Die USA sind das Land der billigen Energie. Wer das Haus verlässt, macht meistens nicht einmal das Licht aus. Jetzt schauen Amerikaner immer häufiger fassungslos auf ihre Stromrechnung: Der KI-Boom fordert seinen Preis. Private Haushalte sollen zahlen.
Es ist ein ikonisches Bild: Wenn die Sonne untergeht, verwandelt sich New York in ein Lichtermeer. Unzählige Wolkenkratzer erleuchten die Nacht. Besser gesagt: Ihre Fenster oder das, was sich dahinter verbirgt: Millionen Lampen, die einfach nicht ausgeschaltet werden. Warum auch? Die USA sind das Land der Spritschlucker und Klimaanlagen: Benzin und Strom sind für deutsche Verhältnisse unfassbar günstig.
Doch seit einiger Zeit wird das Leben in den USA spürbar teurer. Nicht nur der Restaurantbesuch: Anders als von US-Präsident Donald Trump versprochen, steigen auch die Energiekosten. "New York liegt ungefähr auf einem Breitengrad wie Barcelona oder Neapel", sagt Sandra Navidi. "Man muss die Wohnung im Sommer also kühlen, sonst kann man nicht darin bleiben."
Navidi lebt seit mehr als 20 Jahren im Big Apple und ist die USA-Expertin von ntv. Und sie stellt fest: Die in den USA übliche Klimaanlage wird allmählich zum Luxusgut. In manchen Monaten steigt ihre Stromrechnung auf mehrere Hundert Dollar, wie sie im ntv-Podcast "Wieder was gelernt" erzählt. Falls sie überhaupt laufen kann: An heißen Sommertagen werden Navidi und alle anderen New Yorker vom örtlichen Energieversorger Con Edison per Push-Mitteilung gebeten, Strom zu sparen und die Klimaanlagen zu drosseln, weil der Bedarf sonst nicht gedeckt werden kann.
Die Strompreise ziehen an
Der Trend in den USA ist so klar wie überraschend: Energie wird teurer, die Versorgungslage ist angespannt. Dabei wirken die Strompreise für deutsche Verhältnisse auf den ersten Blick wie ein Traum. Im Schnitt zahlen amerikanische Privathaushalte derzeit 18 Cent für eine Kilowattstunde Strom. In Deutschland sind es für Bestandskunden derzeit 40 Cent. Neukunden können bei einem Tarifwechsel etwa zehn Cent sparen.
Doch während die Strompreise in Deutschland nach der Energiekrise langsam, aber sicher fallen, ist die Situation in den USA umgekehrt: In den Vereinigten Staaten kommen sie von einem niedrigen Niveau, aber steigen. Im ersten Halbjahr haben die US-Amerikaner im Schnitt knapp zehn Prozent mehr für ihren Strom bezahlt als ein Jahr zuvor. Die landesweiten Zahlen der US-Energieinformationsbehörde EIA übertünchen allerdings die dramatische Verteuerung einzelner Regionen: Im Bundesstaat Missouri waren die Strompreise im ersten Halbjahr gut 38 Prozent höher als im Vorjahr. In North Dakota waren es fast 34 Prozent und in New Jersey beinahe 29 Prozent. Die Sorge ist: Das ist erst der Anfang.
Super Preise für das Unkraut
Die Ursachen für die steigenden Strompreise sind vielfältig. In Kalifornien wurden in den vergangenen Jahren viele Stromleitungen bei Waldbränden zerstört. Diese müssen neu gebaut werden - teils für viel Geld unter Erde, um sie vor weiteren Katastrophen zu schützen. Die Kosten für diese Arbeiten holen sich die Energieversorger von ihren Kunden zurück.
Ähnlich ist die Lage nach schweren Stürmen und Fluten an der Golfküste. Bundesstaaten wie Florida und Texas müssen ihre Energie-Infrastruktur ebenfalls fit für die Zukunft machen. Das treibt die Stromkosten nach oben.
Der Hauptgrund für die steigenden Preise ist aber das globale KI-Wettrennen. "Es war allen klar, dass der Energieverbrauch durch KI steigen wird", sagt Navidi. "Das wurde häufig abgetan mit dem Argument, dass KI dabei helfen wird, Energie zu sparen. Aber jetzt schießen überall unglaublich große Rechenzentren wie Unkraut aus dem Boden und die Techfirmen vereinbaren mit den Energieversorgern super Strompreise zulasten der privaten Haushalte. Die sollen plötzlich mehr bezahlen. Im Grunde genommen finanziert der kleine Mann die profitabelsten Unternehmen der USA quer."
Gigantische Stromfresser
Die Summen sind kaum zu greifen: Die US-amerikanische Investmentbank Goldman Sachs schätzt, dass nur die großen Technologieunternehmen aus den USA bis Ende nächstes Jahr 737 Milliarden US-Dollar für neue Rechenzentren ausgeben werden. Die Rechenzentren sind gigantische Stromfresser, die man nicht abschalten kann. Sind sie einmal in Betrieb, müssen sie für das KI-Training oder für KI-Anwendungen rund um die Uhr laufen und somit ununterbrochen mit Energie versorgt werden. Goldman Sachs sagt: Weltweit werden Rechenzentren in fünf Jahren 165 Prozent mehr Strom benötigen als heute.
