Die Welt ist in Unordnung. Die Großen von einst sind machtlos; wer die neuen Mächtigen sind, ist noch schwer zu sagen. Besonders im Nahen Osten. Als am Freitag in Syriens Hauptstadt Damaskus eine Delegation von Spitzenfunktionären des gestürzten Assad-Regimes vor der Residenz des neuen Präsidenten Ahmad al-Scharaa vorfuhr, musste dieser grinsen.
„Ich wusste gar nicht, dass man mit Regierungsjobs derart gut verdient“, sagte al-Scharaa mit Blick auf den Fuhrpark luxuriöser SUVs, mit dem die Ex-Günstlinge angereist waren. „Ihr habt wohl vergessen, dass Ihr die Söhne der Revolution seid“, witzelte al-Scharaa. Schließlich gab das arabisch-sozialistische Assad-Regime vor, an der Seite der Unterdrückten zu stehen. Aber Kriege und Umstürze haben in diesem Teil der Welt auch immer geschäftliche Implikationen – mitunter sehr lukrative.
Das zeigt der Vergleich der beiden wichtigsten Krisen, die den Nahen Osten gerade beschäftigen. An diesem Wochenende treffen sich arabische und westliche Politiker beim IISS Manama Dialogue 2025 in Bahrain. Das Treffen, so etwas wie die Münchner Sicherheitskonferenz des Nahen Ostens, beschäftigt sich auch mit den beiden Hauptproblemen der Region – Syrien und Gaza. An beiden Schauplätzen ist die Lage fragil. Aber der Umgang damit ist höchst unterschiedlich.
In Gaza gab es in der Nacht wieder israelische Angriffe. Deshalb und wegen des undurchsichtigen Agierens der Hamas bei der Herausgabe sterblicher Überreste israelischer Geiseln steht der von US-Präsident Donald Trump ausgehandelte Waffenstillstand wieder auf dem Spiel – und damit die Perspektive einer weiteren Aussöhnung zwischen Israel und den arabischen Staaten. „Das, was in diesen Tagen in Gaza passiert, entscheidet darüber, ob es noch irgendeinen Friedensvertrag mit Israel geben kann“, sagt ein einflussreicher Angehöriger eines arabischen Herrscherhofes.
Auch in Syrien ist die Lage alles andere als stabil. Unter der neuen, sunnitisch-konservativen Herrschaft von al-Scharaa gibt es immer wieder Kämpfe und Ausschreitungen gegen ethnische und religiöse Minderheiten wie die Alawiten und die Drusen, die Christen im Land fürchten sich und es könnte womöglich nur eine Frage der Zeit sein, bis wieder Kämpfe der herrschenden Sunniten-Gruppen mit den Kurden im Nordosten ausbrechen.
Deshalb ist es nachvollziehbar, wenn sich Bundesaußenminister Johann Wadephul bei seinem Besuch in Syrien am Donnerstag eher vorsichtig über die Aussichten im Land und die Perspektiven für eine Rückkehr von Flüchtlingen äußert.
Die syrische Regierung müsse den Menschen „ein Leben in Würde und Sicherheit“ garantieren, sagt Wadephul nach dem Treffen mit al-Scharaa. Nötig sei die Einbeziehung aller Bürger unabhängig von Geschlecht, religiöser, ethnischer oder gesellschaftlicher Zugehörigkeit. Noch immer sei sehr viel Infrastruktur im Land zerstört. „Und das wird nicht allzu viele jetzt dazu bewegen, kurzfristig diesen Schritt zu machen“, sagte Wadephul zur Rückkehr syrischer Flüchtlinge.
Die neue Führung schätze die in Deutschland ausgebildeten jungen Syrer, aber auch für Deutschland könnten sie ein Gewinn sein. „Jeder, der bei uns bleibt und sich bei uns in unsere Gesellschaft einbringt, integriert arbeitet“, sei weiterhin willkommen. Zu Rückführungen einzelner schwerer Straftäter sei das Ministerium mit dem syrischen Außenministerium in Kontakt. Zudem kündigte er Wiederaufbauhilfen in Höhe von 40 Millionen Euro an.
Die Bundesregierung sieht den Wiederaufbau als eine der Bedingungen für die Rückkehr von Syrern in ihre Heimat. Angehörige von Minderheiten, die Verfolgung wegen ihrer Religion oder Ethnie nachweisen können, könnten Ausreisebefehle ohnehin anfechten. Die Stabilität im Land und die Rechtssicherheit einer neuen Migrationspolitik hängen also direkt zusammen. Und während man in Deutschland Syrien vor allem als Problem behandelt, sehen die Araber die Lage dort auch als Chance.
Gigantische Summen für den Wiederbau
Die Weltbank schätzt, dass Syrien für den Wiederaufbau Investitionen von etwa 216 Milliarden Dollar benötigt, vielleicht sogar bis zu 345 Milliarden. Und die politisch beteiligten Mächte kämpfen schon um die besten Plätze am Tisch. Gerade war eine Wirtschaftsdelegation der Erdöl-Supermacht Saudi-Arabien im Land. Eine weitere Delegation aus dem erdgasreichen Katar war noch früher in Syrien.
Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan soll seine innenpolitischen Verbündeten aus der türkischen Bau-Industrie frühzeitig in Stellung gebracht haben. In dem Bürgerkriegsland sind nicht nur Bauaufträge zu holen. Mit seiner strategischen Lage zwischen Golf und Mittelmeer sind weitere wirtschaftliche Vorteile verbunden, zumal im östlichen Mittelmeer Erdgasvorkommen auf Erschließung warten, womöglich auch vor der syrischen Küste.
Deutsche Unternehmen haben einen sehr guten Ruf
„Auch die deutsche Wirtschaft könnte in Syrien mitverdienen“, sagt Christian Koch vom Gulf Research Center. „Unternehmen aus der Bundesrepublik haben einen hervorragenden Ruf in der arabischen Welt, gerade in den Bereichen Bau, Infrastruktur, Telekommunikation. Aber dafür müsste Berlin noch präsenter im Land sein.“
Die Zusage von 40 Millionen Euro sei da eher als symbolische Geste zu werten. „Die Saudis, die Emiratis, die Türken und Katarer ziehen im Moment alle an einem Strang, sogar Israel verhandelt mit Damaskus. Das ist keineswegs selbstverständlich unter diesen Ländern“, sagt Koch. Beim Thema Gaza ist die Region längst noch nicht so weit.
Senior Editor Daniel-Dylan Böhmer berichtet für WELT über den Nahen Osten und Afghanistan
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