Mitte der 1980er-Jahre in Bilbao: Tristesse wohin man sah, wohin man trat. Die Werften tot, die Stahlproduktion am Ende. Die Stadt im spanischen Baskenland litt unter Deindustrialisierung und Massenarbeitslosigkeit. Das einst stolze Bilbao hatte sich in eine graue schmutzige Ansammlung von Vierteln am Ufer des verdreckten Flusses Nervión verwandelt, deren Bewohner sich der Depression ergeben hatten. Von Touristen kaum eine Spur.

Zwanzig Jahre später war alles anders. Alle Welt sprach von Bilbao. Nicht (nur) wegen der exzellenten baskischen Küche, die damals molekular aufgerüstet wurde, sondern wegen eines Bauwerks, das einer Stadt neues Leben einhauchte – und einem Architekten Weltruhm verschaffte: dem Guggenheim Bilbao. Ein Museum wie ein gigantischer Pintxo, besonders wenn die Abendsonne seine Titanhaut in den Farben eines iberischen Schinkens schimmern lässt.

Frank Gehry war der Erfinder dieses Spektakels. Der Entwurf katapultierte ihn in die erste Reihe jener „starchitects“, Architekten, die aus dem theoretischen Dunstkreis des Dekonstruktivismus endlich in die Praxis großer Bauaufträge durchbrachen. Und Gehry, 1929 in Toronto als Frank Owen Goldberg in eine jüdische Einwandererfamilie geboren, sollte die Rolle des Stars nicht nur beruflich ausfüllen – sondern auch persönlich.

Im Jahr 1947 zog er nach Los Angeles, änderte seinen Nachnamen in Gehry, auch „um antisemitischen Anfeindungen zu entgehen“, schrieb sich an der University of Southern California ein, machte 1954 seinen Abschluss in Architektur. Nach einem kurzen Stadtplanungs-Intermezzo an der Harvard Graduate School of Design kehrte er nach Kalifornien zurück und gründete 1962 sein eigenes Büro in Santa Monica. Dort starb er am 5. Dezember 2025 infolge einer Atemwegserkrankung im Alter von 96 Jahren.

In Santa Monica steht auch sein erstes Wohnhaus – ein radikales Manifest, das ziemlich gut veranschaulicht, was Architekten an der Schwelle von der Postmoderne zur Dekonstruktion so umgetrieben hat. „Ich habe versucht, diese bescheuerten normalen Materialien aus der Nachbarschaft zu verwenden“, sagte er einmal über sein „dummes, kleines Haus mit einem Zauber“. Mit seiner zweiten Ehefrau Berta hatte er das zweigeschossige, rosafarbene Einfamilienhaus im Westen von Los Angeles 1977 gekauft und sofort begonnen es zum Schrecken seiner Nachbarn auszubauen.

Mit Asbestplatten, Wellblechtafeln, Drahtgittern und allerlei anderem Prefab-Material aus dem Baumarkt schuf er seiner Familie ein Heim. Das Ergebnis war weder funktionalistisch noch eine postmoderne Parodie des Mittelklasse-Suburb, sondern eine „showy“ Geste des Dekonstruktivismus – geliebt von Architektur-Aficionados, verhasst in der Nachbarschaft.

Gehry kombinierte Grundelemente der Architektur wie kaum jemand zuvor: Wände, Dächer, Höfe, Volumen – alles wurde neu sortiert, verschoben, geknickt. Für den Musikproduzenten Jon Platt baute er das Schnabel House (1986–89) in Los Angeles, ein kurioses Ensemble aus Würfeln, Podesten und Türmen: ein Türmchen wie für Fluglotsen, ein Wandelgang wie in einem Kloster, ein Homeoffice in Gestalt einer Moschee. Der Bauherr nannte es ein „heiliges Kunstwerk“.

1991 erhielt Gehry den Auftrag für das Guggenheim-Museum in Bilbao. Hier wollte er nichts weniger als ein eigenes Kunstwerk schaffen. Ob die Kunst darin später bestehen konnte, war für ihn zweitrangig. Er wollte zeigen, was er konnte – und was mit computerunterstütztem Design auch technisch möglich war. Gehry skizzierte und modellierte viel mit der Hand; berühmt sind Fotos, die zeigen, wie er zerknülltes Papier als Ausgangspunkt für die Gestaltung nutzt. Die neuen CAD-Programme kamen ihm dann nur gelegen, um diese „unberechenbaren“ Formen überhaupt baubar zu machen.

