Deutschland braucht mehr bezahlbaren Wohnraum. Die Bundesregierung will, dass Bauprojekte künftig schneller umgesetzt werden - ohne langwierige bürokratische Verfahren. Doch die Kritik daran wird lauter.
Katalin Gennburg hat unkonventionelle Vorstellungen, was das Wohnen angeht. Die Linken-Politikerin sieht zum Beispiel Hausbesetzungen als legitimes Mittel, um für mehr Wohnraum zu sorgen. Gennburg ist die neue baupolitische Sprecherin der Linken im Bundestag und sieht den "Bau-Turbo" kritisch.
Ihre Hauptsorge: Schnellere Verfahren in den Ämtern könnten für weniger Mitbestimmung sorgen. "Hier wird die Axt angelegt an demokratische Beteiligung in der räumlichen Planung. Eine große Errungenschaft im Nachkriegsdeutschland, dass wir gesagt haben: Wir bauen diese Republik mit den Menschen. Und darauf beharre ich, ich fordere das ein."
Anwohner haben weniger Zeit, Einspruch einzulegen
Der "Bau-Turbo" sieht vor, dass weniger Zeit vergeht zwischen dem Bauantrag und dem tatsächlichen Start eines Bauprojekts: nur noch zwei Monate statt wie bisher in manchen Städten fünf Jahre. Zünden muss diesen "Turbo" die Gemeinde. Sie kann dann darauf verzichten, Bebauungspläne zu erstellen. Was bedeutet: Anwohner haben weniger Zeit, Einspruch gegen ein Bauprojekt einzulegen.
"Wir sehen, dass die Beschneidung von Bürgerbeteiligung ein riesiges Problem ist. Weil die Menschen gerade die Demokratie vermissen. Das heißt, sie brauchen eigentlich mehr Beteiligung und nicht weniger", sagt Gennburg. Ein Kritikpunkt, den auch die Grünen im Bundestag formulieren.
Hubertz verteidigt Pläne
Bundesbauministerin Verena Hubertz lässt ihn allerdings nicht gelten. Aus Sicht der SPD-Politikerin bleibt genügend Zeit für Bürgerbeteiligung, wenn für ein Bauprojekt schon nach zwei Monaten die entscheidende Phase beginnt. "Hier wird keine Beteiligung außen vor gelassen. Das können die Städte, die Gemeinden auch ganz konkret für sich vor Ort beschließen. Wichtig ist nur: Diese Dinge dürfen nicht bis ins Ultimo getrieben werden."
Bürgerbeteiligung nicht bis ins Ultimo: Worte der Ministerin, in denen vor allem der Wunsch nach Bau-Tempo steckt - und weniger der nach Anwohner-Debatten.
Kritik auch bei Umweltschützern
Das sorgt auch bei Umweltschützern für Unverständnis. Stefan Petzold vom Naturschutzbund NABU sorgt sich darum, dass künftig in "Turbo"-Geschwindigkeit Grünflächen verschwinden könnten, gerade in größeren Städten, wenn der Neubau Priorität bekommt und die Möglichkeiten des Einspruchs weniger werden. Für Petzold sind Wälder und Parkanlagen entscheidend für das Klima. Er erinnert an die Hitzewelle Anfang des Monats.
"Nur mit Grünflächen schaffen wir es, solche Hitzeereignisse abzupuffern. Weil diese Grünflächen eine aktive Kühlung betreiben", sagt Petzold. "Jeder, der in den Stadtwald geht, merkt sofort: Hier ist es direkt acht, zehn Grad kühler als auf den Straßen drumherum. Weil Materialen wie Beton und Asphalt die Hitze enorm speichern."
NABU verweist auf Leerstand
Der NABU verweist darauf, dass fast zwei Millionen Wohnungen in Deutschland leer stehen - ebenso etliche Gewerbeflächen, die zu Wohnraum umgebaut werden könnten. Sie zu nutzen wäre aus Sicht von Petzold deutlich nachhaltiger, als neu zu bauen.
Wenn es nach ihm ginge, würde sich der "Bau-Turbo" nur darauf beschränken, bestehende Gebäude umzufunktionieren. Er spricht von einem gigantischen Potential in Innenstadtbereichen. "Ich glaube, jedem fallen zig Supermärkte ein, die eingeschossig sind, wo mehrere Etagen draufgesetzt werden könnten. Das würde auch dem demografischen Wandel begegnen können, weil einfach Wege verkürzt werden zu Versorgungseinrichtungen."
Petzold spricht von einer "Stadt der kurzen Wege": "Das wäre ein Konzept, das viel zukunftsfähiger ist - auch mit Blick auf die alternde Gesellschaft."
Aufstocken und neu bauen - beides sieht der Gesetzentwurf vor. Nun wird es darum gehen, eine gesunde Balance zu finden. So oder so: Die Baubranche freut sich. Sie kann durch den "Bau-Turbo" mit etlichen neuen Aufträgen rechnen.
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