Die Giardini in Venedig sind für den internationalen Kulturbetrieb so etwas wie das Hauptquartier der Vereinten Nationen in New York für die Weltpolitik. Nur ohne die blattvergoldete Wand, die den Sprechern im großen Sitzungssaal mitunter die Aura von Heiligen verleiht. Stattdessen gibt es freien Himmel, alte Bäume und verspielte Architektur. An der Gartendiplomatie von Venedig darf teilnehmen, wer in dem am östlichen Ende der Inselstadt gelegenen Park, einen ständigen Sitz hat. Genannt: nationaler Pavillon.
Die venezianische Vollversammlung heißt Biennale. Dort trifft sich im jährlichen Wechsel die globale Kunst- und Architekturszene. Anders als bei den UN, wo 193 Mitgliedstaaten einen ständigen Botschafter haben, haben die Giardini allerdings einen Makel: nicht genug Platz. Und den teilen sich vor allem die Staaten des „Westens“. Die großen europäischen Nationen haben zum Teil prächtige Häuser. Die USA schmücken ihren Pavillon mit Säulen. Kanada gibt sich schneckenförmig und verglast. Australien hat seinen alten Pavillon kürzlich durch eine moderne Blackbox ersetzt.
Der „Globale Süden“ ist dagegen schwach vertreten. Brasilien, Uruguay und Venezuela (seit Jahren geschlossen) sind immerhin dabei, die arabische Welt ist nur durch Ägypten vertreten. Der letzte Staat, der – vor dreißig Jahren – die Erlaubnis bekam, einen Nationalpavillon zu errichten war Südkorea und musste sich mit einem abschüssigen Gelände zwischen Japan und Deutschland begnügen. Die Giardini galten seitdem nicht nur baudiplomatisch als ausgeschöpft. Doch jetzt darf das Emirat Katar einen Pavillon bauen.
Venedigs Bürgermeister muss vor Gericht
In der vergangenen Woche – zum Auftakt der 19. Architekturbiennale von Venedig – wurde das Grundstück schon einmal abgesteckt. Ein provisorischer Pavillon steht nun dort: Die pakistanische Architektin Yasmeen Lari nennt ihre elegante Konstruktion aus Bambus bescheiden Gemeinschaftszentrum. Tausende dieser Art hat sie nach dem verheerenden Erdbeben von 2005 in ihrer Heimat bauen lassen, um die Opfer zu versorgen. Gleichzeitig ist es ihr Beitrag zum Schutz des regionalen Baukulturerbes.
Am 8. Mai 2025 wurde es von dem Biennale-Präsidenten Pietrangelo Buttafuoco sowie dem Bürgermeister von Venedig Luigi Brugnaro, Grund und Boden der Giardini gehören der Stadt, feierlich eröffnet. Der Amtsträger steht zurzeit im Visier der Justiz. Gegen ihn und eine Gruppe von 34 Verdächtigen laufen in der „Inchiesta Palude“ seit Monaten umfangreiche Ermittlungen wegen Korruption, Bestechung und Vorteilsnahme. Brugnaro bestreitet die Vorwürfe. Den kurzen Auftritt auf der Biennale nutzte er, um noch einmal gute Miene zu machen, bevor er sich vor Gericht verantworten muss.
Buttafuoco erkannte hingegen einen „historischen Moment“ und poetisierte den Genius loci des äußerst zentral gelegenen Standorts mit den Worten eines Wüstendichters: „Im Schutz der Buche sehne ich mich nach der Einfachheit der Blätter.“ Die an seiner Seite anwesende Chefin der katarischen Kulturbehörden und Schwester des Emirs Scheika Al Mayassa bint Hamad bin Khalifa Al Thani und die Architektin Lina Ghotmeh, die den permanenten Pavillon bauen wird, lächelten still.
Kein Wort fiel dazu, wie es zu diesem Privileg gekommen ist, dass Katar einen eigenen Pavillon bauen darf und damit im exklusiven Parcours der Biennale in die allererste Reihe rückt. Entscheidender Impuls war die Vereinbarung zur Zusammenarbeit zwischen Katar und Venedig, die im Juni 2024 unterzeichnet wurde. Ihr folgte eine Spende des Emirats in Höhe von 50 Millionen Euro an die Stadt.
„Um die zentrale Funktion Venedigs in der Diplomatie und im Handel wieder aufleben zu lassen“, sagte Brugnaro damals. Ziel sei es, „zeitgenössische Dynamik in die historische Rolle der Stadt als Treffpunkt für die Kulturen und Völker der Welt zu bringen“. Das Abkommen wurde an dem Tag bekannt gegeben, an dem Qatar Airways die Direktverbindung zwischen der katarischen Hauptstadt Doha und Venedig wieder aufnahm. Zu hören war nun, das Geld könne genutzt werden, um den Flughafen besser an die Stadt anzubinden.
