Bernd Stromberg hadert mit der Gegenwart. „Der ganz normale Mann, der auf Frauen steht und arbeiten geht, das ist die einzig unproblematische Witzfigur?!“, ledert der ehemalige Bereichsleiter der „Capitol“-Versicherung auf dem Parkplatz seines neuen Arbeitgebers los. „Nee, mach ich nicht mit!“
In „Stromberg – Wieder alles wie immer“, nach „Stromberg – Der Film“ der zweite Kino-Gig der Reihe, geht es hochpolitisch zu, was nicht nur am Cameo-Auftritt von Lars Klingbeil liegt. „Ein bisschen mehr Stromberg würde der SPD guttun“, verlautbart Klingbeil am Ende des Films in einer fiktiven Video-Nachricht, und der naheliegende Gedanke dabei ist natürlich, dass der amtierende Vizekanzler dafür nur mal auf der Regierungsbank neben sich schauen müsste – höhö. Der Auftritt eines Politikers in der Stromberg-Reihe ist dabei keineswegs neu: Kenner werden wissen, dass der erste Film von 2014 damit endet, dass Stromberg im Willy-Brandt-Haus vom damaligen, frisch gekürten Außenminister Frank-Walter Steinmeier empfangen wird.
Von dieser Nuance abgesehen, macht „Stromberg – Alles wie immer“ vieles anders. Und schlechter. Wie sehr, wird bereits daran deutlich, dass sowohl Premierengäste im Berliner „Zoo Palast“ als auch das zahlende Kinopublikum am Erscheinungstag frühzeitig den Saal verließen.
„Unter diesen Umständen schwer“
„Büro ist Krieg“ – in diesem Stromberg-Spruch steckt eine tiefere Wahrheit. Schon bei Franz Kafka, dem berühmtesten Versicherungsangestellten der Literaturgeschichte, finden sich Eindrücke vom dumpf pochenden Schmerz des im Großraumbüro darbenden Angestellten. Während Kafka tagsüber in der Prager „Arbeiter-Unfall-Versicherungs-Anstalt“ seine Zeit absaß, klagte er abends seiner On/Off-Verlobten Felice Bauer brieflich sein Leid. Er fühle sich wie eine „eingesperrte Ratte“, schrieb er. Und: „Ich kann wirklich nicht beschreiben, wie ich meine Tage hinbringe. Meine einzige Rettungsmöglichkeit, mein erstes Verlangen ist Freiheit vom Bureau.“
Das Büro als Gefängnis der Persönlichkeit, oder, um es mit Siegfried Kracauer zu sagen: „Die Angestellten leben heute in Massen, deren Dasein mehr und mehr ein einheitliches Gepräge annimmt.“ In seiner 1929 erschienenen Untersuchung „Die Angestellten“ beleuchtete der Soziologe und Architekt Kracauer die Ausformung des Proletariats hin zu einer „industriellen Reservearmee der Angestellten“. Sprache, Kleider, Gebärden und Physiognomien würden sich angleichen, echte Persönlichkeit fange erst in den oberen Schichten der sozialen Hierarchie an. „Berufsfreude zu pflegen, ist unter diesen Umständen schwer“, so sein deprimierender Befund. Gleichzeitig erfahre das Bürgertum einen schleichenden Abstieg und pralle mit dem einstigen Proletariat im Angestelltenmilieu aufeinander. „Als es dem Mittelstand noch besserging, fingerten manche Mädchen, die jetzt lochen, auf den häuslichen Pianos Etüden“, notierte Kracauer damals mit leicht schwitzigen Händen.
Womit wir direkt bei Bernd Stromberg wären, jenem ehemaligen mittleren Versicherungsangestellten, der sich für keine Anzüglichkeit und Zote zu schade ist. Vor zwanzig Jahren fing die gleichnamige Serie diesen Topos „Büro“ mit seinen deprimierenden Insignien der Menschenbewirtschaftung auf so eindrückliche wie komische Weise ein: das brutalistische Capitol-Gebäude mit seiner Waschbeton-Fassade, hinter der kasernierte Sachbearbeiter unter Leuchtstoffröhren saßen, sich an ihren Schreibtischen mit bunten Glückwunschkarten und in Granulat getopften Yuca-Palmen trösteten und sich zweimal täglich zu Durchhaltemusik und Wochenendplausch in der miefigen Betriebsküche zusammenfanden.
Tropfende Wasserhähne, mit Kaffeesatzringen versehene Tassen im Spülbecken, brummende Kühlschranke, in denen Joghurts und körniger Frischkäse ihrem Ablaufdatum sekündlich näherkamen: „Stromberg“ war der Horror-Core des deutschen Mittelstands, die „Noir“-Version des Wirtschaftsstandorts Deutschland, als dessen Motor noch lief und lief und lief. Vielleicht liegt darin das größte Problem beim neuen Film: dass er sich des „Lebensraums Büro“ komplett entledigt hat. Von der einstigen Tragikomik bleibt so nur noch Klamauk übrig.
