Fränzi Kühne (42) ist eine der bekanntesten Frauen der Berliner Digital-Szene. Ihren Erfolg begründete sie 2008, als sie zu den Gründern der Digitalagentur Torben, Lucie und die Gelbe Gefahr (TLGG) gehörte – einer Beratung für Manager zu digitalen Strategien. 2017 wurde sie bei Freenet die jüngste Aufsichtsrätin eines börsennotierten Unternehmens. 2021 veröffentlichte sie das Buch „Was Männer nie gefragt werden. Ich frage trotzdem mal“.

2022 überraschte Kühne mit einem Vorstandsposten beim mittelständischen, börsennotierten Stifte-Hersteller Edding in Ahrensburg bei Hamburg. Sie kam als Chief Digital Officer (CDO) – zusammen mit dem TLGG-Mitgründer Boontham Temaismithi. Das Duo teilte sich den Vorstandsposten im Jobsharing.

Für Edding war es eine unruhige Zeit. So hat sich das Unternehmen eine neue Strategie verordnet, in der es auch um ökologische und soziale Ziele geht. Finanziell beginnt der Kurs sich auszuzahlen: Bei 156 Millionen Euro Umsatz fiel 2024 rund 2,6 Millionen Euro operativer Gewinn an. Im Vorjahr stand noch ein Verlust von 1,3 Millionen Euro in der Bilanz.

Am Donnerstag kündigte Kühne den Mitarbeitern ihren Rückzug an.

WELT: Frau Kühne, Sie und Ihr Co-Digitalchef Boontham Temaismithi verlassen Edding nach nur drei Jahren Ende 2025. Warum das?

Fränzi Kühne: Die Rolle des CDO ist in den meisten deutschen Mittelständlern temporär. Es geht darum, als Katalysator für die Digitalisierung zu wirken, Geschwindigkeit aufzunehmen und sich dann idealerweise selbst überflüssig zu machen.

WELT: Eigentlich laufen Vorstandsverträge bei Edding über fünf Jahre …

Kühne: Um eine klare Phase zu definieren, haben wir unsere Verträge wie diejenigen anderer Vorstandsmitglieder, die vor drei Jahren schon dabei waren, bis Ende 2025 gelegt. Allerdings sind zwei von ihnen bereits im vergangenen Jahr vorzeitig ausgeschieden.

WELT: Was haben Sie in dieser Zeit bei Edding erreicht?

Kühne: Die Grundlage für Digitalisierung ist Kulturveränderung. Wir haben wahnsinnig viel restrukturiert, das Unternehmen umgebaut und ihm eine neue Struktur gegeben – von der IT bis zu einem neuen „Service Center Consumer Centricity“. Wir haben zudem die Personal-Abteilung modernisiert, unterschiedliche Arbeitsmodelle etabliert und ein unternehmensweites „Leadership-Programm“ mit Trainings und Workshops aufgebaut.

WELT: Was hat sich konkret verändert?

Kühne: Bis zum Jahresende ist mit unserem Weggang der Vorstand halbiert und die Komplexität der gesamten Unternehmensstruktur massiv reduziert. Und die Kommunikation hat sich enorm verändert – intern wie extern. Uns haben neue Fragen beschäftigt: Welche Haltung müssen Unternehmen heute zeigen? Wie müssen sie sich extern positionieren – bei Themen wie Nachhaltigkeit und sozialer Verantwortung? Die Zeiten, in denen Unternehmen neutrale Instanzen waren, sind vorbei.

WELT: Bedauern Sie es, jetzt zu gehen, noch bevor alle Ergebnisse greifbar sind? 2024 ist der Umsatz leicht gesunken …

Kühne: Es waren bisher über drei Jahre intensiver und auch harter Arbeit, in denen wir in einige Konflikte gehen mussten. Natürlich ist es schade, denn seit einigen Wochen fühlt sich alles viel positiver und leichter an, und es macht unglaublich viel Spaß. Aber es ist für das die Edding Gruppe der richtige Moment. Unsere Rolle wird im Unternehmen mit unangenehmen und harten Entscheidungen verknüpft. Ich glaube, die Veränderungen, die wir angestoßen haben, werden ohne uns noch positiver weitergehen. Die Personalisierung auf uns beide fällt damit weg. Das wird dabei helfen, die Ideen weiter umzusetzen.

