Auf der Straße Richtung Be’eri stießen sie auf das Gelände des Nova‑Festivals, auf Chaos, Rauch, Schüsse. Ismail, Rafi, Chamad und Dahesch Alkrenawi sind vier muslimische Cousins aus der Beduinenstadt Rahat, einer Stadt, in der arabische, muslimische und jüdische Welten sich berühren. Als am Morgen des 7. Oktober 2023 die Hamas den Süden Israels angriff, erfuhren sie, dass ihr Cousin Hisham im Kibbutz Be’eri eingeschlossen war. Ohne zu zögern, fuhren sie los – ein Jeep, vier Männer, kaum Bewusstsein dafür, in welche Zone sie geraten würden.

Sie sahen Flüchtende, Verletzte, panische Jugendliche und hielten an. „Unser Gewissen erlaubte es uns nicht, sie dort unter Beschuss zurückzulassen“, sagten sie später. In den folgenden Stunden wurde ihr Jeep zum Rettungsfahrzeug. Sie zogen Verwundete aus dem Staub, sprachen beruhigend auf Menschen ein, die sie nie zuvor gesehen hatten. Immer wieder kehrten sie um – zurück in Richtung Gefahr. Jede Fahrt hätte ihre letzte sein können.

Die vier Cousins retteten an diesem Tag etwa vierzig junge Israelis aus dem Kugelhagel. Erst danach fanden sie ihren Cousin Hisham – und mit ihm eine israelische Frau, Aya Meydan, die sich stundenlang mit ihm in einem Feld versteckt hatte. Als israelische Soldaten sie kurz darauf stoppten, deutete zunächst alles auf eine fatale Verwechslung – die IDF hielt die Beduinen für Angreifer aus Gaza. Dann aber rief Aya: „Sie kamen, um uns zu retten!“, und die Situation klärte sich.

Später wurde die Szene zu einem Sinnbild für gelebte Solidarität in einer Zeit größter Angst. Auf dem Weg in Sicherheit begleiteten die vier Männer noch den Bus, in dem Aya Meydan saß. Über das Mobiltelefon sagten sie: „Aya, wir lassen dich nicht allein. Schau aus dem Fenster – wir fahren neben dir.“

Beduinen nehmen in der israelischen wie in der arabischen Gesellschaft eine Sonderstellung am Rand ein und sind häufig von Diskriminierung und strukturellen Nachteilen betroffen. Die Familie Alkrenawi lebt ein Leben zwischen den Welten – muslimisch, arabisch, israelisch. Ihre Geschichte zeigt, dass in diesem „Dazwischen“ auch ein unscheinbares Potential des Friedens liegt: das Vertrauen, dass Hilfe Vorrang vor Herkunft und Religion hat.

Trotz eines von US-Präsident Trump vermittelten Abkommens zwischen Israel und Hamas vom 10. Oktober 2025 kommt es immer wieder zu schweren Verstößen gegen den Waffenstillstand und gegenseitigen Attacken. Beide Seiten werfen sich Brüche des Abkommens vor, humanitäre Hilfe bleibt vielerorts weiterhin blockiert, und die Rückgabe von Geiseln wie auch die Freilassung von Gefangenen verlaufen schleppend.

Ehrung mit dem Mount Zion Award

Die Geschichte der vier Alkrenawi Cousins zeigt, mehr wäre möglich. Dafür werden sie jetzt mit dem Mount Zion Award in Jerusalem ausgezeichnet, gemeinsam mit Dr. Karma Ben‑Johanan, einer Religionswissenschaftlerin an der Hebräischen Universität Jerusalem. Ben‑Johanan gehört zu den profiliertesten Denkerinnen im jüdisch‑christlichen Gespräch. Ihr Schwerpunkt liegt auf der Geschichte und Gegenwart des theologischen Austauschs zwischen Israel und der Kirche. Im November 2023 veröffentlichte sie, nur wenige Wochen nach dem Hamas‑Massaker, einen offenen Brief an den im vergangenen März verstorbenen Papst Franziskus. Er wurde bald von führenden jüdischen Intellektuellen und Rabbinern unterzeichnet – nicht als Protest, sondern als Appell, die in Jahrzehnten gewachsene Freundschaft zwischen Juden und Christen zu schützen.

In diesem Schreiben erinnert sie an Nostra aetate – die bahnbrechende Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils von 1965, in der die katholische Kirche ihr Verhältnis zu den nichtchristlichen Religionen grundlegend veränderte. Zum ersten Mal bekannte sie sich darin zur bleibenden Erwählung des jüdischen Volkes und verurteilte Antisemitismus in jeder Form. Für Ben‑Johanan ist diese Erklärung nicht theologisches Erbe, sondern Handlungsauftrag. Spiritualität, so ihr Gedanke, muss erkennbar und solidarisch sein.

Zwischen Berlin, Rom und Jerusalem hält sie am Gespräch fest – in einer Zeit, in der viele es verloren geben.

Der Mount Zion Award geht auf den katholischen Theologen Wilhelm Salberg (1925–1996) zurück. Salberg, selbst eine Schlüsselfigur des christlich‑jüdischen Dialogs, sah den Zionsberg als geistigen Ort, an dem sich Gottes Wirken in Begegnungen fortsetzt. Mit seiner Stiftung wollte er Menschen auszeichnen, die sich um dieses Miteinander verdient machen.

Abt Nikodemus Schnabel, von der katholischen Dormitio Abtei, auf dem Berg Zion, in Jerusalem, ist Gastgeber des Mount Zions Award und seit geraumer Zeit eine der lautesten Stimmen der Kirchen im Heiligen Land. „Seit zwei Jahren scheint der interreligiöse Dialog im Heiligen Land ein Ding der Unmöglichkeit. Mit der diesjährigen Mount-Zion-Award-Verleihung setzen wir ein kraftvolles Hoffnungszeichen: In unserer Abtei-Kirche ehren wir eine junge jüdische Denkerin, die ganz aktuell den jüdisch-katholischen Dialog vom Schlaf aufweckt und wiederbelebt und wir ehren vier gläubige muslimische Beduinen, LKW-Fahrer, die die größten zivilen Lebensretter für jüdische Israelis am 7. Oktober 2023 gewesen sind und dabei ihr eigenes Leben riskiert haben. Der interreligiöse Dialog lebt im Heiligen Land, intellektuell wie ganz lebenspraktisch!“ formuliert Abt Schnabel.

Die Laudatio auf die Preisträger hält Bundestagsvizepräsident Bodo Ramelow (Die Linke), ein evangelischer Christ, der seit Jahren selbst den interkonfessionellen Austausch pflegt. Seine Teilnahme unterstreicht die ökumenische Breite und die politische Resonanz des Preises: „Wir sind Menschen, unabhängig von Kategorie oder Religion. Für mich zählt das Verbindende, die Kraftquelle, die Menschen antreibt. Ich bin evangelischer Christ, aber glaube an einen universellen Gott, der über konfessionelle Grenzen hinausgeht. Ich fühle mich mit Menschen anderer Religionen verbunden, weil uns ähnliche spirituelle Quellen leiten.“

Die Würdigung von Karma Ben‑Johanan und den Alkrenawi‑Cousins steht damit sinnbildlich für eine Haltung, die sowohl vom Denken als auch vom Tun lebt - Brücken bauen in dunkler Zeit – und für das, was Abt Schnabel zusammenfasste: „Authentisch gelebte Religion ist eine enorme Friedensressource, die tatsächlich Berge versetzen kann.“

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