Die Auswirkungen spüren in den Vereinigten Staaten vor allem die Regionen, in denen die Rechenzentren entstehen. PJM Interconnection versorgt 65 Millionen Amerikaner mit Strom und ist somit der größte amerikanische Netzbetreiber. Zum Versorgungsgebiet gehören 13 Bundesstaaten zwischen dem Atlantik und dem mittleren Westen, darunter Pennsylvania, Ohio, New Jersey, Michigan und Illinois.
Um den Strombedarf für sein Versorgungsgebiet zu ermitteln, führt PJM jeden Sommer eine Auktion durch. Dort werden auch die künftigen Strompreise festgelegt. Die Logik ist wie folgt: Je höher der Auktionspreis ausfällt, desto größer ist der Anreiz für Energieunternehmen, PJM Strom zur Verfügung zu stellen oder neue Stromerzeugungsquellen zu bauen. Das können Solar- und Windparks, aber auch Gaskraftwerke sein.
Das Problem für PJM ist: In dem Versorgungsgebiet befindet sich das größte KI-Cluster der Welt. Nirgendwo stehen und entstehen mehr Rechenzentren. Der Strombedarf übersteigt das Angebot deutlich. Energieunternehmen kommen mit dem Bau neuer Stromquellen nicht hinterher.
Vervierfachung der Strompreise
Bereits im vergangenen Jahr hat die Auktion von PJM deshalb für Schlagzeilen gesorgt: Die Stromerzeugungspreise stiegen innerhalb von zwölf Monaten von knapp 29 US-Dollar pro Megawatt am Tag um 800 Prozent auf knapp 270 US-Dollar. Dieses Jahr stieg der Preis um weitere zehn Prozent und wäre noch höher ausgefallen, hätte der Gouverneur von Pennsylvania nicht interveniert und mit PJM einen Preisdeckel vereinbart.
Denn die höheren Strompreise legt PJM auf seine Kunden um, und je näher diese an einem Rechenzentrum leben, desto teurer wird es: Das amerikanische Wirtschaftsportal Bloomberg hat bei einer Recherche herausgefunden, dass Haushalte heute 267 Prozent mehr für ihren Strom bezahlen als vor fünf Jahren, wenn sie sich besonders nah an Rechenzentren befinden. Das ist beinahe eine Vervierfachung der Strompreise.
Die Lösung für das Problem sieht in vielen Fällen so aus: Damit die amerikanischen Rechenzentren im globalen KI-Wettrennen mit China genügend Strom bekommen, wollen Bundesstaaten wie Ohio den Privathaushalten den Strom notfalls abdrehen: "Rechenzentren sollen Vorrang bekommen, wenn die Lage angespannt ist", sagt Sandra Navidi im Podcast. "Es gibt Bestrebungen, die Höchsttemperatur von Klimaanlagen aus der Ferne zu begrenzen, um sie versorgen zu können."
Wahlkampf gegen Rechenzentren
Diese Vorhaben sprechen sich inzwischen in der US-Bevölkerung herum. Die Menschen sind sauer auf die Netzbetreiber, die Energieunternehmen, die Tech- und KI-Konzerne, aber auch auf die Politik.
Auch im PJM-Bundesstaat Virginia stehen viele Rechenzentren, dort wird bald auf kommunaler Ebene gewählt. Im Wahlkampf werben die Kandidaten von Demokraten und Republikanern derzeit dafür, dass sie den Bau weiterer Rechenzentren verhindern werden. Nicht weit entfernt in New Jersey hat eine Abgeordnete vergangenen Monat einen Gesetzentwurf ins lokale Parlament eingebracht, der eine Gebühr für die Betreiber von Rechenzentren vorsieht: Sie sollen sich an den steigenden Stromkosten beteiligen.
Erste US-Medien und Politiker sind überzeugt: Bezahlbare Strompreise könnten das Thema sein, das im kommenden Jahr die US-Zwischenwahlen entscheidet und Donald Trump auf die Füße fällt. Selbst Fox News, der frühere Heimatsender des US-Präsidenten, stellt inzwischen infrage, warum er fast fertige Windkraftprojekte stoppt, obwohl die Strompreise landesweit anziehen.
Sandra Navidi stellt fest, dass die Amerikaner in Versorgungsfragen etwas "deutscher" werden und sich neuerdings intensiver mit ihren Stromrechnungen auseinandersetzen, denn eine Trendumkehr ist nicht in Sicht. Die Prognose für die amerikanischen Strompreise lautet: Bis mindestens 2030 werden sie weiter steigen. Unklar ist nur, in welchem Umfang. Die New Yorker Skyline wird ein teures Highlight.
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