Spread, der Risikoaufschlag, den Investoren für französische Staatsanleihen im Vergleich zu deutschen Bundesanleihen verlangen, stieg deutlich an, als Bayrou bekannt gab, sich der riskanten Vertrauensabstimmung stellen zu wollen. Die Renditen langlaufender französischer Anleihen näherten sich zuletzt denen italienischer Staatsschulden an. Das bedeutet für die französische Regierung, dass sie deutlich höhere Zinsen zahlen muss. Sie ist allerdings weit davon entfernt, sich gar kein Geld mehr am Finanzmarkt besorgen zu können - es wird allerdings teurer, und das engt die finanziellen Spielräume der Regierung weiter ein.
Die unmittelbare Gefahr liegt darin, dass die Belastung durch den Schuldendienst doppelt zunehmen dürfte: Durch den immer weiter steigenden Schuldenstand und höhere Zinsen. Schon im kommenden Jahr dürfte der Schuldendienst zum größten Ausgabenposten der französischen Regierung werden. Laut Premierminister Bayrou steht die Handlungsfähigkeit und damit nicht weniger als die Souveränität des Staates auf dem Spiel.
Was plant die Regierung?
Bayrou hat einen Haushalt für das kommende Jahr vorgelegt, der Einsparungen von 44 Milliarden Euro vorsieht. Dazu will er unter anderem Stellen im Öffentlichen Dienst abbauen, Sozialausgaben senken, Gehälter von Staatsbediensteten und Pensionen für die nächsten Jahre auf dem aktuellen Niveau einfrieren. Zudem sollen eine "Solidaritätsabgabe" für Gutverdiener eingeführt und zwei Feiertage abgeschafft werden. All dies würde allerdings keineswegs reichen, damit die Schuldenlast sinkt, sie würde lediglich weniger steil ansteigen in den kommenden Jahren.
Was sagt die Opposition?
Seit der Wahl im vergangenen Jahr haben linke und rechte Parteien gemeinsam eine Mehrheit in der Nationalversammlung. Da sie sich meistens nicht einig sind, kann der von Präsident Emmanuel Macron berufene zentristische Ministerpräsident Bayrou gestützt auf eine Minderheit im Parlament regieren. In ihrer Ablehnung einer einschneidenden Sparpolitik sind sich Rechte und Linke aber einig, weswegen schon Bayrous Vorgänger Michelle Barnier keinen Haushalt verabschieden konnte und Ende vergangenen Jahres bei einem Misstrauensvotum stürzte. Besteht Bayrou auf seinem Sparkurs, droht ihm das gleiche Schicksal. Linke Parteien und Gewerkschaften mobilisieren auch auf den Straßen landesweit für Proteste gegen den Sparkurs.
Wie geht es weiter?
Die Sozialisten in der Nationalversammlung haben einen Gegenentwurf zu Bayrous Haushalt vorgelegt, der eine Reduzierung des Defizits um rund 22 Milliarden Euro vorsieht und dabei stärker als Bayrou auf höhere Steuern und weniger auf Einsparungen setzt. Ein Kompromiss in letzter Minute ist nicht ausgeschlossen. Dafür müsste Bayrou wohl eine deutlich höhere Verschuldung akzeptieren, als er bisher für vertretbar hält. Stürzt Bayrou, muss Präsident Macron einen neuen Regierungschef ernennen oder Neuwahlen ausrufen. Gelingt es der Nationalversammlung bis Ende des Jahres nicht, ein Budget für 2026 zu verabschieden, dürfte der Haushalt dieses Jahres zunächst verlängert werden. Dies hätte eine ungebremste Fortsetzung der Neuverschuldung zur Folge.
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