In der ersten Generaldebatte unter Kanzler Merz wurden die neuen Mehrheitsverhältnisse spürbar: Der Kanzler musste mit Provokationen der angewachsenen AfD-Fraktion umgehen und entschied sich für Gegenangriff.

Ob absichtlich oder spontan entschieden: Friedrich Merz arbeitet sich in seiner ersten Generaldebatte im Bundestag an seiner Vorrednerin Alice Weidel von der AfD ab. Er beginnt seine Rede mit einer Reaktion auf ihre vernichtenden Äußerungen, er endet mit einer Bemerkung Richtung AfD.

Dazwischen bezieht er in jedes Thema die "Frau Weidel" mit ein: Sei es beim Thema Ukraine, sei es bei der Migration: "Die Asylbewerberzahlen, Frau Weidel, sind um 43 Prozent gesunken, offensichtlich unbemerkt von ihnen!" Oder beim gerade von der schwarz-roten Koalition im Bundestag auf den Weg gebrachten Entlastungsprogramm für Unternehmen: "Kein Wort von Ihnen, Frau Weidel, über die Entscheidungen, die dazu im Bundesrat anstehen!".

Zwischen Angriff und Rechtfertigung

Es wirkt fast so, als würden AfD-Co-Fraktionschefin Weidel und die Positionen ihrer Partei so etwas wie sein einziger Bezugspunkt in diesem Kanzlervortrag.

Es wird zur Gratwanderung zwischen Angriff und Rechtfertigung. Einerseits wirkt Merz fast so, als wäre er zum Rapport bei "Frau Weidel" angetreten - was sie aufwertet und den Kanzler von der rechten Ecke des Parlaments aus getrieben aussehen lässt. Andererseits reagiert Merz eben scharf, aber dennoch gelassen auf die Provokationen einer Partei - in einer Generaldebatte durchaus üblich und legitim für einen Regierungschef.

In der vorherigen Legislatur waren die Rededuelle zwischen dem Oppositionsführer Merz und dem damaligen SPD-Kanzler Olaf Scholz und das sich Aufeinanderbeziehen durchaus üblich. Allerdings lässt sich die Situation nur bedingt vergleichen. Scholz und Merz standen sich als Vertreter etablierter demokratischer Parteien gegenüber.

Jetzt muss Merz, wie seinerzeit seine Amtsvorgängerin Angela Merkel, mit einer radikalpopulistischen Partei den Auftakt solcher Debatten führen, die im Mai vom Bundesamt für Verfassungsschutz "aufgrund der die Menschenwürde missachtenden, extremistischen Prägung der Gesamtpartei als gesichert rechtsextremistische Bestrebung" eingestuft worden war. Nach einer Beschwerde der AfD beim Verwaltungsgericht Köln legte der Verfassungsschutz für die Dauer des Verfahrens die Hochstufung auf Eis und führt die Partei bis auf Weiteres weiter als Verdachtsfall. 

Härtere Bedingungen

Bei dieser Generaldebatte wird die neue Wucht dieser Fraktion allein zahlenmäßig durch Zwischenrufe und Hohngelächter spürbar, die sich gegenüber der Bundestagswahl 2021 mit der Bundestagswahl im Februar von 81 auf 152 Sitze vergrößert hat.

Obwohl die AfD sich gerade bei einer Fraktionsklausur selbst vornahm, sich um ein "geschlossenes und gemäßigtes Auftreten im Parlament" zu bemühen - bei der Erstrednerin Weidel schien dies nicht zu gelten. Ihre Rede war gespickt von Angriffen wie "Papierkanzler" und "Lügenkanzler", der einen "historischen Wortbruch" begehe. Sie handelte sich dadurch eine mündliche Ermahnung der Bundestagspräsidentin ein, die ihr schließlich sogar mit Saalverweis drohte.

Mit dem Vorwurf des Wortbruchs allerdings ist die AfD nicht allein. Auch die beiden anderen Oppositionsparteien halten dies dem Kanzler vor - zuletzt hatte die Bundesregierung einräumen müssen, dass sie derzeit Entlastungen beim Strompreis vollumfänglich nur bestimmten Unternehmensgruppen gewähren kann, nicht aber der gesamten Wirtschaft und den Privathaushalten. Im Koalitionsvertrag und auch im Bundestag war dies von Merz noch im Mai anders versprochen worden.

Im aktuellen Bundeshaushalt fehlt laut Schwarz-Rot dafür das Geld - damit macht sich die Regierung in der Haushaltswoche angreifbar, in der alle Einzeletats das Parlament durchlaufen und am Ende der ganze Haushalt beschlossen wird. Das ist für die Opposition in der Generaldebatte ein gefundenes Fressen.

Denn die neue Koalition aus Union und SPD hatte sich bereits vor Abschluss des Koalitionsvertrages mit Stimmen der Grünen eine Grundgesetzänderung ermöglicht, die ein Sondervermögen aus neuen Schulden von bis zu 500 Milliarden Euro für Verteidigung, Klimaschutz und Infrastruktur vorsehen. Dass da nun ein paar Milliarden für eine Stromsteuerentlastung für alle fehlen sollen, ließ sich für die Opposition gut ausschlachten.

Für Merz ist mit dieser Generaldebatte der rein staatsmännische Auftritt als Weltenlenker ein Stück weit verloren, den er sich noch bei seinen ersten beiden Regierungserklärungen geben konnte. Es reicht jetzt nicht mehr, nur zu wiederholen, Deutschland sei wieder ein gefragter Partner auf der internationalen Bühne. Jetzt ist er mit seiner Koalition in den Niederungen der Innenpolitik angekommen. Und die sind erkennbar ungemütlich.

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