Seit Monaten hagelt es Kritik an der EU. Die Vorwürfe: Die Europäer sind nur Zuschauer bei der Lösung des Gaza-Konflikts vor der eigenen Haustür. Sie sind außen vor bei der Suche nach einer Friedenslösung im Ukraine-Krieg. Der Brüsseler Handelsdeal mit den USA von Ende Juli ist schlecht für Wirtschaft und Verbraucher in Europa. Und: Die EU-Bürokratie wird immer mehr statt weniger.

Beim EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel will die EU nun endlich wieder in die Offensive kommen. Das Treffen soll zu einem Wendepunkt werden. Im Mittelpunkt stehen zwei Themen: die Ukraine und Bürokratieabbau.

Mit Blick auf die Ukraine wollen die Europäer künftig zweigleisig fahren. Sie wollen den militärischen und wirtschaftlichen Druck auf Russlands Machthaber Wladimir Putin massiv erhöhen und zugleich eine konkrete Initiative für Friedensgespräche vorlegen. Nach Agenturangaben liegt beim EU-Gipfel ein neuer Zwölf-Punkte-Plan der EU-Staaten und der Ukraine zur Beratung auf dem Tisch.

„Die Europäer haben sich den Gaza-Friedensplan zum Vorbild genommen und sich eng an Trumps Ideen zur Ukraine orientiert“, sagte dazu ein EU-Diplomat WELT. Die Anlehnung an Trump soll die EU bei der Lösung des Ukraine-Kriegs wieder ins Spiel bringen, betonte der Diplomat.

Der Plan sieht neben einem raschen EU-Beitritt der Ukraine und Sicherheitsgarantien für Kiew vor allem vor, den Krieg entlang der aktuellen Frontlinien zu beenden und einen „Friedensrat“ unter Vorsitz von US-Präsident Donald Trump einzusetzen, der die Umsetzung der Beschlüsse überwacht.

Das Problem ist nur: Russland besteht vehement auf der Kontrolle der gesamten Donbas-Region in der Ostukraine und fordert damit deutlich mehr Gebiete, als es bisher erobert hat. Außerdem verlangt Moskau, dass der Krieg in der Ukraine auch während der Friedensgespräche weitergehen soll.

Das lehnen Washington und Brüssel ab. Eine gemeinsame Verhandlungsbasis ist also nicht in Sicht. Aus diesem Grund wurde auch ein geplantes Treffen zwischen Trump und Putin in Ungarn vorerst abgesagt. An diesem Mittwoch reist Nato-Chef Mark Rutte kurzfristig nach Washington, um Trump über die Beratungen in Europa zu unterrichten.

Beratungen über das 19. Sanktionspaket

Neben dem Vorschlag für eine Waffenruhe liegt beim Gipfeltreffen auch der Vorschlag für ein 19. Sanktionspaket auf dem Tisch. „Der wirtschaftliche und militärische Druck auf Russland muss aufrechterhalten und gezielt erhöht werden, bis klare Voraussetzungen für einen gerechten und dauerhaften Frieden geschaffen sind“, sagte der Chef des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, David McAllister (CDU), WELT.

Genau das versuchen die Europäer derzeit. Ab dem 1. Januar 2028 wollen die EU-Länder den Import von Öl und Gas aus Russland komplett einstellen. Und bereits ab Januar 2026 dürfen keine neuen Gasverträge mehr mit Russland geschlossen werden. Im vergangenen Jahr importierte die EU laut Kommissionsbehörde Gas aus Russland im Wert von mindestens 15 Milliarden Euro.

Der Beschluss über die neuen Sanktionen muss einstimmig fallen. Bis zuletzt hatte der slowakische Ministerpräsident Robert Fico noch eine Einigung blockiert. Er forderte unter anderem Zugeständnisse beim geplanten Verbrenner-Aus im Jahr 2035 – ein Thema, das mit den Sanktionen gegen Russland gar nichts zu tun hat. Aber so geht es oft in Brüssel: Wer nicht bekommt, was er will, erpresst die Mehrheit der EU-Regierungen einfach, wenn sich eine günstige Gelegenheit dafür bietet.

