Eine neue Gerichtsentscheidung aus dem Norden der Republik bringt die Medienbranche ins Schwitzen: Das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht (OVG) hatte eigentlich darüber zu befinden, ob die Staatsanwaltschaft Flensburg der BILD-Zeitung (gehört wie WELT zum Axel-Springer-Verlag) Fragen zu einem laufenden Strafverfahren beantworten muss.
Doch stattdessen hing es sich an einer Formfrage auf und brach mit einer jahrzehntelangen Rechtsprechung, die den Grundstein der modernen Pressearbeit bildet. Der Beschluss des Gerichts könnte Recherchen von Journalisten so signifikant erschweren, dass Christoph Partsch, Experte für Presse- und Informationsfreiheitsrecht, ihn sogar als „gefährlich“ bezeichnet.
Kern der Entscheidung ist die Frage, ob es sich bei einer Presseauskunft um einen Verwaltungsakt handelt. Das ist relevant dafür, wie das weitere Verfahren abläuft.
Bisher war es so, dass die Gerichte ganz überwiegend davon ausgingen, dass eine Presseauskunft keinen Verwaltungsakt, sondern einen „Leistungsanspruch eigener Art“ darstellt und daher eine Leistungsklage statthaft ist.
Konkret bedeutet das: Wenn ein Journalist für eine Recherche Auskünfte von einer Behörde benötigt, stellt er eine Presseanfrage. Weigert sich der Staat, diese zu beantworten, kann der Journalist direkt beim Verwaltungsgericht dagegen klagen – sogar im Eilverfahren, wenn er darlegen kann, dass das Thema brandaktuell ist. Das bedeutet, dass er im besten Fall schon innerhalb weniger Tage einen Beschluss gegen die Behörde erwirken und so die Antwort erzwingen kann.
Das Schleswig-Holsteinische OVG stellt sich nun aber auf den Standpunkt, dass die Ablehnung der Auskunft ein Verwaltungsakt ist – vergleichbar mit einer Baugenehmigung oder einem Steuerbescheid. Dies hätte zur Folge, dass Journalisten nicht mehr unmittelbar dagegen vor Gericht ziehen könnten.
Stattdessen müssten sie zunächst ein zeitaufwendiges behördeninternes Widerspruchsverfahren durchlaufen, in dem der Staat seine eigene Entscheidung noch einmal prüfen kann. Dieses hat keine festgesetzte Maximaldauer – es gilt die Faustregel, dass man erst, wenn die Behörde nach drei Monaten immer noch nicht reagiert hat, Untätigkeitsklage einreichen kann. Es ist auf einen Blick erkennbar, wie zeitnahe Berichterstattung so erschwert werden würde.
Das OVG stellt zusätzliche Hürden auf
Typisch für Verwaltungsakte ist auch der Wille der Behörde, damit eine abschließende, bindende Regelung treffen zu wollen. Nach dem Beschluss des OVG wäre die Presse künftig gezwungen, gegen jede verweigerte oder falsche Auskunft ein Widerspruchsverfahren anzustrengen, „ja sogar zu klagen, weil sonst die möglicherweise falsche Auskunft der Behörde in Rechtskraft erwächst“, erklärt Partsch, der Springer in diesem Verfahren auch als Rechtsanwalt vertreten hat. Das würde natürlich einen enormen Mehraufwand für Journalisten bedeuten.
Eine weitere Unsicherheit für Journalisten entstehe laut Partsch dadurch, dass, wenn ein Verwaltungsakt vorliegt, die Behörde, die diesen erlassen hat, selbst das anschließende Gerichtsverfahren bestreiten muss. Bei Leistungsklagen übernimmt das dagegen das Bundesland als „Rechtsträger“. Der Kläger muss in seiner Klage aber den richtigen Gegner nennen. Was passiert, wenn er sich falsch entscheidet, sieht man ja im vorliegenden Verfahren: Das OVG hat den Eilantrag als unzulässig abgelehnt, weil Partsch ihn gegen das Land Schleswig-Holstein und nicht die Staatsanwaltschaft Flensburg selbst gerichtet hat.
