Die Staatsanwaltschaft Berlin erhebt Anklage gegen den ehemaligen Bundesverkehrsminister Scheuer. Er soll im Untersuchungsausschuss zur Pkw-Maut die Unwahrheit gesagt haben. Worum geht es bei der Affäre?

Nürnberg, 12. Dezember 2014: Unter dem Jubel der CSU-Delegierten steht die damalige Kanzlerin Angela Merkel beim Parteitag der Schwesterpartei und sagt diesen einen Satz: "Wir werden nächste Woche im Kabinett die Maut für nicht-inländische Kfz-Fahrzeuge beschließen. Alexander Dobrindt hat da mein Wort."

Damals vor fast elf Jahren ahnte niemand, dass es mal vor einem Berliner Landgericht um das Erinnerungsvermögen von Andreas Scheuer, Dobrindts Nachfolger als Verkehrsminister, gehen könnte.

Ex-Verkehrsminister Scheuer ist wegen möglicher Falschaussage in der Maut-Causa angeklagt

Claudia Buckenmaier, ARD Berlin, Mittagsmagazin, 20.08.2025 12:10 Uhr

Scheuer: Von Erinnerungslücken keine Rede

Mit Erinnerungen ist das in der Politik ohnehin so eine Sache. Mit Erinnerungslücken erst recht. "Von Erinnerungslücken kann überhaupt nicht die Rede sein. Ich habe auch meine Meinung nicht geändert", erinnerte sich einst der damalige Verkehrsminister Andreas Scheuer im Deutschlandfunk.

Es ging im Kern darum, dass es laut Verkehrsminister Scheuer Ende 2018 vom Mautbetreiber Autoticket kein Angebot gegeben habe, die Verträge für die von der CSU als "Ausländermaut" titulierte Mautabgabe so lange aufzuschieben, bis der Europäische Gerichtshof (EuGH) geurteilt hatte. "Ich habe so Auskunft gegeben, wie es meiner Erinnerung entspricht. Ich habe dem Parlament wahrheitsgemäß Auskunft geben", beteuerte Scheuer damals im Deutschlandfunk.

Aber hat er auch vor dem Untersuchungsausschuss zur sogenannten Ausländermaut wahrheitsgemäß geantwortet? Dort hatten damals Mitarbeiter des Mautbetreibers das Gegenteil behauptet und sehr wohl vom Angebot des Unternehmens erzählt, die Mautverträge nicht vor dem Gerichtsurteil zu unterzeichnen.

"Er genießt keinen Schutz mehr vor Strafverfolgung", Dominic Hebestreit, ARD Berlin, zur Anklage gegen Ex-Verkehrsminister Scheuer

tagesschau24, 20.08.2025 14:00 Uhr

Staatsanwaltschaft erhebt Anklage

Die Berliner Staatsanwaltschaft hatte auch deshalb im Mai 2022 wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage Ermittlungen aufgenommen, Akten gesichtet, Zeugen befragt, Protokolle ausgewertet. Über drei Jahre ermittelte sie. Heute nun erhebt der Staatsanwalt Anklage gegen Scheuer und dessen damaligen Staatssekretär Gerhard Schulz.

Scheuer aber bleibt dabei und schreibt heute: "Gegen diesen unbegründeten Vorwurf werde ich mich mit aller Kraft zur Wehr setzen und meine Unschuld verteidigen."

CSU wollte "Ausländermaut" schon seit 2006

Rückblende: Im Dezember 2014 beschließt das Merkel-Kabinett die Maut für Ausländer. Der verantwortliche Verkehrsminister damals: der heutige Bundesinnenminister Alexander Dobrindt.

"Wir haben uns darauf verständigt, dass es richtig ist, jetzt eine Infrastrukturabgabe einzuführen, die ausländische Kraftfahrzeuge bemautet", verkündet Dobrindt 2014 stolz. Die CSU ist mit ihrer Maut-Idee, die sie seit 2006 immer wieder versuchte, durchzusetzen, scheinbar am Ziel.

2014 beschloss das Kabinett Merkel die Maut. Der verantwortliche Minister damals: der heutige Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU).

Es geht um die eine Frage: Wer lügt hier?

Dreieinhalb Jahre später heißt der Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer. Und der muss exekutieren, was sein Parteifreund Dobrindt einst auf den Weg brachte: eine umstrittene Maut, die sich nur wenig später zum Mautdebakel entwickeln sollte. Denn am 18. Juni 2019 erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH) die "Ausländermaut" für rechtswidrig. Da aber hatte Andreas Scheuer die teuren Verträge lange unterschrieben.

"Das haben alle gewusst, dass ich 2018 die Verträge abschließe. Aber jetzt diskutieren alle darüber, dass ich 2018 die Verträge abgeschlossen habe", wehrt sich Scheuer damals öffentlich.

Das aber bestreitet bis heute niemand. Es geht lediglich um die eine, entscheidende Frage: Gab es ein Angebot der Mautbetreiber, mit der Vertragsunterzeichnung bis zum EuGH-Urteil zu warten?

