Die umstrittenen Pläne zur Gasförderung vor der Nordseeinsel Borkum haben im Bundeskabinett eine wichtige Hürde genommen. Umweltschützer sprechen von einem "Geschenk an die fossile Industrie" - und wollen das Vorhaben weiterhin stoppen.

Die Bundesregierung hat einem Abkommen mit den Niederlanden zur gemeinsamen Erdgasförderung vor der Nordseeinsel Borkum zugestimmt - trotz massiver Kritik von Umweltorganisationen und den Grünen. Mit dem Kabinettsbeschluss sind die rechtlichen Voraussetzungen für die Unterzeichnung des völkerrechtlichen Vertrags geschaffen.

Das Abkommen ist nötig, weil es um die Erschließung grenzüberschreitender Gasfelder geht. Der Beschluss schaffe nun den rechtlichen Rahmen für die Zusammenarbeit, erklärte Wirtschaftsministerin Katherina Reiche. Diese stärke die Versorgungssicherheit und den Gasmarkt. Die CDU-Politikerin lobte die Niederlande als "starken Partner in der Energieversorgung".

Über die Gasförderung vor den Inseln Schiermonnikoog und Borkum durch den niederländischen Energiekonzern One-Dyas wird seit Jahren gestritten. Das Unternehmen will auf niederländischem Hoheitsgebiet eine Gasförderplattform installieren. Die Bohrungen sollen teilweise unter dem Meeresboden in deutsches Hoheitsgebiet hineinreichen.

Ausstehende Gerichtsentscheidungen

Das mit den entsprechenden Umweltprüfungen betraute niedersächsische Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) hatte dafür bereits grünes Licht gegeben, es fehlte noch die Zustimmung aus Berlin. Beschlossene Sache ist die Förderung mit der Entscheidung des Bundeskabinetts aber noch nicht. Nötig ist noch ein sogenanntes Vertragsgesetz, dem laut Wirtschaftsministerium Bundestag und Bundesrat zustimmen müssen. Zudem stehen noch mehrere Gerichtsentscheidungen aus.

Unter anderem klagen ein Bündnis von Umweltschutzorganisationen um die Deutsche Umwelthilfe (DUH) und die Insel Borkum vor dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg gegen die Gasförderung. Sie fürchten Umweltschäden für das benachbarte UNESCO-Weltnaturerbe Wattenmeer.

Nach Angaben des LBEG in Niedersachsen werden die geplanten Bohrungen in einer Tiefe von 1.500 Metern bis 4.000 Metern unter dem Meeresgrund verlaufen und nicht in ein Schutzgebiet hineinreichen. Weder die Anwohner auf den nordfriesischen Inseln und am Festland noch das Schutzgebiet Wattenmeer seien betroffen, so die Behörde.

Heftige Kritik von Umweltschützern

Die Deutsche Umwelthilfe beschuldigte die Bundesregierung, mit dem Abkommen Druck auf die zuständigen Gerichte und Genehmigungsbehörden auszuüben. "Für die Artenvielfalt in der Nordsee hätte eine weitere Industrialisierung verheerende Folgen. Wertvolle Riffe und bedrohte Tiere wie der Schweinswal dürfen nicht zu den Opfern der fossilen Industrie werden."

Die DUH sprach von einem "Geschenk an die fossile Industrie". Die Aktivisten verwiesen darauf, dass Reiche, die vom Energieversorger Westenergie ins Wirtschaftsministerium wechselte, erst gestern die Alarmstufe Gas im Notfallplan auf die Frühwarnstufe herabgesetzt hatte. Trotzdem liefere "die Bundesregierung Borkum und das Wattenmeer nur einen Tag später der fossilen Industrialisierung aus".

"Gasinfrastruktur für Jahrzehnte zementiert"

Auch der Dachverband Deutscher Naturschutzring (DNR) fand im Vorfeld des Koalitionsausschusses scharfe Worte für das Vorhaben. "Mitten in der Klimakrise stellt sich die Bundesregierung mit diesem Vertrag gegen ihre eigenen Klimaziele. Statt den Ausstieg aus fossilen Energien zu beschleunigen, wird neue Gasinfrastruktur für Jahrzehnte zementiert", erklärte DNR-Geschäftsführer Florian Schöne. Der Verband bemängelt zudem eine fehlende Öffentlichkeitsbeteiligung.

Die Klimainitiative "Fridays for Future" teilte mit: "Dass die Regierung an dem Tag, an dem die extreme Hitze deutschlandweit neue Höchstwerte erreicht, ein neues Gasfeld vor Borkum erlaubt, ist ein schlechter Fiebertraum." Statt Menschen zu schützen, stelle die Bundesregierung sich an die Seite der Gaslobby.

Umweltministerium will Meeresschutz stärken

In dem Kabinettsbeschluss wird neben der Gasförderung auch betont, dass der Meeresschutz gestärkt werden solle. Aus Sicht von Bundesumweltminister Carsten Schneider ist das als Botschaft an mögliche Investoren zu verstehen. "Gasförderung soll es in den deutschen Schutzgebieten nicht geben", sagte der SPD-Politiker. Meeresschutzgebiete dürften durch Bohrungen nicht gefährdet werden. "Wir werden darum zügig einen angepassten Rechtsrahmen vorlegen."

Der Beschluss der Bundesregierung ist eine Kehrtwende gegenüber dem Kurs der Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte während seiner Amtszeit erklärt, vor einer Unterzeichnung des Abkommens mögliche Gerichtsurteile abwarten zu wollen. Der Grünen-Politiker hatte zudem gesagt, das Projekt sei für die Sicherung der deutschen Energieversorgung "nicht nötig", Meeres- und Naturschutz erschienen ihm als "gewichtige Argumente" gegen das Vorhaben.

Auch die Grünen in der niedersächsischen Landesregierung sind gegen das Vorhaben. Niedersachsens Energie- und Klimaschutzminister Christian Meyer sagte: "Neue Gasförderung am Rande des Wattenmeers konterkariert die Klimaziele und wirkt wie eine reine Gefälligkeit für fossile Gaskonzerne."

Bundeswirtschaftsministerium verteidigt Gasförderung

Das Wirtschaftsministerium argumentiert hingegen, das Vorhaben widerspreche nicht den Klimazielen, da die beteiligten Unternehmen zugesagt hätten, Erdgas nur so lange zu fördern, wie Erdgas in den Niederlanden und Deutschland nachgefragt wird. Die aktuelle Koalition aus CDU, CSU und SPD vereinbarte hingegen im Koalitionsvertrag, "die Potenziale konventioneller Gasförderung im Inland" zu nutzen.

One-Dyas schätzt, aus dem Feld "N05-A" über mehrere Jahre zwischen 4,5 und 13 Milliarden Kubikmeter Gas gewinnen zu können. Dies entspräche etwa sechs bis 16 Prozent der rund 80 Milliarden Kubikmeter, die Deutschland allein im Jahr 2024 verbraucht hat.

Außerdem hat One-Dyas weitere benachbarte Gasfelder im Blick. Diese liegen nach Angaben des Konzerns aber weiter von den Wattenmeerinseln entfernt, nämlich zehn bis 20 Kilometer nördlich der Inseln in der Nordsee.

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