In Moskau werden dieser Tage Aktien im großen Stil verkauft. Der Leitindex MOEX, der die knapp 50 größten russischen Aktiengesellschaften enthält, befindet sich seit Wochen im Sinkflug. Bei 2720 Zähler steht er aktuell, zum Jahreshöchststand im Februar waren es noch 3371 Punkte.

Die Russen, die nach dem Weggang der ausländischen Investoren infolge des Ukraine-Krieges weitgehend unter sich handeln, verlässt wieder der Mut. Und zwar gar nicht, weil ihr eigener Präsident Wladimir Putin im engen, polit-ökonomischen Geflecht des einheimischen Systems einen neuen Anlass dazu gegeben hätte.

Vielmehr war es wieder einmal der US-amerikanische Präsident Donald Trump, dessen Äußerungen zwar im Kreml demonstrativ locker, in Moskaus Finanzkreisen aber äußerst sensibel aufgenommen werden und Analysten zufolge die Hauptursache für den Kursverfall sind.

Trump habe nach seinem jüngsten Telefonat mit Putin bezüglich des Ukraine-Krieges im Unterschied zu früher deutlich kühler reagiert und so auf die Stimmung der Anleger gedrückt, wie die Investmentgesellschaft BCS erklärt. Dass er nun auch noch einen Gesetzesentwurf über „sehr harte“ Sanktionen gegenüber Russland prüft, die vom US-Kongress vorgeschlagen wurden, und diesbezüglich „eine kleine Überraschung“ für Russland ankündigte, dämpft die Stimmung erst recht.

Ganz aktuell kommt noch hinzu, dass die Europäische Union laut Frankreichs Außenminister so harte Sanktionen gegen Russland vorbereitet wie seit dem Jahr 2022 nicht.

Gewiss, die neuerliche geopolitische Zuspitzung ist nicht der einzige Belastungsfaktor an der Moskauer Börse. Aktuell spielt noch eine Rolle, dass die Leitzinsen trotz der leichten Senkung Anfang Juni auf hohen 20 Prozent bleiben und die Wirtschaft bremsen, sodass sie dieses Jahr in eine Stagnation abzugleiten droht. Und auch die abermals beschleunigte Aufwertung des ohnehin extrem starken Rubels – teilweise hervorgerufen durch die neuerliche Erholung des Ölpreises – sowie starke Dividendenabschläge belasten den Leitindex weiter, wie Vasilij Karpunin, Analyst bei Alfa Investments, meint.

Dennoch bleiben die Haltung Trumps gegenüber Russland und etwaige Fortschritte oder Rückschläge in seinen Bemühungen um einen Frieden in der Ukraine der Hauptfaktor für die russische Börse.

„Die russische Wirtschaft kann den Frieden kaum erwarten“, sagt Vladislav Inozemcev, einer der renommiertesten russischstämmigen Ökonomen und Mitbegründer des Centers for Analysis and Strategies in Europe (CASE), im Gespräch mit der „WELT“. „Jedes optimistische Signal in diese Richtung provoziert einen Kurssprung bei Aktien. Kommen Zweifel auf, dreht sie ins Minus.“

Wie sehr die Börse diesbezüglich auf Trump baut, nachdem Trumps Vorgänger Joe Biden und Europa alle Jahre über keine wirklichen Friedensinitiativen gesetzt haben, zeigt ein Blick auf die Dynamik der Moskauer Börse seit Trumps Amtsantritt im vergangenen Herbst.

Gleich zu Beginn, also in der zweiten Novemberwoche, stieg der russische Leitindex um 6,5 Prozent auf 2785 Punkte – erklärt wurde das von Experten mit der Vorfreude auf die von Trump angekündigten Friedensbemühungen. Lange hielt dieses Moment nicht, und andere, längerfristige Belastungsfaktoren wie die hohe Inflation und der hohe Leitzins gewannen Oberhand.

Die wirkliche Euphorie setzte dann ab Mitte Februar ein, nachdem Trump mit Putin telefoniert und am Abend des 12. Februar über sein soziales Netzwerk Truth Social den sofortigen Start von Gesprächen über einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg mitgeteilt hatte. Am Tag darauf sprang die Moskauer Börse um knapp sieben Prozent auf über 3220 Punkte hoch.

Ausbleibende Fortschritte im Verhandlungsprozess oder gar Rückschritte wurden stets mit Rückschlägen bei den Kursen quittiert. Einmal war es eine scharfe Sanktionsandrohung durch Trump Anfang März, gut zwei Wochen später dann die Ernüchterung nach dem ersten russisch-amerikanischen Zusammentreffen am 23. März in Saudi-Arabien. Im zweiten Fall war der Einbruch an der Börse mit etwa zehn Prozent massiv, die Niedergeschlagenheit dauerte über mehr als zwei Wochen an. Als dann Anfang April auch noch die Ankündigungen globaler Zölle durch Trump folgte, blieb Russland auch davon nicht verschont, sodass der Leitindex auf letztlich 2600 Punkte einbrach.

Und während sich global die Börsen anschließend in atemberaubender Geschwindigkeit erholten, bekam Russlands Leitindex ab Ende April einen neuen schweren Schlag: Neben der unerwartet starken Ausweitung der Ölförderung durch das Ölkartell Opec+, die zu einem Absacken des für Russland so wichtigen Ölpreis führte, grassierte auch die Angst, dass ein von Senatoren geplantes US-Sanktionspaket wahrscheinlicher werden könnte.

Die Ausschläge nach oben und unten setzten sich auch seither fort, ehe der Ausverkauf in den vergangenen Tagen einen neuen Höhepunkt erreichte. Zu ihm trägt Analysten zufolge auch bei, dass Trump die Waffenlieferungen an die Ukraine nun doch fortsetzt und sogar eine Ausweitung ins Spiel gebracht hat.

Die Militärhilfe für die Ukraine sei das größte Druckmittel gegen Putin, weil Putin zu destruktiven Aktionen gezwungen wird, wie sich bei der Teilmobilisierung im Herbst 2022 gezeigt habe, die einer der größten Schläge gegen die russische Wirtschaft gewesen sei. Die Sanktionen seien es nicht, wie man im Laufe der Jahre gesehen habe, zumal ihre Einhaltung kaum kontrolliert werde.

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