Für oder gegen Olympia? Wann immer in den vergangenen Jahrzehnten deutsche Städte oder Regionen diskutierten, ob sie die Spiele ausrichten möchten, verliefen die Fronten meist nach dem üblichen Schema: Die Union war dafür, die Grünen dagegen, die SPD eher hin- und hergerissen. Am Ende scheiterten deutsche Städte und Regionen mit ihren Bewerbungen mitunter auch daran, dass das Internationale Olympische Komitee (IOC) den Rückhalt der Öffentlichkeit vermisste oder Bewerbungen erst gar nicht zustande kamen.
In München dürfte das dieses Mal anders laufen – und auch anders als in den anderen deutschen Regionen, die sich für Olympia interessieren. In der bayerischen Landeshauptstadt stimmen die Bürger am kommenden Sonntag ab, ob dort wieder Spiele ausgetragen werden sollen – zum ersten Mal seit den tragisch verlaufenen Spielen im Jahr 1972. Dabei geht es um die Ausrichtung der Spiele 2036, 2040 oder 2044.
Die Chancen stehen gut, dass eine satte Mehrheit mit Ja stimmt. CSU und SPD sind entschieden dafür. Wichtiger aber noch: Die bayerischen Grünen sind dieses Mal gespalten und mehrheitlich wohl auch für Olympia. Als Galionsfigur der Olympia-Gegner gilt dagegen der grüne Vizepräsident des Bayerischen Landtags, Ludwig Hartmann. Der leistete sich allerdings eine schwere Panne, die der Pro-Olympiabewegung Auftrieb verleihen könnte – und derentwegen die rot-grün geführte Stadt München jetzt sogar Ermittlungen prüft.
Hartmann gestand ein, Ergebnisse einer Nachwahlumfrage unter Briefwählern vertraulich zugesteckt bekommen und dann in einer Anti-Olympia-Chatgruppe verbreitet zu haben. Diese Umfrage, erstellt vom Umfrageinstitut Infratest Dimap im Auftrag des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), war Thema einer internen Video-Besprechung des Verbandes. Die Teilnehmer bekamen Folien mit Diagrammen zu sehen. Diese Folien waren es, die Hartmann zugespielt bekam und seiner Aktivistengruppe durchreichte.
Das darauf gezeigte Zwischenergebnis bei den Briefwählern dürfte ihm nicht gefallen haben: Mit Ja stimmten 65 Prozent, mit Nein nur 31 Prozent. Besonders frustrierend für die Olympia-Gegner dürfte der Blick auf die Balken mit den Ja-Stimmen der Alterssegmente sein. Unter den Jungen (18 bis 24 Jahre) sollen in der abgefragten Briefwählergruppe sage und schreibe 100 Prozent für Olympia gestimmt haben, bei den jungen Erwachsenen (25 bis 34 Jahre) immerhin 75 Prozent und in der Altersgruppe 55 bis 64 Jahre noch 66 Prozent. Sogar bei den vergleichsweise skeptischen Mittelalten (35 bis 54 Jahre) und Alten (65 Jahre und älter) war die Zustimmung mit 60 und 58 Prozent demnach eindeutig. Die entsprechenden Zahlen kursieren seit Tagen in lokalen Medien. Wie valide die Zahlen sind und wie viele Wähler befragt wurden, ist nicht bekannt.
Das Münchener Kreisverwaltungsreferat teilte auf WELT-Anfrage mit, es sei „grundsätzlich“ zwar erlaubt, Umfrageergebnisse auch schon vor einem Wahltermin bekannt zu geben. Gleichwohl könne „derzeit nicht abschließend beurteilt werden“, ob eine Ordnungswidrigkeit vorliege.
