Selten war die Wahl drei neuer Richter für das Bundesverfassungsgericht politisch so aufgeladen. Scheitern heute die Kandidatinnen der SPD an fehlenden Stimmen der Union, könnte das gravierende Folgen haben.
Ann-Kathrin Kaufhold und Frauke Brosius-Gersdorf sind einige Minuten zu früh am Montagabend am Bundestag. Beide Juristinnen sind von der SPD vorgeschlagen worden, an das höchste deutsche Gericht berufen zu werden - dem Bundesverfassungsgericht. Sie warten vor dem Eingang - die Kleidung formal. Ganz so, als stünden die beiden sehr erfahrenen Juristinnen noch einmal vor einem Vorstellungsgespräch.
Aber genau so wirkt ihr anstehender Termin auch. Im Richterwahlausschuss müssen sich die Kandidaten vorstellen sowie den Abgeordneten Rede und Antwort stehen. Normal ist es nicht, die parlamentarische Praxis ist seit Jahren eine andere - aber normal ist dieses Mal wenig.
Bruch mit einer Tradition
Am Bundesverfassungsgericht arbeiten 16 Richter und Richterinnen. Die eine Hälfte wählt der Bundestag, die andere der Bundesrat. Heute ist der Bundestag dran. Hier haben Union und SPD das Recht jeweils drei Richter vorzuschlagen. Auch Bündnis90/Die Grünen und die FDP durften je einen Richter benennen. Diese müssen dann im Bundestag mit einer Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten gewählt werden.
Alle beteiligten Parteien haben sich bislang an diese Verabredung gehalten, und den Kandidaten der jeweiligen Partei mitgewählt - ohne Aussprache. Bewusst sollten öffentliche Anhörungen wie in den USA vermieden werden, um den Kandidaten eben keine politischen Haltungen abzuringen, die sie als Richter im Einzelfall binden könnten. Bereits die Anhörung im Ausschuss ist daher ein Bruch mit dieser Tradition.
Widerstand gegen SPD-Kandidatin
Das Problem bei dieser Wahl ist aber ein größeres: Union und SPD haben selbst mit den Stimmen von Bündnis90/Die Grünen die erforderliche Mehrheit grundsätzlich nicht. Dazu kommt, dass gerade in der Union der Widerstand gegen eine Kandidatin besonders groß ist: Frauke Brosius-Gersdorf. Die Professorin der Universität Potsdam hatte sich in der Vergangenheit häufiger zu politischen Themen geäußert.
Während der Pandemie sprach sie sich für eine allgemeine Impfpflicht aus. In der ZDF-Sendung Markus Lanz zeigte sie sich vor einem Jahr offen für ein AfD-Verbotsverfahren: "Wenn es genug Material gibt, bin ich dafür, dass der Antrag auf ein Verbotsverfahren gestellt wird."

Frauke Brosius-Gersdorf ist vor allem bei der Union umstritten.
Liberal beim Thema Abtreibung
Doch vor allem ihre Position zum Thema Schwangerschaftsabbruch ist eines, das für viele in der Union schwer zu verdauen ist. Brosius-Gersdorf hatte in der vergangenen Legislatur an einem Gutachten für die damalige Bundesregierung mitgearbeitet, das die Reform des Abtreibungsparagrafen § 218 Strafgesetzbuch untersuchen sollte. Brosius-Gersdorf spricht sich darin für eine Entkriminalisierung des Abbruchs aus. Die Ausführungen im Gutachten dazu sind mehrere Seiten lang und komplex.
Bei der Regierungsbefragung am Mittwoch im Bundestag verkürzte die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch die Position und konfrontierte den Bundeskanzler: "Ich frage Sie, ob Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren können, Frau Brosius-Gersdorf zu wählen, für die, die Würde eines Menschen nicht gilt, wenn er nicht geboren ist." Bundeskanzler Friedrich Merz antwortete hierauf mit: "Ja!" Der Applaus in der Unions-Fraktion war daraufhin mehr als verhalten. In der Union ist das Thema Abtreibung kein leichtes.
Sonderfraktionssitzung vor der Wahl
Ob Zufall oder doch Auslöser - kurz nach diesem Vorfall wurde bekannt, dass die Union für den Tag der Richterwahl - also an diesem Freitag - bereits um acht Uhr morgens eine Sonderfraktionssitzung einberuft. Aus Unions-Kreisen heißt es, die Wahl stehe auf unsicheren Füßen. Es fehle eine beträchtliche Anzahl an Stimmen trotz der Zusage der Linkspartei, die SPD-Kandidatin mitzuwählen.
Die SPD wolle zudem die Kandidatur nicht zurückziehen und erwarte von der Union nun auch ein Zugeständnis in ihre Richtung, nachdem die SPD beim Thema Migration für den Koalitionsfrieden größere Eingeständnisse gemacht habe - es könnte heute also mehr auf dem Spiel stehen als nur die Wahl einer Richterin.
Union lehnt Gespräche mit den Linken ab
Aber auch der dritte nominierte Richter, ist bereits vorher ein Politikum geworden: Günter Spinner, Kandidat der Union. Die SPD würde hier mitstimmen, jedoch nicht Die Linke. Jedenfalls so lange nicht, so lange die Union Gespräche mit der Linkspartei ablehnt. Doch genau das tun CDU und CSU - trotz der Kooperation bei der Wahl des CDU-Kanzlers Merz, der im ersten Wahlgang scheiterte. Die sogenannte Brandmauer nach links soll stehen.
Zuletzt verweigerte die Union der linken Fraktionsvorsitzenden Heidi Reichinnek ihre Stimmen für einen Sitz im Parlamentarischen Kontrollgremium. Auch das hat für großen Unmut gesorgt. Wenn die Union bei ihrer Position bleibe, heißt es bei der Linkspartei, nehme die Union in Kauf, dass Spinner nur mit den Stimmen der AfD gewählt werden könnte.
Die Wahlen, die ab zehn Uhr beginnen, sind anonym. Wird Spinner gewählt, bleibt die Frage, ob seine Richterschaft tatsächlich den Makel der AfD tragen wird. Ein besonders guter Start dürfte das aber - egal wie es ausgeht - für alle drei Richter nicht werden. Und die Koalition sieht sich einer neuen Belastungsprobe entgegen.
Dagmar Pepping, ARD Berlin, tagesschau, 11.07.2025 07:07 UhrHaftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.