Am Mittwoch teilte Fico schließlich mit, dass sein Land dem geplanten Sanktionspaket zustimmen werde. Er habe erreicht, dass in den Entwurf der Abschlusserklärung des kommenden EU-Gipfels eine von der Slowakei geforderte Formulierung zur Senkung der Energiepreise aufgenommen werde, sagte er im slowakischen Parlament.

Nicht so schnell gehen dürfte es dagegen bei der Nutzung eingefrorener Vermögen der russischen Zentralbank zur Unterstützung der Ukraine. Bisher überweist die EU-Kommission dem Land nur die Zinsen, die das Geld abwirft. Doch damit allein kann es seine Verteidigung nicht länger finanzieren.

Daher will die Kommissionsbehörde – vereinfacht gesagt – die eingefrorenen Gelder als zinslosen Kredit an die Ukraine weitergeben und dem Land so 80 bis 140 Milliarden Euro zur Verfügung stellen. Damit wäre der Bedarf für die kommenden zwei bis drei Jahre gedeckt. Kiew könnte in großem Stil Drohnen, Raketen und Granaten kaufen und seine Kampfkraft damit deutlich steigern.

Die Ukraine soll das Darlehen laut Plan erst dann begleichen, wenn Russland den Krieg beendet und Reparationen leistet. Aber die Sache hat einen Haken: Falls Brüssel eines Tages gerichtlich zur Freigabe der Vermögen gezwungen wird oder die Ukraine den Kredit nicht zurückzahlen kann, müssten die EU-Steuerzahler einspringen. Dennoch wollen die 27 Mitgliedsländer die Europäische Kommission am Donnerstag mit der Ausarbeitung eines entsprechenden Rechtsakts beauftragen.

„Die Europäische Union sollte in dieser Frage endlich eine Entscheidung treffen“, sagte McAllister. Eine Einigung wird aber frühestens beim EU-Gipfel Mitte Dezember erwartet. Frankreich fordert, dass die Ukraine verpflichtet werden soll, mit den Milliardenbeträgen auch Waffen in Europa zu kaufen.

Von der Leyen beim Thema Bürokratieabbau unter Druck

Für EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen könnte dieser Gipfel unangenehm werden. Denn es geht nicht nur um Außenpolitik, sondern auch um Bürokratieabbau. In einem Schreiben vom Dienstag fordern Bundeskanzler Friedrich Merz, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und 17 weitere Regierungschefs die EU zu einem Neuanfang auf: weniger Bürokratie und mehr Wettbewerbsfähigkeit.

Man müsse nun den Kurs ändern, „und zwar nicht nur ein wenig, sondern substanziell“ heißt es darin. Das Schreiben ist eine Abrechnung mit der Politik von der Leyens – aber auch mit den eigenen Beschlüssen der EU-Staats- und Regierungschefs in der Vergangenheit.

Unter der CDU-Politikerin von der Leyen brachte die Kommission zwischen 2019 und 2024 rund 6300 Rechtsakte auf den Weg. Das waren 2700 mehr als unter Vorgänger Jean-Claude Juncker und 2300 mehr als unter dem früheren Kommissionschef José Manuel Barroso.

Ein großer Teil davon drehte sich um den Green Deal, also von der Leyens Traum, Europa in den ersten klimaneutralen Kontinent der Welt zu verwandeln. Merz kritisierte das erst kürzlich: „Es ist einfach zu viel.“ Man müsse, so Merz, Brüssel „jetzt mal das Stöckchen in die Räder halten.“

Die Brüsseler Beamten arbeiten derzeit an neun Rechtsakten zur Simplifizierung, im Brüsseler Jargon „Omnibus-Pakete“ genannt. Sie dürften Europas Wirtschaft laut der Kommission eine jährliche Entlastung in Höhe von rund acht Milliarden Euro bringen. Ob es wirklich so weit kommt, ist unklar. Im EU-Parlament gibt es gerade bei Grünen und Sozialdemokraten erhebliche Vorbehalte dagegen. Sie fürchten weniger Klimaschutz und den Abbau von Arbeitnehmerrechten.

Christoph B. Schiltz ist Korrespondent in Brüssel. Er berichtet unter anderem über Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU, die europäische Migrationspolitik, die Nato und Österreich.

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