Das Unternehmen sagt: Ja. Scheuer sagt: "Nach meiner Erinnerung nicht". Genau darum geht es jetzt - um Scheuers Erinnerung und die Frage: Wer lügt hier?

Seit Langem Zweifel an Scheuers Aussage

"Ich hab mein möglichstes getan, maximale Transparenz herzustellen. Wir haben nichts zu verbergen", sagte Scheuer damals wieder und wieder. Er sagte es im Parlament, er sagte es vor dem Maut-Untersuchungsausschuss. Aber schon damals gab es erhebliche Zweifel.

Einer der Zweifler, der heutige grüne Verkehrsminister in Nordrhein-Westfalen, Oliver Krischer, war damals grüner Bundestagsabgeordneter und glaubte Scheuer kein Wort. "Was wir im Untersuchungsausschuss erleben, ist das Sittengemälde eines Ministeriums, in dem alles egal war", schimpfte Krischer damals im Bundestag. Alles egal vielleicht, aber auch alles legal?

Der Bund musste im Zuge des Mautdebakels schließlich mehr als 240 Millionen Euro an den Betreiber bezahlen. Scheuer übernahm für das Scheitern der Pkw-Maut damals die politische Verantwortung. "Auch für andere", schreibt er heute leicht bitter in einer Erklärung.

Einen Rücktritt aber gab es damals nicht. "Die Frage stellt sich doch gar nicht", hatte Scheuer damals öffentlich erklärt. Scheuer schied schließlich auf eigenen Wunsch aus dem Bundestag aus und trat zur Bundestagswahl 2025 nicht mehr für die CSU im Wahlkreis Passau an.

Staatsanwaltschaft sieht "hinreichenden Tatverdacht"

Scheuers Anwälte sprechen jetzt von einem "einmaligen Vorgang", jemanden wegen eines einzigen Satzes - "Daran habe ich keine Erinnerung" - anzuklagen.

Die Staatsanwaltschaft Berlin sieht das anders, spricht heute von einem "hinreichenden Tatverdacht" und verweist auf eine aufwendige, kleinteilige Ermittlungsarbeit, auf Zeugenaussagen und die Auswertung von vielen Gesprächsprotokollen, die es unwahrscheinlich machten, dass der Ex-Minister tatsächlich keine Erinnerung an eine angebotene Verschiebung der Vertragsunterzeichnung habe.

CSU glaubt an Einstellung des Verfahrens

Aus der CSU gibt es heute pflichtschuldigen Beistand für Andreas Scheuer. "Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft ist nicht nachvollziehbar", sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann. Der Untersuchungsausschuss habe damals keine Falschaussage des Ministers festgestellt. "Ich gehe davon aus, dass dieses Verfahren zum gleichen Ergebnis kommen wird", so der CSU-Politiker.

Wie geht es jetzt weiter? von Klaus Hempel, ARD-Rechtsredaktion

Dass die Staatsanwaltschaft in Berlin Anklage gegen Scheuer erhoben hat, bedeutet noch nicht zwingend, dass es auch zu einem Prozess vor Gericht kommen wird. Die Anklage wurde beim Landgericht Berlin I erhoben. Das Landgericht muss die Anklage erst einmal zulassen, das bleibt abzuwarten.

Das Gericht wird die Anklageschrift nun erst einmal sorgfältig auswerten. Es dürfte eine Hauptverhandlung nur dann einleiten, wenn es wie die Staatsanwaltschaft zum Schluss kommt, dass ein "hinreichender Tatverdacht" gegen Scheuer besteht. Hinreichender Tatverdacht bedeutet, dass nach vorläufiger Prüfung der Vorwürfe und der Aktenlage eine Verurteilung wahrscheinlicher ist als ein Freispruch.

Scheuer selbst hat erklärt, dass die Vorwürfe gegen ihn unbegründet seien. Sein Anwalt erklärte, dass Scheuer im Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Maut eine wahrheitsgemäße Aussage gemacht habe. Es ist davon auszugehen, dass sein Anwalt zur Anklage schriftlich Stellung nehmen wird, mit dem Ziel, eine Hauptverhandlung abzuwenden.

Die Staatsanwaltschaft wirft Scheuer eine uneidliche Falschaussage vor. Die entsprechende Vorschrift im Strafgesetzbuch, § 153 StGB, gilt auch für Aussagen, die jemand als Zeuge in einem Untersuchungsausschuss des Bundestags gemacht hat.

Bei einer Verurteilung droht in jedem Fall eine Freiheitsstrafe - und zwar von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Eine vergleichsweise geringe Freiheitsstrafe kann dabei zur Bewährung ausgesetzt werden. Wichtig: Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt für jeden Beschuldigten beziehungsweise Angeklagten die Unschuldsvermutung. Darauf kann sich auch Andreas Scheuer berufen.

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.