WELT: Was waren das für Auseinandersetzungen?

Kühne: Die Richtung ist im Großen und Ganzen klar, aber im Detail gibt es natürlich Konflikte. Die eine Abteilung sagt, das Risiko ist zu hoch, die andere drängt auf schnellere Fortschritte, um nicht abgehängt zu werden. Diese Zielkonflikte kennt wahrscheinlich jedes Unternehmen. Sie zu managen, ist mit viel Diskussion und Reibereien verbunden.

WELT: Wie geht es für Sie konkret weiter?

Kühne: Heute und morgen ändert sich nichts. Frühestens im Spätsommer werden wir über die Verteilung der Ressorts sprechen und mit der Übergabe beginnen. Wir wollen bleiben, bis unsere Verträge am Jahresende auslaufen. Wir haben den Abschied so früh mitgeteilt, weil Transparenz für uns wichtig ist. Ich habe keine Lust, dass das ewig rumwabert und ich mir etwas ausdenken muss. Ehrliche und offene Kommunikation ist total sinnvoll.

WELT: Was planen Sie für die Zeit nach Edding?

Kühne: Beim Abschied von meiner eigenen Agentur Torben, Lucie und die Gelbe Gefahr Ende 2019 hatte ich auch nicht den Plan, einen Bestseller zu schreiben oder in eine Vorstandsposition bei einer bekannten Marke zu gehen. Deswegen halte ich mir auch diesmal alles offen.

WELT: Sie haben sich den Vorstandsjob geteilt – mit jeweils 55 Prozent Arbeitszeit. Würden Sie das noch mal machen?

Kühne: Ja klar. Allerdings gibt es gegen Jobsharing unglaublich viele Vorurteile, deswegen gibt es das auch so selten. Auf Vorstandsebene sind wir noch das einzige Beispiel in Deutschland. Diese Vorurteile abzubauen, ging dann doch relativ schnell. Da war schon eine unglaublich große Offenheit und auch Mut vom Aufsichtsrat, so etwas auszuprobieren. Ich würde es immer wieder so machen.

WELT: Was macht es so schwer?

Kühne: Jemanden zu finden, mit dem man das machen und durch dick und dünn gehen will, ist im Prinzip wie heiraten oder eine Firma gründen. Du brauchst eine komplette Vertrauensebene. Glücklicherweise kannten Boontham und ich uns schon seit Jahren. Dennoch sind wir mit einer gewissen Unsicherheit gestartet, weil nicht breit bekannt ist, wie ein Tandem führt und wie das im Alltag funktioniert. Das Modell funktioniert im ersten halben Jahr eigentlich noch nicht richtig. Erst danach fängt es an, sich einzuschwingen, die Vorurteile sind abgebaut, man teilt sich auf, kann nach seinen Stärken arbeiten.

WELT: Was haben Sie selbst bei Edding gelernt?

Kühne: Ich habe mit meiner Agentur immer wieder Unternehmen beraten, auch Mittelständler. Dabei habe ich mich oft gefragt, warum nach drei Monaten, wenn wir mit einem Päckchen voller neuer Ideen wiederkamen, so wenig oder sogar gar nichts umgesetzt worden war. Jetzt bin ich klüger: Die Arbeit war für mich ein großes Learning, um die stukturerhaltenden Kräfte in einem Unternehmen zu verstehen. Warum funktioniert es nicht so einfach? Wo muss man rangehen, an welchen Schrauben muss man drehen? Welche Ressourcen und Abteilungen sind die wichtigsten, um wirklich einen Change hinzukriegen? Und wie fühlt es sich an, in so einem Umfeld zu arbeiten, das komplett anders ist als ein junges Agenturumfeld in Berlin? Ich habe unglaublich viel dazugelernt und verstanden und kann dadurch jetzt ganz anders auf andere Unternehmen blicken. Auch das Tandem-Modell so auszubauen und funktionabel zu kriegen, war eine einmalige Chance auf der Führungsebene mit dieser Verantwortung. Dafür bin ich sehr dankbar.

Christoph Kapalschinski ist Wirtschaftsredakteur in Hamburg.

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