Die Welt kennt Fußball spielende Literaten und schreibende Fußballer. Für Péter Esterházy war es nie so einfach. Als Erbe einer verarmten ungarischen Adelslinie, die den volkstümlichen Sport für sich entdeckt hatte, betrieb er beides auf gehobenem Niveau. Für einen Budapester Vorstadtclub kam Esterházy mit der Nummer acht über die linke Außenbahn und schoss zahlreiche Tore. Über Fußball schrieb er selten. Aber wenn, dann richtig wie 2006 in seiner „Deutschlandreise im Strafraum“: „Fußball gespielt hat jeder. Auch der, der es nicht getan hat, das ist eine Conditio sine qua non. Nicht ein jeder aber ist ein Fußballspieler. Ich war einer.“

Mit 38 Jahren hängte Esterházy seine Stollenschuhe an den sprichwörtlichen Nagel. Er litt an den Nachwehen eines Meniskusrisses. Leider hat er nie erzählt, bei welchem Spiel er sich seine schwerste Verletzung zugezogen hatte. Nur soviel: Sein Knorpel war kaputt, ein abgetrenntes Stück wanderte durch sein Knie. Er spielte noch einige Jahre weiter, immer in Gedanken an sein angegriffenes Gelenk und manchmal unter Schmerzen. Wenn er noch ein Tor erzielte, streichelte er seine Knorpelmaus, wie Orthopäden solche Schäden umgangssprachlich nennen. Esterházy gab ihr einen eigenen Namen: Béla. Andere hätten ein Kinderfußballbuch daraus gemacht über Béla die Knorpelmaus. Ihm war die Angelegenheit dafür zu ernst.

Ihm widerstrebte auch jegliche Metaphorik, mit der Literaten seinen Sport so gern umarmen als „Schöngeisterei“. Fußball sei Fußball, Kunst sei Kunst, Leben sei Leben. Nicht mal die „Wunde von Bern“ ließ er als Gleichnis gelten, die tragische Niederlage seiner Ungarn im WM-Endspiel von 1954. Keine Weltverschwörung, kein Vorspiel des Volksaufstands von 1956: Ferenc Puskás, der Major, war angeschlagen. Dann beging er Fahnenflucht und ging von Honvéd, dem Armeeclub, zu Real Madrid. Ende des ungarischen Fußballmärchens. Esterházys kleiner Bruder Martón spielte selbst für Honvéd, AEK Athen, Casino Salzburg und die Nationalmannschaft bei ihrem letzten Auftritt bei einer WM vor 40 Jahren in Mexiko.

In „Deutschlandreise im Strafraum“ äußerte sich Péter Esterházy auch über die Spezies des alternden Fußballers („a. F.“), den jammernden Senioren: „Dem a. F. tut alles weh. Alles, was existiert, tut weh oder wird weh tun. Keine Bewegung, die nicht verbunden wäre mit einer schmerzlichen Vergangenheit. Bandagen und Klebestreifen, Kälteanästhetisierung und Gummistrümpfe, Verbandszeug und Salben, Öle und krampfstillende Pillen. Diese alten Fußballer, die früher so gut gespielt haben, und je früher dieses Früher war, desto besser waren die.“

Nichts lag ihm ferner, als einer zu werden. Er bekam eine künstliche Hüfte und war dankbar, nicht mit fußballspielenden Literaten für die ungarische Schriftstellerauswahl gegen die Mannschaften aus anderen Nationen auflaufen zu müssen. Esterházy konnte sich nie vorstellen, so ungeschickt über das Feld zu rennen und gegen den Ball zu treten wie seine Kollegen.

Alt wurde er nicht. Nach seinem „Bauchspeicheldrüsentagebuch“ starb er mit 66 Jahren. Kurz zuvor war Ungarn im Achtelfinale der EM 2016 ausgeschieden. Es wäre ihm auch keine Notiz mehr wert gewesen – ihm, Graf Péter Esterházy de Galántha: „Ich stelle mir meinen Großvater, den Ministerpräsidenten, vor, wie er links außen davonzieht, nach einem Doppelpass mit Kaiser Franz Joseph I. über den Kopf Wilhelms II. hinweg, der zu weit hinausgelaufen ist, den Ball ins Netz hebt.“ Wer jung sei, sagte er einmal, denke weder an den Tod noch an einen Meniskusriss.

Alles Schriftstellerleben sei Papier, heißt es. In dieser Reihe treten wir den Gegenbeweis an.

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