Offiziell steht Deutschland nach wie vor zum Verbrenner-Aus der EU ab dem Jahr 2035. Doch in der Kanzlerpartei wackelt diese Position merklich.
Mehrere Unionspolitiker fordern im Gespräch mit dem Pro-Newsletter „Industrie & Handel“ des Nachrichtenmagazins „Politico“ offen eine Abkehr von diesem Ziel. „Ich halte grundsätzlich gar nichts von einem Verbrennerverbot — weder für das Jahr 2035 noch für das Jahr 2040“, sagte der Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß (CDU), der für die Union während der Koalitionsverhandlungen die Verkehrspolitik mitverhandelt hat.
Er ist nicht allein. Man müsse das Ziel verschieben — „auch wenn einige Mitglieder der Bundesregierung das anders sehen“, so Alexander Jordan, Mitglied für die CDU im Bundestags-Verkehrsausschuss. „Ich fordere, das Ziel der Nullemissionen von 2035 auf mindestens 2040 zu verschieben“, sagte auch Stephan Toscani, Oppositionsführer im Saarland.
Dieser Text erschien zuerst im Pro-Newsletter „Industrie und Handel“ von „Politico“.
Leaks, Analysen und investigative Recherchen zur Industrie- und Handelspolitik, die Deutschlands wirtschaftliche und politische Zukunft prägen – in einem Newsletter. Jeden Tag um 6 Uhr. Hier zur Anmeldung.
Die Sorge in Teilen der Union: Das 2035er-Ziel sei schlichtweg nicht mehr erreichbar. Die Konsequenzen für die Autoindustrie wären fatal. Toscani fürchtet eine Deindustrialisierung Deutschlands.
Die Kritiker in der Union greifen eine Stimmung auf, die seit Jahren in Teilen der Autoindustrie stärker wird: BMW betonte immer wieder die Technologieoffenheit. Mercedes-Benz änderte im vergangenen Jahr den Kurs von „electric only“ zu einer „taktischen Flexibilität“ zwischen Verbrenner und Stromern.
Ola Källenius, Präsident des europäischen Autoherstellerverbandes ACEA und CEO von Mercedes-Benz, schrieb vergangene Woche in einem Gastbeitrag für den „Economist“: „Die derzeitigen auf Strafen basierenden Vorschriften für CO₂-Emissionen (…) müssen noch vor Jahresende überarbeitet werden.“
Es wurde offenkundig, dass sich die Stimmung in der Industrie gedreht hat, als der Verband der Automobilindustrie (VDA) im Juni offen forderte, das Verbrenner-Aus ab 2035 zurückzunehmen, wie „Politico“ berichtet hatte.
Im Wahlkampf war Merz noch gegen das Verbrenner-Aus
Im Bundestagswahlkampf hatte auch CDU-Chef Friedrich Merz noch eine Abkehr vom Verbrenner-Aus gefordert. Im Koalitionsvertrag mit der SPD einigte man sich dann auf den Terminus „Technologieoffenheit“. Doch in der Kanzlerpartei wackelt dieser Burgfrieden.
Das CDU-geführte Verkehrsministerium warnt vor den „komplexen Konsequenzen“ einer möglichen Verschiebung: Planungsunsicherheit, geringeren Investitionsdruck und langfristig eine Schwächung im internationalen Wettbewerb. Sowohl das Verkehrsministerium als auch das Wirtschaftsministerium verweisen auf Anfrage auf die anstehende Überprüfung der EU-Regelung durch die Kommission. Erst danach will sich die Bundesregierung positionieren.
Das Review der Kommission könnte neue Verhandlungsspielräume für alternative Kraftstoffe eröffnen, so die Hoffnung in der Union. Für den Einsatz von E-Fuels und Biokraftstoffen macht sich etwa Andreas Lenz (CSU), wirtschaftspolitischer Sprecher der Union im Bundestag, stark.
Die SPD hält hingegen am Koalitionsvertrag fest: Das Ziel sei weiterhin erreichbar, und die Kommission habe bereits Flexibilität für die Autoindustrie gewährt, ohne dabei die übergeordneten CO₂-Reduktionsziele infrage zu stellen, sagte ein Sprecher von Grant Hendrik Tonne (SPD), Wirtschaftsminister Niedersachsens, auf Nachfrage. Eine Lockerung „käme schon fast einem politischen Eingeständnis zum Scheitern der Verkehrswende gleich“.
Auch die Grünen wollen an dem Ziel festhalten. Ihre verkehrspolitische Sprecherin Swantje Michaelsen sagt: „Eine Verschiebung auf 2040 dient einzig den Profitinteressen einzelner Automobilhersteller und der Mineralölindustrie.“
Laura Hülsemann ist Reporterin für den Newsletter „Industrie und Handel“ bei POLITICO.
Haftungsausschluss: Das Urheberrecht dieses Artikels liegt beim ursprünglichen Autor. Die erneute Veröffentlichung dieses Artikels dient ausschließlich der Informationsverbreitung und stellt keine Anlageberatung dar. Bei Verstößen kontaktieren Sie uns bitte umgehend. Wir werden bei Bedarf Korrekturen oder Löschungen vornehmen. Vielen Dank.