Der Verfassungsschutz hat die AfD als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft - dagegen klagt die Partei. Welche Rolle spielen die Verfassungsschutz-Erkenntnisse für ein Verbotsverfahren? Eine wesentliche, sagt ein Rechtsexperte.
Die Einstufung der AfD als "gesichert rechtsextremistisch", gegen die die AfD derzeit vor dem Verwaltungsgericht Köln klagt, beruht auf einem mehr als 1.000-seitigen Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Das Gutachten hatten mehrere Medien Mitte Mai veröffentlicht.
In der Folge entwickelte sich eine Debatte darüber, was das AfD-Gutachten für ein mögliches AfD-Verbotsverfahren bedeuten könnte. Dafür sei es "nicht ausreichend", meinte beispielsweise Bundesinnenminister Alexander Dobrindt. Seine Linie ist: Erst den Ausgang der AfD-Klage gegen ihre Hochstufung abwarten und dann über ein Verbotsverfahren entscheiden, was allerdings Jahre dauern könnte.
Die SPD hingegen hat bei ihrem Parteitag Ende Juni einen Antrag des Parteivorstands beschlossen: Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe soll bereits jetzt Belege dafür sammeln, dass die AfD verfassungswidrig ist und verboten werden könne.
Ein Gutachten zum AfD-Gutachten
Zu dieser Debatte hat der Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre an der Universität Köln, Markus Ogorek, jetzt ein Rechtsgutachten vorgelegt. Es geht genau der Frage nach, was das Verfassungsschutzgutachten für ein Verbotsverfahren gegen die AfD rechtlich bedeuten würde.
Grundsätzlich sind die Einstufung der AfD und ein AfD-Verbotsverfahren zwei Paar Schuhe. Der Verfassungsschutz wird als Behörde tätig, als ein "Frühwarnsystem der Demokratie". Ein AfD-Verbot hingegen kann nur das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nach einem aufwendigen Verfahren aussprechen.
Außerdem sei davon auszugehen, dass das Bundesverfassungsgericht angesichts der "sehr strikten Rechtsfolge" eines Parteiverbots noch genauer prüfe als der Verfassungsschutz, sagt Jura-Professor Markus Ogorek. Das Verfassungsschutzgutachten allein reiche wohl nicht für ein AfD-Parteiverbotsverfahren aus. Es könnte aber "als eine wichtige Argumentations- und Faktenbasis" für ein solches Verfahren dienen.
Einstufung der AfD Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die AfD im Mai 2025 "aufgrund der die Menschenwürde missachtenden, extremistischen Prägung der Gesamtpartei als gesichert rechtsextremistische Bestrebung" eingestuft.Die AfD klagt gegen die Hochstufung. Wegen der rechtlichen Befassung hat der Verfassungsschutz nun eine "Stillhaltezusage" abgegeben. Das bedeutet, dass es die Einstufung bis zu einer juristischen Klärung im Eilverfahren vorläufig aussetzt und auch die Pressemitteilung dazu löscht. Gleichzeitig hat das Amt damit aber keine Aussage zur Sache getroffen. Die Stillhaltezusage ist also kein Eingeständnis, etwas falsch gemacht zu haben. Sie sagt auch nichts darüber aus, wie groß die Erfolgsaussichten von AfD-Eilantrag und -Klage sind.
Begründet hatte der Verfassungsschutz die Hochstufung in der Pressemitteilung zuvor unter anderem so: "Das in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis ist nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar." Es ziele darauf ab, bestimmte Bevölkerungsgruppen von einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen.
Während mehrere AfD-Landesverbände bereits seit Längerem als "gesichert rechtsextremistisch" bewertet werden, galt die Gesamtpartei zuvor als sogenannter Verdachtsfall. Der neuen Einstufung ging eine dreijährige Prüfung durch den Verfassungsschutz voraus.
Verfassungsschutzgutachten ist grundsätzlich wichtig
Ogorek kommt zu dem Ergebnis, dass dem Verfassungsschutzgutachten zur AfD "eine wesentliche Bedeutung im Hinblick auf die Vorbereitung eines etwaigen Parteiverbotsverfahrens zukommen dürfte". Das AfD-Gutachten gebe Antworten auf Fragen, die auch in Karlsruhe eine Rolle spielen würden. Auch das Verfassungsgericht würde prüfen, ob die AfD Politik gegen die Verfassungsgrundsätze Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaat macht.
Entscheidend seien nicht einzelne Aussagen von AfD-Politikern, sondern der Gesamtblick auf verfassungsfeindliche Politik der AfD. Verfassungsschutz und Verfassungsgericht würden auf dieselben Quellen zurückgreifen, auf Programme, Parteitagsbeschlüsse, Reden und auch Social-Media-Beiträge. "Damit bietet das Gutachten eine solide Tatsachenbasis, auf die Karlsruhe in einem Verbotsverfahren aufbauen könnte, auch wenn das Gericht am Ende noch strengere Maßstäbe anlegt", sagt Rechtswissenschaftler Ogorek.
Parteiprogramme versus Aussagen
Ein mögliches AfD-Verbotsverfahren würde sich vor allem um die Frage drehen, ob die AfD verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Hier würden sich schwierige Beweisfragen stellen. Denn anders als die NPD (seit 2023 "Die Heimat"), gegen die das letzte Verbotsverfahren in Karlsruhe lief und das wegen der geringen Bedeutung der Partei scheiterte, schreibt die AfD nur wenige ausdrücklich verfassungsfeindliche Inhalte in ihre Programme.
