Kanzler Merz ist ein guter Redner - das zeigt sich auch in der Generaldebatte. Allerdings: Stark ist er vor allem dann, wenn es um Grundsätzliches geht, nicht um den Alltag der Menschen. Das kann noch zum Problem werden.
Das Grundsätzliche, Fragen von Krieg und Frieden, die großen weltpolitischen Linien: Das alles liegt dem Außenkanzler Friedrich Merz. Deutschland braucht Partner in der Welt und keinen neuen Nationalismus, so seine Botschaft.
Als er sie im Bundestag vorträgt, schimmert die Glut echter Überzeugung durch. Ob beim G7-Treffen, beim NATO-Gipfel oder im Kreis der EU-Staats- und Regierungschefs: Überall habe sich gezeigt, dass Deutschland wieder ernstgenommen werde. Was Merz vor allem auf seine Bereitschaft zurückführt, eine Führungsrolle in Europa zu übernehmen.
Auch hier wird Begeisterung hörbar - diesmal in eigener Sache. Das muss nicht schlecht sein: Wer wünscht sich schon einen Kanzler, der an sich selbst zweifelt?
Eine Rede für die Chefetagen?
Allerdings: Schwach bleibt Merz gerade dort, wo es um den Alltag der Leute geht. Dass immer mehr Menschen auch in der Mittelschicht die Mietkosten über den Kopf wachsen? Dazu fällt ihm nur wenig ein. Dass Geringverdiener zum Monatsende oft mit Sorgenfalten an der Supermarktkasse stehen? Kein Wort dazu.
Stattdessen rattert er PR-Begriffe herunter, mit denen die Bundesregierung immer und immer wieder für ihre Wirtschaftspolitik wirbt: Investitionsoffensive, Impulse für mehr Wachstum, Hightech-Agenda. So bringt der Kanzler vielleicht die Chefetagen des Landes ins Schwärmen. Das Lebensgefühl von Busfahrerinnen, Krankenpflegern oder Kita-Beschäftigten wird er damit eher nicht treffen.
Sorge vor Ungleichheit wächst
Dabei wäre genau das so wichtig. Schon jetzt finden 60 Prozent der Menschen, dass es bei uns eher ungerecht zugeht. Tendenz: steigend. Das zeigt der aktuelle ARD-DeutschlandTrend. Als wichtigstes Problem wird in diesem Zusammenhang die Schere zwischen Arm und Reich genannt. Und bei der Bundestagswahl haben 53 Prozent der Befragten die Sorge geäußert, dass sie ihre Rechnungen vielleicht nicht mehr zahlen können, wenn es mit der Inflation so weitergeht.
Der Kanzler macht einen strategischen Fehler, wenn er es anderen überlässt, diese Alltagsnöte aufzugreifen. Die Linke tut das auch bei dieser Debatte mit großer Geste. Und erlebt einen Höhenflug in den Umfragen. Ja, auch die Union konnte zuletzt zulegen. Will sie aber ihr Ziel erreichen und der AfD das Wasser abgraben, dann wäre es hilfreich, wenn Merz ab und zu das feine Sakko des Weltpolitikers ablegen würde. Mehr Bodenhaftung wagen: Das wäre doch ein gutes Motto für den Kanzler einer schwarz-roten Koalition.
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