Die Richter aus Schleswig hatten offenbar das Bedürfnis, eine Grundsatzentscheidung treffen zu wollen. Nicht die Prozessparteien, sondern das Gericht selbst hat die Frage der Zulässigkeit in diesem Verfahren überhaupt erst zum Thema gemacht. In der eigens dazu veröffentlichten Pressemitteilung heißt es: „In seinem über 30 Seiten langen Beschluss setzt sich der Senat ausführlich mit der bisherigen Rechtsprechung zur Rechtsnatur des presserechtlichen Auskunftsanspruchs auseinander.“
Besondere Rolle der Presse nicht berücksichtigt
Rechtsanwalt Ernst Fricke, der seit 1980 Kurse zum Presserecht gibt, und sein Referendar David Häring haben den Beschluss für WELT eingeordnet. Er sei „dogmatisch angreifbar und funktional verfehlt, weil er die Aktualität der Pressearbeit durch ein formales Verwaltungsverfahren gefährdet“, schreiben sie.
Die bisherige Rechtsprechung sei „durchgehend von der Idee getragen, dass die Presseauskunft eine dienende Funktion der Medienfreiheit erfüllt.“ Die Presseauskunft sei „kein Instrument der hierarchischen Steuerung, sondern Ausdruck der verfassungsrechtlichen Mitwirkungspflicht des Staates an der freien Meinungsbildung“.
Aber wie kommt das OVG überhaupt auf die Idee, den Presseauskunftsanspruch in die klassische Verwaltungsverfahrensstruktur hineinzwängen zu wollen? Die Situation ist zu einem Teil selbst verschuldet, weil es immer noch kein Pressegesetz auf Bundesebene gibt, das die bisherige Rechtsprechung verfestigt hätte. Um diese Lücke zu schließen, haben die Bundesländer eigene Landespressegesetze erlassen, die meist so aufgebaut sind, dass sie die Behörden zwar grundsätzlich zur Auskunft verpflichten, aber zugleich – wie das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) – eine Reihe von Versagungsgründen wie Geheimnisschutz enthalten.
Wenn die Behörde aber nicht einfach nur antworten muss, sondern sich zugleich überlegen muss, ob diese Ausschlussgründe hier zutreffen, stellt ihre Entscheidung keine bloße Leistung, sondern eine „rechtsgestaltende Einzelfallregelung mit Rechtswirkung nach außen“ dar, also einen Verwaltungsakt, so die Argumentation des OVG.
Fricke und Häring halten es für falsch, dass das Gericht die Systematik des Informationsfreiheitsrechts einfach auf das Presserecht überträgt. Denn anders als IFG-Anfragen müssten journalistische Anfragen eben unbürokratisch und zeitnah beantwortet werden, damit die Pressefreiheit gewährleistet ist.
Die beiden Juristen sehen den Beschluss aber gelassen. Er sei „interessant, aber in der Linie der gängigen Rechtsprechung ein klarer Ausreißer“ – mehr nicht. Auch in Schleswig-Holstein seien die Behörden weiter zur Auskunft verpflichtet.
Das OVG selbst hat ebenfalls darauf hingewiesen, dass einstweiliger Rechtsschutz für Journalisten weiterhin möglich sei, da es dafür keine Rolle spiele, ob ein Verwaltungsakt vorliege oder ein Widerspruchsverfahren bereits durchlaufen sei. Entscheidend sei nur wie bisher, dass „ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug der Berichterstattung vorliegen“.
Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass immer dann, wenn eine Berichterstattung nicht dringend ist – etwa bei lang angelegten Investigativrecherchen – die zusätzliche Schleife mit dem Widerspruchsverfahren gedreht werden muss. Aber auch hier zeigt sich das OVG „großzügig“: Im Einzelfall könne man eine Untätigkeitsklage auch mal früher als drei Monate zulassen. Und auch das mit der Bestandskraft müsse man nicht so streng sehen, sondern könne „einen gewissen Zeitablauf genügen lassen“, um den Weg für einen erneuten Antrag zu eröffnen. Es bleibt abzuwarten, ob die Argumentation der Schleswiger Richter auch andere Gerichte zu überzeugen vermag.
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