Auf den Krieg folgen Verhandlungen. Doch auf die Verhandlungen könnte wieder Krieg folgen. Zum ersten Mal seit Israels Bombardements gegen iranische Atomanlagen im Juni finden an diesem Freitag wieder Gespräche auf höherer diplomatischer Ebene über Irans Atomprogramm statt. Vertreter Deutschlands, Frankreichs, Großbritanniens und der EU auf Ebene der stellvertretenden Außenminister treffen mit ihrem iranischen Gegenüber in Istanbul zusammen.
Denn wenn es ans Verhandeln geht, sind die Europäer wieder wichtig. Schließlich waren es die sogenannten E3 – also Deutsche, Briten und Franzosen –, die 2015 gemeinsam mit der EU maßgeblich den Abschluss der Atomvereinbarung mit dem Iran ermöglichten, die dann auch die USA, China und Russland unterzeichneten.
Das Abkommen sollte genau das verhindern, was in den vergangenen Monaten geschehen ist: rapide Fortschritte des iranischen Atomprogramms, die das Land der Atomwaffenfähigkeit immer näherbrachten und einen Militäreinsatz Israels, der das zu verhindern suchte.
In diesem Herbst – genauer: am 18. Oktober – endet auch die Gültigkeit der vor fast zehn Jahren geschlossenen Vereinbarung. Und damit die Möglichkeit, die internationalen Sanktionen gegen den Iran auf einen Schlag wieder einzusetzen, falls dieser gegen das Abkommen verstößt. „Snapback“ nennt man diesen Mechanismus, gewissermaßen das „Zurückschnappen“ der Falle, in die sich das Land mit seinem Atomprogramm zuvor manövriert hatte. Ob es zu diesem Snapback kommt, entscheidet sich in den nächsten Wochen – und das Treffen in Istanbul könnte Hinweise darauf geben, ob der Iran wieder umfassend isoliert wird.
Auf den ersten Blick scheint Teherans Verhandlungsbereitschaft nicht gewachsen zu sein. Die Europäer haben bereits gewarnt, sie würden den Snapback auslösen, wenn Teheran sich einer Verhandlungslösung entzieht. Den Mechanismus kann jeder Unterzeichnerstaat des Abkommens durch eine Beschwerde auslösen, also die fünf Vetomächte im UN-Sicherheitsrat und Deutschland.
Doch faktisch kommen als Auslöser des Snapback nur die E3 infrage, denn die USA haben die Atomvereinbarung 2018 während der ersten Präsidentschaft Donald Trumps gekündigt, und China und Russland sind enge Verbündete des Iran. Wenn die Europäer den Mechanismus auslösen, kann der Snapback nur noch durch eine Resolution des Sicherheitsrats gestoppt werden – theoretisch.
Denn eine solche Blockade-Resolution würden die ständigen Sicherheitsratsmitglieder Frankreich und Großbritannien mutmaßlich durch ihr Veto verhindern, wenn sie selbst den Mechanismus ausgelöst haben. Letztlich bedeutet das: Wenn die europäischen Teilnehmer des Abkommens den Snapback wollen, dann kommt er.
Sollten die Europäer sich zu diesem Schritt gezwungen sehen, dann wollen sie den Snapback umgesetzt wissen, bevor Russland im Oktober den Vorsitz im Sicherheitsrat übernimmt. Weil zwischen Beschwerde und Inkrafttreten des Snapback 30 Tage vergehen, bedeutet das: bis Ende August müssen die E3 entscheiden, ob sie den Mechanismus auslösen wollen. Das ist ihre Verhandlungsfrist in Gesprächen mit dem Iran. Im Prinzip.
Möglicherweise werden die Europäer in Istanbul die Möglichkeit anbieten, die Frist, innerhalb derer ein Snapback möglich ist, im gegenseitigen Einvernehmen mit dem Iran zu verlängern, damit mehr Zeit für die Suche nach einer Lösung bleibt. Von einem europäischen Diplomaten ist jedoch zu hören, dass eine Verlängerung der Frist für eine Abwendung des Snapback wenig wahrscheinlich sei.
Dafür müssten sehr weitreichende Bedingungen erfüllt werden: Der Iran müsste beweisen, dass er ernsthaft zu einer diplomatischen Lösung des Atomstreits bereit sei, er müsste zudem ernsthaft mit der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA und deren Kontrolleuren kooperieren und den Verbleib des Urans aufklären, das sich vor den israelischen Angriffen in den Anlagen in Fordo, Isfahan und Natanz befand – und das bereits auf 60 Prozent angereichert sein soll.
Unklare Absichten des Iran
Das wären allerdings nicht nur die Bedingungen für eine Verlängerung der Verhandlungsfrist, sondern auch jene für die Abwendung eines Snapback. Es sei derzeit aber noch völlig unklar, ob der Iran wirklich noch an einer Verhandlungslösung interessiert sei. Das wird sich in den Gesprächen zeigen. Der Iran scheint aber nicht zu erkennen – oder erkennen zu wollen –, dass aus Sicht der Europäer die Zeit drängt.
Die Diskussion über eine Fristverlängerung sei „sehr verfrüht“, sagte der stellvertretende iranische Außenminister Kasem Gharibabadi am Vorabend der Gespräche mit den Europäern. Schließlich blieben bis zum Auslaufen des Abkommens noch fast drei Monate. Zu Gesprächen mit den USA sei sein Land prinzipiell bereit. Doch dafür fordere Teheran Garantien, dass es während der Verhandlungen nicht zu erneuten Angriffen wie jenen Israels komme.
Eine solche Garantie wird die Trump-Administration kaum geben können. Schließlich handelt der jüdische Staat im Zweifel auch entgegen den Empfehlungen aus Washington.
Und solange nicht geklärt ist, was aus jenen 400 Kilogramm hoch angereichertem Uran geworden ist, kann Jerusalem nicht ausschließen, dass Teheran nicht heimlich einen nuklearen Sprengsatz herstellt. Auch deshalb fordern die Europäer Aufklärung zum Uran-Vorrat und auch dessen Kontrolle durch die IAEA. Klarheit in diesem Punkt könnte eine neue Runde im Luftkrieg verhindern.
Senior Editor Daniel-Dylan Böhmer berichtet für WELT über den Nahen Osten und Afghanistan.
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