Diplomatische Geschenke
Katar, ein kleiner und sehr wohlhabender Staat mit kaum drei Millionen Einwohnern auf einer Halbinsel im Persischen Golf, hat sich in den vergangenen Jahren sehr darum bemüht, aus dem Schatten seiner großen Erdgasreserven herauszutreten. Dazu gehörte etwa die Veranstaltung der Fußballweltmeisterschaft im Jahr 2022, die wegen Menschenrechtsverletzungen stark umstritten war. Dazu gehört auch der weit weniger kritisierte Aufbau von Kulturinstitutionen wie dem von Stararchitekten in Doha gebauten Museum für Islamische Kunst, dem Nationalmuseum oder der Nationalbibliothek. Und nicht zuletzt hat Katar die außenpolitischen Partnerschaften fortlaufend diversifiziert und ist als diplomatischer Krisenvermittler aufgetreten, so etwa im Nahost-Konflikt.
Geschenke gehören zur Diplomatie, werden aber in der Regel diskret gemacht. Selten erregen sie so viel Aufsehen, wie aktuell von der Familie des Emirs Tamim bin Hamad Al Thani offerierte 400-Millionen-Dollar-Jumbo für Donald Trump. Der US-Präsident will das Luxusflugzeug sogar annehmen, obwohl es die amerikanische Verfassung untersagt, Zuwendungen „jeglicher Art von einem König, Prinzen oder ausländischen Staat“ anzunehmen. Katars Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman Al Thani hat nun abgewiegelt, es sei ein „ganz einfaches Geschäft von Regierung zu Regierung“. Als einen solchen Deal mit diplomatischem Hintersinn darf man die 50-Millionen-Gabe an Brugnaro wohl auch verstehen.
„Unser Pavillon spiegelt wider, was Katar in der Welt tut“, erklärte Scheika Al Mayassa dann auch bei der Eröffnung einer Ausstellung im prunkvollen Palazzo Franchetti in Venedig. Als Chefin der katarischen Museen ist sie auch Kommissarin der Beiträge ihres Landes auf der Biennale. „Wir unterstützen arabische Stimmen, und zwar interdisziplinär, nicht nur in sozioökonomischen und soziopolitischen Situationen, sondern auch hinsichtlich Kreativität und Bildung.“
Nach den Angriffen vom 11. September 2001 habe sich ein globales Missverständnis der muslimischen Religion verfestigt. „Der Islam an sich bedeutet Frieden“, sagte Al Mayassa und betonte die vielfältige „Koexistenz von Judentum, Christentum und Islam“. Die gemeinsame Geschichte und gegenseitige Toleranz aber müsse gelehrt werden: „Kunst und Kultur sind der wichtigste und wirkungsvollste Weg, dies zu erreichen.“
Einen Vorgeschmack, dass Katar dieses Ziel im eigenen Pavillon bei künftigen Kunst- und Architekturbiennalen auch umsetzen kann, gab die herausragend präsentierte Ausstellung „Beyti Beytak“ im Palazzo Franchetti. Der Titel bedeutet so viel wie „mein Haus ist dein Haus“. Die Schau veranschaulicht die Kultur der Gastfreundschaft und wie sie sich in der vom Islam geprägten Region von Nordafrika über den Nahen Osten bis nach Südasien auch in der Baukunst ausdrückt. Keimzelle ist die Oase – als Ort des Transits, der zum Schmelztiegel verschiedener Kulturen wurde.
Inspiriert davon war auch der ägyptische Architekt Hassan Fathy, der mit Originalzeichnungen vorgestellt wird, die erstmals außerhalb Ägyptens zu sehen sind. Fathy entwarf in den 1940er-Jahren neuartige Bauernhäuser, er revitalisierte den traditionellen Lehmziegelbau und erbaute die kunsthistorisch bedeutende, aber akut abrissgefährdete Siedlung Neu-Gurna in Luxor. Im Jahr 1980 wurde er als erster Preisträger mit dem Right Livelihood Award ausgezeichnet, der als alternativer Nobelpreis gilt.
Die Ausstellung gibt zahlreiche Einblicke in den Wohnungsbau, die Stadtplanung und die Landschaftsarchitektur von Marokko bis Indien. Sie stellt die gesellschaftliche Bedeutung von Bauten für die Gemeinschaft vor – seien sie aus Rattan geflochten wie der temporäre Biennalepavillon von Yasmeen Lari oder aus Backsteinen gemauert wie das imposante „Swann Arr“ in Myanmar, entworfen vom algerischen Büro New Youth. Beeindruckend sind auch Sakralgebäude wie die Bait-Ar-Rouf-Moschee von Marina Tabassum in Dhaka oder die Moschee für Frauen in Doha, die das Emirat beim amerikanischen Architekturbüro von Elizabeth Diller in Auftrag gegeben hat.
Für den nationalen Pavillon in Venedig lobte man in Katar einen Wettbewerb unter arabischen Architekten aus, der von der libanesisch-französischen Architektin Lina Ghotmeh gewonnen wurde. Auf dem Rendering des Entwurfs, der auf der Biennale erstmals vorgestellt wurde, verbirgt er sich hinter einer Fassade aus hellem Stein, die wie ein fließender Vorhang wirkt.
Der Pavillon von Katar wird als Nummer 30 den Giardini hinzugefügt. Er ist der erste, der von einer Frau entworfen wurde. Darauf wies Scheika Al Mayassa stolz hin. Dass sie selbst ihre Rolle als oberste Kulturfunktionärin des Emirats nun auch als selbstbewusste Botschafterin in der venezianischen Gartendiplomatie ausleben wird, ist gewiss.
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