In der Debatte um die Hausdurchsuchung beim Publizisten Norbert Bolz hat dessen Anwalt auf ein aktuelles Papier des Wissenschaftlichen Dienstes (WD) des Bundestages verwiesen. Darin geht ein Parlamentsjurist der Frage nach, wann das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen straflos ist. „Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat festgehalten, dass wegen der überragenden Bedeutung des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung das Strafgesetz einschränkend auszulegen ist“, sagte Norbert Steinhöfel der „Bild“-Zeitung. „Es wäre wünschenswert, wenn sich auch die Berliner Ermittlungsbehörden diese kluge Analyse zu Herzen nehmen.“
Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz, der auch bei WELT regelmäßig Debattenbeiträge veröffentlicht, hatte im Januar 2024 auf X geschrieben: „Gute Übersetzung von woke: Deutschland erwache!“ Dabei nahm er Bezug auf einen Beitrag der linken Tageszeitung „taz“ mit dem Titel „AfD-Verbot und Höcke-Petition: Deutschland erwacht“. Kurz nach der Veröffentlichung änderte die Zeitung den Titel offenbar; der Artikel ist inzwischen mit „Raus aus der Ohnmacht“ überschrieben.
Am 23. Oktober durchsuchten Polizisten in Berlin Bolz‘ Wohnung. Die Berliner Staatsanwaltschaft teilte mit, sie ermittele gegen den Publizisten, weil der Ausspruch „Deutschland erwache!“ der verbotenen NSDAP zugeordnet werde. Bolz betonte gegenüber WELT umgehend, sein Beitrag sei ironisch gemeint gewesen: „Ich hielt das für einen guten Witz. Die ,taz‘ hatte etwas über Höcke geschrieben mit dem Fazit ‚Deutschland erwacht‘. Ich dachte: Das ist eigentlich eine gute Definition von ‚woke‘. Denn ‚woke‘ heißt ja auch ‚erwacht‘.“ Er habe sich „nicht vorstellen können, dass man das missverstehen kann“.
Das Vorgehen der Polizei rief breite Kritik hervor. Grünen-Politikerin Ricarda Lang schrieb bei X, sie halte Bolz‘ Aussagen zwar für „politisch komplett falsch“, finde „solche Razzien“ aber „absurd“. Die „so weitgehende Interpretation des Strafrechts bei Meinungsdelikten“ untergrabe das Vertrauen in den Rechtsstaat. FDP-Vize Wolfgang Kubicki warnte, eine liberale Demokratie, „in der die Bürgerinnen und Bürger nicht zur freien Meinungsäußerung ermutigt werden und sich eingeschüchtert fühlen, ist akut bedroht“.
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages erklärt nun in seinem Papier, es sei nach Paragraf 86a des Strafgesetzbuches verboten, nationalsozialistische Symbole oder Parolen zu verwenden. Schon das Verwenden an sich könne strafbar sein, auch wenn es nicht in zustimmender oder werbender Art erfolge. Der Paragraf habe eine „Tabuisierungsfunktion“. Kennzeichen verbotener Organisationen sollen also im Alltag keine normale Rolle spielen.
Es gebe aber eine Einschränkung, heißt es in dem Papier weiter. Im Hinblick auf die Meinungsfreiheit sei eine „verfassungskonforme restriktive Auslegung“ geboten. Werden entsprechende Symbole also in einer Weise verwendet, die nicht im Widerspruch zum sogenannten Schutzzweck des Paragrafen stehen, ist dies nicht automatisch strafbar. Gerichte und Staatsanwaltschaften müssten dafür im Einzelfall alle Umstände in Betracht nehmen.
Nicht strafbar sei der Gebrauch etwa, wenn damit „in offenkundiger und eindeutiger Weise“ die Bekämpfung der Ideologie zum Ausdruck gebracht werde. Deshalb sei es erlaubt, ein durchgestrichenes Hakenkreuz auf einem T-Shirt zu tragen. Auch ein Symbol, auf dem ein Hakenkreuz in den Müll geworfen werde, sei nicht strafbar. Die Anforderungen an die Offenkundigkeit und Eindeutigkeit der gegnerischen Zielsetzung seien hoch, die Ablehnung müsse „auf Anhieb“ ersichtlich sein, heißt es in dem Dokument. Auf den Ausspruch „Deutschland erwache“ und den aktuellen Fall geht der Wissenschaftliche Dienst nicht ein.
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