Bestes Beispiel Bilbao: 130 Meter lang, 30 Meter breit, kein Anfang, kein Ende. Schiefe Wände, gebogene Fassaden, eine Dachlandschaft wie eine frittierte Artischocke, ein appetitlich servierter Salat aus Titanblech, effektvoll glänzend, aber auch effekthascherisch ans Ufer des Nervión gepflanzt, ungeheuer fotogen – „instagrammable“, noch bevor jemand wusste, was Instagram ist.

Der zum geflügelten Wort gewordene „Bilbao-Effekt“ war diesem Spektakel zu verdanken. Die Baukosten des Museums von rund 133 Millionen Dollar sollen innerhalb weniger Jahre durch Steuereffekte wieder eingespielt worden sein. Die Hoffnung, durch spektakuläre Architektur ganze Städte oder zumindest Quartiere aufzuwerten, hat in den vergangenen Jahrzehnten, seit der Eröffnung des Guggenheim-Museums 1997, manche Blüten getrieben. Die wenigsten allerdings wurden erfüllt.

Frank Gehry hat wohl selbst am meisten von dem Trend profitiert. Für den französischen Unternehmer und milliardenschweren Mäzen Bernard Arnault durfte er die Fondation Louis Vuitton entwerfen; ein gläserner Schiffsrumpf im Bois de Boulogne. Bei der Walt Disney Concert Hall explodierten die Kosten, sie benötigte 16 Jahre, um in Los Angeles ihre mit Mitteln der Geometrie kaum zu beschreibende Form anzunehmen. In Abu Dhabi wächst seit Jahren ein weiteres Guggenheim heran – ein Gebilde aus Klötzen, Kegeln und Röhren, wie von einem Riesen in die Wüste geschoben.

Auch in Deutschland hat Gehry Spuren hinterlassen: das skulpturale Vitra Design Museum in Weil am Rhein, die wie vor Nervosität hüpfenden Häuser des Neuen Zollhofs in Düsseldorf, der verdrehte Gehry-Tower in Hannover. In Berlin war Gehry im Rennen darum, der Museumsinsel ein neues Eingangsgebäude zu schaffen. Doch in der Historismus-trunkenen Hauptstadt zog man dem mitunter exaltiert auftretenden Architekten bald den Stecker. Sein Entwurf war zu wild für das denkmalgeschützte Ensemble. Letzten Endes entschied man sich für den Gegenentwurf zu Gehrys extrovertierten Experimenten: Die James-Simon-Galerie durfte David Chipperfield in strenger Ordnung bauen.

Dennoch hat Gehry gerade in Berlin auch seine andere Seite gezeigt und zwei seiner besten Architekturen hinterlassen. Am Pariser Platz wollte er eigentlich – und ganz wie für seine Architektur wie seinen Charakter üblich – aus sich heraus, als es galt ein neues Haus für die Deutsche Genossenschaftsbank (heute DZ Bank) zu errichten. Doch weil in der Nähe zum Brandenburger Tor gegen die dogmatisch reglementierte Gestaltungssatzung des Senats in den 1990er-Jahren nicht anzubauen war, kehrte Gehry seine Prinzipien um. Zum Platz hin bekam das Haus die duckmäuserische Lochfassade, im Inneren tobte sich Gehry aus und schenkte dem Bankgebäude einen fulminanten Sitzungssaal, der an einen störrischen Pferdekopf erinnert.

Gehrys Spätwerk in Berlin ist still und leise: Der Pierre-Boulez-Saal der Barenboim-Said-Akademie, 2017 eröffnet, gehört zu seinen feinsten Arbeiten: eine elliptische Arena, ein doppelt elliptisch verdrehter Rang, ein Konzertsaal, der Musiker und Publikum einander näherbringt. Ein architektonisches Kammermusikstück – beauftragt von seinem Freund Daniel Barenboim.

„Künstler erkennen manchmal etwas in anderen Künstlern auf eine Art und Weise, die wir nicht wirklich verstehen“, sagte Gehry damals. Es war sein Credo: Architektur als Kunst zu begreifen. Vielleicht war er einer der letzten Architekten, denen es gelang, ihren Bauherrn genau das verständlich zu machen.

Und damit hinterlässt er eine unbequeme Frage: Wer baut uns in Zukunft noch Gebäude, die den Mut haben, Kunst zu sein – und wie?

Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.