Deutlicher wurde Hartmanns Parteifreund Beppo Brem, der sportpolitische Sprecher der Stadtratsfraktion, die sich in München „Grüne / Rosa Liste“ nennt. Er kritisierte gegenüber WELT „jedes Verhalten“, das die „Rechtssicherheit und damit die Mitbestimmung der Bürger*innen (sic) über diese wichtige Frage gefährden könnte“. Auch in der Sache äußerte er sich eindeutig. Zwar sei das IOC „kein Sympathieträger“, jedoch „sehen wir als Grün-Rosa-Volt-Fraktion die großen Chancen für München, die mit Olympia und Paralympia verbunden sind.“
Auch die Grünen-Landtagsfraktion lässt keinen Zweifel an ihrer offiziellen Position. Sie brachte in der abgelaufenen Woche einen Dringlichkeitsantrag ein, der mit den Worten überschrieben ist: „Ja zum Bürgerentscheid, Ja zu Olympischen und Paralympischen Spielen in Bayern!“ Unterzeichnet ist er auch von Bayerns Grünen-Chefin Katharina Schulze. Insofern hatte CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek in der Debatte Mühe, eine Gegenposition zu den Grünen zu formulieren. Er hoffe, „dass die Grünen tatsächlich dafür sind“ und dass Parlamentsvizepräsident Hartmann „nicht die Spitze einer Nicht-Olympiabewegung ist“.
Hartmann selbst sagte „Bild“, er habe Informationen mit der Chatgruppe geteilt, „von denen wir glauben, sie sollten nicht nur einer einzelnen Interessensgruppe zur Verfügung stehen“. Sollte der Münchener Bürgerentscheid am Sonntag tatsächlich mit einem mehrheitlichen Ja enden – zumal einem eindeutigen – dürfte das die Chancen der Bayern verbessern.
Andere Städte sortieren sich noch
Die Konkurrenten Münchens sind noch nicht so weit. In Nordrhein-Westfalen, das ein Bündnis von Städten an Rhein und Ruhr ins Rennen schickt, soll es eine Bürgerbeteiligung erst im April 2026 geben. Die soll als sogenannte Ratsbürgerentscheidung organisiert werden. Die Ratsversammlungen der beteiligten Städte sollen dafür ihre Entscheidungsbefugnis an die Bürger abtreten, müssen diesem Verfahren aber einzeln erst noch zustimmen.
In Hamburg will der Senat die Bürger im Mai 2026 entscheiden lassen. Auch in der Hansestadt sind die Grünen gespalten. Die Funktionsträger treten für Olympia ein, Teile der Basis engagieren sich bei den Gegnern der „NOlympia“-Aktivisten. Die verweisen darauf, dass die Hamburger 2015 in einem Referendum gegen Olympische Spiele gestimmt hatten. Dieses Ergebnis sei nach wie vor gültig.
Berlin plant als einziger Bewerber keine Bürgerbefragung. Eine solche sei wegen der Vorschriften der Berliner Landesverfassung nicht möglich. Berlin hatte sich zuletzt Anfang der 1990er-Jahre für die Spiele des Jahres 2000 beworben, scheiterte aber. Damals sorgte ein Bündnis grüner und linker Gruppen für medienwirksamen Protest, der auch beim IOC registriert wurde.
München richtete zuletzt 1972 Olympische Spiele aus, die von palästinensischem Terror überschattet wurden. Ein Kommando der Gruppe „Schwarzer September“ überfiel das Quartier der israelischen Olympia-Mannschaft und forderte die Entlassung inhaftierter Terroristen aus israelischen Gefängnissen. Die Terroristen ermordeten zwei Sportler gleich zu Beginn ihrer Aktion und weitere neun auf dem damaligen Militärflugplatz Fürstenfeldbruck.
Das Versagen von Polizei und Sicherheitsbehörden damals ist bis heute nicht aufgearbeitet, ebenso wenig, warum die drei überlebenden Terroristen nie angeklagt wurden und nach einer ebenfalls bis heute rätselhaften Flugzeugentführung nach Libyen ausreisen durften. Derzeit beschäftigt sich eine vom Bundestag eingesetzte Historikerkommission mit der Affäre.
Christoph Lemmer berichtet für WELT als freier Mitarbeiter vor allem über die Politik in Bayern.
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