Ein Film mit Vollkasko-Schutz
„Stromberg – Alles wie immer“ spielt auf einer Meta-Ebene und verlagert den Plot zu weiten Teilen in ein Fernsehstudio. Dort treffen sich die Capitol-Angestellten, die durch die „Dokumentation“ des Versicherungsalltags zu Berühmtheiten geworden sind, zu einer von Pro7-Moderator Matthias Opdenhövel gehosteten Reunion-Show. Im gewohnten „Mockumentary“-Stil begleitet die Kamera zunächst den Aufbau des Bühnenbilds und die Proben. Nach und nach treffen die Protagonisten ein.
Berthold Heisterkamp (Bjarne Mädel) ist mittlerweile Lifecoach, Speaker und Autor eines Antimobbing-Buchs. Tanja (Diana Staehly), die in der Capitol Karriere gemacht hat, bringt Adoptivsohn Marvin und ihren Noch-immer-Ehemann Ulf (Oliver Wnuk) mit. Der findet im Laufe des Films raus, dass seine Frau ein Techtel-Mechtel ausgerechnet mit Lehnhoff (Laurens Walter) – dem „Blockflötengesicht“ – hat. Strombergs Ex-Flamme Jennifer (Milena Dreißig) bringt ihren aktuellen Freund mit, den deutlich jüngeren Julian (László Branko Breiding), einen kaugummikauenden Content-Creator mit Gen-Z-artigem Brokkoli-Haarschnitt und Glitzer-Ohrring. Und Stromberg (Christoph Maria Herbst) selbst arbeitet mittlerweile für ein nebulöses „Multi-Purpose“-Unternehmen mit allerlei „diversen“ Mitarbeitern, „shared workspaces“ und sphärischer Wohlfühlmusik in den Fluren.
Vor dem Studio campieren derweil gehypte Hardcore-Fans im gruseligen Stromberg-Cosplay, die lediglich in Zitaten des Büro-Ekels miteinander kommunizieren. Im Regieraum laufen kakofonisch alte Stromberg-Clips auf den Bildschirmen rauf und runter. Eine junge Produktionsassistentin („Die war aber auch mal Modell bei der Apothekenumschau, Thema Depression – Phhhwooahh“) beklagt diesen ganzen „Macho-Müll“ und diese „alte frauenfeindliche Kackscheiße“.
Noch langweiliger als „woke“
Damit strengt sich der Film erkennbar an, „Stromberg“ in die bundesdeutsche Gegenwart zu hieven und aktuelle Debatten aufzugreifen. Das Problem dabei: Im Bemühen, sich gegen mögliche Kritik dadurch zu imprägnieren, indem man diese antizipiert und vorwegnimmt, verheddert er sich komplett. Langweiliger als die „Woke Culture“ und „Political Correctness“ sind eben nur die Debatten um selbige, und so wirkt dieser mit ideologischem Vollkasko-Schutz abgesicherte Film unendlich verquast und öde.
Dabei gibt es anfangs ein paar schöne Momente. Als etwa Berthold, der in der Serie zu seinem Leidwesen immer nur „Ernie“ genannt wurde, in der Umkleide des fiktiven TV-Studios eintrifft und die Kamera ganz nebenbei den Zettel der Produktion mit dem falsch geschriebenen „Bertold“ an der Tür einfängt, ist man für einen Moment entzückt, wie der Film alte Running Gags auf subtile Art wieder aufgreift. Und auch die „Stromberg-Zombies“ vor dem Studio sind als bissiger Kommentar zum Kult um die Serienfigur zu verstehen. Denn längst ist Stromberg ja zu einer Art Säulenheiligen der „Das-wird-man-ja-noch-sagen-dürfen“-Fraktion geworden, die jeden Stromberg-Spruch mit der gleichen Verbissenheit verteidigt, mit der die Gegenseite dagegen wettert. Bernd im Kreuzfeuer des Kulturkampfs?
Gegen Ende des Films – nachdem er im Verlauf der abstrusen Handlung einen Mitarbeiter auf dem Firmenparkplatz verprügelt, dessen Auto gestohlen, und damit einen Unfall gebaut hat – geistert Stromberg durch das verlassene Capitol-Gebäude. „Interessant ist ja eh nur das Scheitern“, murmelt er in Selbstmitleid versinkend ins Treppenhaus, „nur scheitern ist siegen.“ Nur nach dieser Logik ist der Film ein großer Gewinner.
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