Andererseits gibt es zahlreiche Aussagen von AfD-Politikern, die eine andere Sprache sprechen. Aussagen wie die von Maximilian Krah, Spitzenkandidat der Partei bei der Europawahl, der ein multikulturelles Deutschland als "Müllhalde" bezeichnet hat. Oder wie die von René Springer, AfD-Abgeordneter im Bundestag, der von der "totalen Zerstörung Deutschlands durch Massenmigration" geschrieben hatte.
AfD-Politik gegen die Menschenwürde?
Solche Statements von AfD-Politikern können darauf hinweisen, dass die Grundwerte des Grundgesetzes angegriffen werden. Beispielsweise die Menschenwürde von Menschen mit Migrationshintergrund.
Im NPD-Urteil hatte Karlsruhe betont, dass die Menschenwürde bei einem Parteiverbotsverfahren "im Vordergrund" steht. Sie sei der "Ausgangspunkt für die freiheitliche demokratische Grundordnung".
Und hier kommt nun das AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes ins Spiel: Es stellt fest, dass AfD-Politik gegen die Menschenwürde gerichtet ist. Insbesondere, indem die Partei einen "ethnisch-abstammungsmäßigen" Volksbegriff verwende und auf dessen Grundlage gegen bestimmte Menschengruppen wie Geflüchtete Ängste schüre und diese abwerte.
Zentral für ein Verbot ist der "ethnische" Volksbegriff
Aus dem Gutachten von Markus Ogorek geht hervor, dass der ethnische Volksbegriff zentral für ein Verbot der AfD sein könnte. Die Maßstäbe des AfD-Gutachtens und eines Parteiverbotsverfahrens wären hier vergleichbar.
Wenn ein "ethnisch-abstammungsmäßiger" Volksbegriff dazu dient, Menschen in Deutschland, die einen Migrationshintergrund haben, ihre "elementare Rechtsgleichheit" abzusprechen, dann wäre das ein Verstoß gegen die Menschenwürde.
Ob die Unterscheidung zwischen "echten Deutschen" einerseits und "Passdeutschen" andererseits für sich genommen schon einen Menschenwürdeverstoß darstellt, sei rechtlich bislang noch nicht abschließend geklärt, sagt Markus Ogorek. "Klar ist aber, wenn damit eine rechtliche Schlechterstellung von Deutschen mit Migrationshintergrund beabsichtigt ist, liegt ein Verstoß gegen die Menschenwürde vor."
Das Bundesverfassungsgericht habe in seiner Rechtsprechung klargestellt, "dass alle deutschen Staatsbürger ohne Wenn und Aber" zum Staatsvolk gehören. Wer bestimmte Deutsche als "Passdeutsche" rechtlich abwerte oder sie zur Ausreise veranlassen wolle, der verletze den "Kern unserer Verfassung".
Was folgt aus dem neuen Rechtsgutachten?
Das Gutachten von Markus Ogorek kommt zu dem Schluss, dass sowohl der Verfassungsschutz als auch das Verfassungsgericht ähnliche Kriterien anlegen, was die verfassungsfeindlichen Ziele der AfD betrifft. Ob diese Ziele auch für den Charakter der gesamten AfD prägend sind, sei dann eine wesentliche Frage, sagt Ogorek.
In seinem Gutachten hat er mehr als 800 Belege und Äußerungen aus dem Verfassungsschutzgutachten bewertet, anhand der wichtigsten juristischen Kriterien für ein Parteienverbot. Sein Ergebnis: 574 Belege wären für ein mögliches AfD-Verbotsverfahren "tendenziell oder möglicherweise einschlägig".
Diese Belege für menschenwürdewidrige Politik könnten auch in einem Verbotsverfahren eine bedeutende Rolle spielen. Deshalb sei es auch wichtig, was bei der Klage der AfD gegen ihre Einstufung als "gesichert rechtsextremistisch" herauskommt. Würden Gerichte die Einstufung bestätigen, gebe es "hinreichend Grund zu der Annahme, dass auch ein Parteiverbotsverfahren gewisse Erfolgschancen hätte".
Jetzt die Arbeit an einem Verbotsantrag beginnen
Markus Ogorek empfiehlt der Politik aber nicht, die Hände in den Schoß zu legen und erst einmal alle Prozesse vor den Verwaltungsgerichten abzuwarten. Die könnten Jahre dauern, ebenso die anschließende Ausarbeitung eines AfD-Verbotsantrags.
Bereits während der laufenden Gerichtsverfahren könnte zum Beispiel "eine breit legitimierte Bund-Länder-Arbeitsgruppe" einen Antrag für ein AfD-Verbotsverfahren vorbereiten - auf der Grundlage der Verfassungsschutz-Belege, die es jetzt gibt. Die möglichen Antragssteller Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung wären dann vorbereitet, "falls ein Verbotsverfahren rechtlich und politisch auf den Weg gebracht werden soll".
Erst die Gerichtsprozesse abwarten, dann die aufwendige Arbeit an einem Verbotsantrag - mit einem solchen verzögerten Vorgehen würde die Politik ihrer Verantwortung für den Schutz der Demokratie "nur schwer gerecht", meint Rechtswissenschaftler Ogorek.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.